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DILJA/1137: Georgien - westliche "Rosenrevolution" steht vor zweiter Aufführung (SB)


Eine neue Rosenrevolution in Georgien?

Präsident Saakaschwili könnte ein kalter Sturz drohen


In Georgien befinden sich die Sympathiewerte für den amtierenden Präsidenten Michael Saakaschwili vermutlich im nicht mehr meßbaren Bereich unterhalb der Null-Linie. Das einstige Hätschelkind des Westens, der als Galionsfigur westlicher Einflußnahme in der ehemaligen Sowjetrepublik die Hauptrolle in einer politischen Inszenierung spielte, die unter dem Begriff "Rosenrevolution" Eingang in die Geschichtsbücher fand, hat ausgespielt und ist "politisch" auf ganzer Linie "verbrannt". Seine einstigen Verbündeten, denen er Steigbügelhalterdienste leistete in ihrem Bestreben, ihren Einflußbereich politisch, wirtschaftlich und selbstverständlich auch militärisch auf ihrem expansionistischen Weg gen Moskau immer weiter auszudehnen, haben längst beschlossen, daß die Karte "Saakaschili" nicht mehr sticht, und so ist kaum noch damit zu rechnen, daß der amtierende Präsident Georgiens seine eigentlich noch bis 2013 andauernde Amtszeit wird beenden können.

Die heutige Lage in Georgien ist katastrophaler denn je. Die sogenannte Weltwirtschaftskrise schlägt mit voller Wucht auf den kleinen Kaukasus-Staat durch, der sich von dem Angriffskrieg im August vergangenen Jahres gegen Südossetien und den dadurch provozierten Gegenschlag der russischen Armee bis heute nicht erholt hat. Saakaschwili gilt daher, so titulierte ihn bereits der georgische Bürgerrechtler Sozar Subari, als der Präsident, der "alles verloren hat" - den von ihm angezettelten Krieg wie auch die abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien, an deren Reintegration in den georgischen Staat nach diesem Krieg, der in der westlichen Berichterstattung fälschlicherweise als georgisch-russischer Krieg bezeichnet wird, erst recht nicht mehr zu denken ist.

Inzwischen sind auch die USA und die EU-Staaten deutlich von Saakaschwili abgerückt, was keineswegs an politischen Divergenzen - schließlich wird Saakaschwili den Krieg nicht ohne Absprache mit seinen Verbündeten begonnen haben -, sondern ganz einfach daran liegen wird, daß die Beweise für die Kriegslügen Saakaschwilis inzwischen nicht mehr ignoriert werden können. In der Rolle des Kriegstreibers, der er ja auch ist, erweist Saakaschwili seinen westlichen Nutznießpartnern einen letzten Dienst, da diese sich selbst und ihre Beteiligungen umso besser aus der Schußlinie bringen können, je deutlicher sie ersatzweise Saakaschwili bezichtigen.

So hatte die EU Anfang Dezember vergangenen Jahres eine Untersuchungskommission eingerichtet bzw. einrichten müssen, die der Frage nach den Ursachen des georgisch-russischen Krieges nachgehen sollte. Der von der Schweizerin und ehemaligen UN-Sondergesandten in Georgien und Abchasien, Heidi Tagliavini, angeführten Kommission liegen einem Bericht des Spiegel vom 23. März Dokumente vor, die Präsident Saakaschwili der Lüge überführen. So hatte der georgische Präsident beispielsweise behauptet, am 7. August 2008 kurz vor Mitternacht den Marschbefehl für die georgischen Truppen nach Südossetien gegeben zu haben, um einem russischen Angriff zuvorzukommen. Diese Version widerspricht schon den Angaben, die seinerzeit von georgischer Seite selbst gemacht worden waren. Der Oberbefehlshaber des georgischen Kontingents der gemischten Friedenstruppen in Südossetien, General Mamuka Kuraschwili, hatte zum fraglichen Zeitpunkt im Fernsehen bekanntgegeben, ohne mit einem Wort die angeblich anrückenden russischen Truppen zu erwähnen, daß Georgien eine Militäroperation begonnen habe, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Der georgische Repräsentant bei den Vereinten Nationen, Irakli Alasania, "vergaß" einen Tag später in der ersten Sondersitzung des Weltsicherheitsrats ebenfalls, den laut Saakaschwili bevorstehenden russischen Angriff zu erwähnen.

