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LAIRE/1321: Blendgranate - Deutschland will seine Waffenexporte überwachen (SB)


Endverbleibskontrolltäuschung


Allein im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung die Ausfuhr von Waffen im Wert von 6,85 Mrd. Euro genehmigt. In diesem Jahr hat sie erstmals angefangen, nachzuspüren, ob die Empfänger die Waffen auch so verwenden, wie vertraglich vereinbart, nämlich daß sie nicht weitergegeben werden. Und siehe da, die 30 Präzisionsschützengewehre, die an einen staatlichen Empfänger in Indien geliefert worden waren, befanden sich alle am vorgesehenen Ort, wie Andreas Obersteller, Präsident des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), am Mittwoch laut der "Rheinischen Post" versicherte.

Ob die Waffen auch am Tag nach der Überprüfung noch am vorgesehenen Ort waren? Und was ist mit den zahlreichen anderen Waffen, die seit Jahren und Jahrzehnten von Deutschland aus in die ganze Welt exportiert worden sind - wird man auch sie überprüfen? Das deutsche Sturmgewehr G3 beispielsweise war ein Verkaufsschlager, der nur noch von der Kalaschnikow übertroffen wurde. Auch das Nachfolgemodell G36 verkauft sich gut. Kurdische Milizen der Peschmerga, die neben deutschen Sturmgewehren Panzerfäuste vom Typ Milan erhalten haben, damit sie die Islamisten von Daesh (Islamischer Staat) bekämpfen und die Jesiden schützen, haben die Waffen auch auf die eigentlichen Befreier der Jesiden gerichtet.

Um den Weg für neue Waffenlieferungen freizumachen, hat nun die kurdische Regionalregierung in Nordirak ermittelt, daß von den 28.000 Waffen, die Deutschland geliefert hatte, nur 30 illegal verkauft oder auf anderen Wegen abhandengekommen sind. Von einer neuen Lieferung würden keine Waffen an Dritte verkauft, beteuerte die Verwaltung in Erbil und durfte sich Mitte August auf die Ausfuhr weiterer Waffen aus Deutschland freuen. Geliefert wurden unter anderem 1.500 G36-Gewehre, 100 Milan-Panzerabwehrraketen und drei gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo 1.

Wie glaubwürdig sind die Beteuerungen aus Erbil? Es wäre interessant zu beobachten, wie BAFA-Mitarbeiter in das syrisch-irakische Grenzgebiet reisen und den Waffen der Peschmerga nachspüren. Wenn sie dann einen der Kämpfer unter der schwarzen Flagge des Daesh mit einem deutschen Gewehr in den Händen erwischen, was wollen sie dann machen? Wollen sie ihn bitten, das Tötungsmittel auszuhändigen, da es nicht für ihn vorgesehen sei?

Die Bundesregierung wird nicht verhindern können, daß Waffen in "falsche" Hände gelangen. Doch was passiert mit den Waffen in "richtigen" Händen? Wenn Länder wie die Türkei oder Saudi-Arabien Waffen aus deutscher Fertigung erhalten oder Lizenzen erwerben, um sie in eigenen Fabriken nachzubauen, werden die Waffen ebenfalls ihren Bestimmungszweck erfüllen und beispielsweise gegen politische Oppositionelle, Andersgläubige oder Aufständische anderer Nationalität, die sich dem Expansionsstreben dieser Länder widersetzen, verwendet.

Seitdem ruchbar wurde, daß der irakische Präsident Saddam Hussein nicht zuletzt mit dem Knowhow und der Hardware der deutschen Chemieindustrie in den 1980er Jahren Tausende von Kurden vergast hat, wurden lediglich die Schwerpunkte der deutschen Rüstungsexporte verschoben. Doch in einem gleichen sich alle Waffen, ob chemisch oder nicht-chemisch: Mit ihnen wird getötet oder der Androhung des Todes Nachdruck verliehen.

Die BAFA spricht von einer "Pilotphase" ihrer sogenannten Endverbleibskontrollen. Die Initiative wird wohl kaum über den Anfang hinauskommen. Man wird immer nur die Waffen überprüfen können, die sich genau nicht im Einsatz befinden, und die stellen sowieso nicht das Problem dar. Die Peschmerga zum Beispiel wird die deutschen Waffen nicht in einem Schrank in Erbil einschließen, sondern in Gebrauch nehmen. Was will man da noch überprüfen? Dabei kommen selbstverständlich auch Waffen abhanden, da sie von den Soldaten verkauft werden oder dem Gegner in die Hände fallen. Umgekehrt liegen genügend inoffizielle Hinweise vor - beispielsweise in Form von Berichten und Videoaufnahmen -, die zeigen, daß mit deutschen Waffen rund um den Globus getötet wird, mal von staatlichen, mal von nicht-staatlichen Akteuren. Eigentlich bedarf es keiner Überprüfung, um das festzustellen.

Im übrigen kommen sowieso nur sogenannte Drittländer zur Überprüfung in Frage. Das betrifft laut der "Rheinischen Post" nicht die EU- und NATO-Mitglieder sowie "ihnen gleichgestellte Länder". Wenn es zum Beispiel demnächst Schule macht, daß an den Außengrenzen der südeuropäischen EU-Länder auf Flüchtlinge geschossen wird, dann besteht die große Chance, daß dabei Produkte aus deutschen Waffenschmieden zum Einsatz kommen.

Es gäbe eine höchst wirkungsvolle Methode, wie sichergestellt werden kann, daß aus Deutschland kein kriegstaugliches Gerät exportiert wird. Es sollte doch wirklich kein ernsthaftes Hindernis sein, daß nicht annähernd so viele Pflugscharen gebraucht werden, wie sie nötig wären ...

Einem strikten Waffenexportverbot stehen nicht nur wirtschaftliche Gründe entgegen. Eine Exporthöhe von über sechs Milliarden Euro ist zwar keine Kleinigkeit, aber noch viel mehr wiegt die Bedeutung solcher Exporte als geopolitisches Mittel. Mit Waffenexporten verfolgt die Bundesregierung ihre taktischen und strategischen Ziele, und in den seltensten Fällen geht es zusätzlich darum, eine Minderheit wie die Jesiden gegenüber der Verfolgung durch Daesh zu schützen. (Da hätten sich sowieso ganz andere kurdische Gruppen als die Peschmerga als Empfänger deutscher Waffen angeboten.)

Generell versichert man sich mit Waffenexporten des Bündnisses und bringt Zugehörigkeiten zum Ausdruck, wohingegen andere, die nicht dazugehören, ausgeschlossen werden. Nicht zuletzt jedoch gibt man anderen Staaten Waffen an die Hand, damit sie - nicht anders als man selbst - den Burgfrieden wahren können und ihre eigene Bevölkerung in Schach halten. Denn was wären die Burgherren ohne ihre Soldaten, von denen sie sich beschützen lassen? Was wären sie ohne die Bauern und Handwerker, ohne Beamte und andere partiell Begünstigte, auf deren Dienste sie ihre Vormachtstellung stützen?

30. August 2017


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