Aus diesem Ablauf sowie zahlreichen weiteren Informationen und Indizien hätten die westlichen Weltsicherheitsratsmitglieder, EU und NATO frühzeitig ihre Schlußfolgerungen ziehen können - wenn sie dies denn gewollt hätten und wenn sie nicht ohnehin bestens und vorab informiert gewesen wären über diesen Versuch, eine militärische Konfrontation mit Rußland vom Zaun zu brechen. Wenn also die EU erst Monate später eine Untersuchungskommission einrichtet, darf geargwöhnt werden, daß die Beweise für die Kriegslügen in der Zwischenzeit so erdrückend geworden sind, daß die EU ihr Gesicht verloren hätte, hätte sie weiterhin an Saakaschwili festgehalten. Für diese Annahme spricht, daß bereits Ende November vergangenen Jahres namhafte westliche Medien wie die BBC, die Londoner Times und die New York Times unter Berufung auf Untersuchungen der OSZE und von Menschenrechtsorganisationen sowie auf Augenzeugenberichte die russische Version nahezu uneingeschränkt bestätigten und die georgische Darstellung als in fast allen Punkten unwahr bezeichnet hatten.

In Rußland hatte die Komsomolskaja Prawda zu diesem Zeitpunkt bereits georgische Einsatzpläne veröffentlicht, die vom 5. August 2008, 5.15 Uhr datierten, und die, sollte sich ihre Authentizität bestätigen, unzweideutig beweisen, daß Saakaschwili den Angriffsbefehl gegen Südossetien gegeben hat, um das Land in einem Blitzkrieg innerhalb von 72 Stunden zu besetzen. Derartige Dokumente sind von russischer Seite der EU-Untersuchungskommission ausgehändigt worden, so daß der letzte Rettungsanker, nämlich die Behauptung, daß diese Erklärungen von russischer Seite aufgestellt und deshalb unglaubwürdig seien, hinfällig geworden ist. Georgien hat nichts zu seiner Entlastung beitragen können - im Gegenteil. Saakaschwili verweigerte die Herausgabe der Einsatzbefehle mit dem Argument, sie seien Staatsgeheimnisse.

Fraglos wird die politische Landschaft Georgiens nach diesen Enthüllungen neu strukturiert werden müssen. So wurde Saakaschwili von zwölf Oppositionsparteien in einer gemeinsamen Erklärung am 29. Januar zum Rücktritt aufgefordert, um den Weg für die Neuwahl sowohl des Präsidenten wie auch des Parlamentes frei zu machen. Dies wäre nach demokratischen Gepflogenheiten wohl der sinnvollste Weg, doch Saakaschwili dachte nicht daran, den Rücktrittsforderungen nachzukommen. Saakaschwilis Mitstreiter während der Rosenrevolution schicken sich nun an, mit denselben Mitteln eines kalten Umsturzes auch seine Präsidentschaft zu beenden. Ein neues aus der Neuen Rechten sowie den Republikanern geschlossenes Bündnis für Georgien hatte ihm eine Frist bis zum 23. Februar gesetzt, um zurückzutreten und innerhalb von zehn Tagen eine Volksabstimmung über Neuwahlen durchzuführen.

Auch dieser Termin verstrich, ohne daß Saakaschwili sich gerührt hätte. Die wohl größten Chancen, von den westlichen Verbündeten Georgiens als neue Präsidentin akzeptiert und inthronisiert zu werden, hat wohl die ehemalige Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse, die am 23. November 2008 ihre eigene Partei "Demokratische Bewegung - Einiges Georgien" gegründet hatte. Sie gilt - wie vormals Saakaschwili - als Heldin der Rosenrevolution und schickt sich nun an, ihren einstigen Mitstreiter mit einer, wie zu vermuten ist, für Georgien geplanten und vorbereiteten Neuinszenierung eines solchen kalten Putsches zu stürzen. Sie erklärt, daß die heutigen Führer Georgiens nicht mehr das moralische Recht hätten, das Land zu regieren. Dies sehen bestimmt viele Menschen in Georgien so, doch warum engagiert sich Burdschanadse dann nicht, wie noch im November letzten Jahres, für Neuwahlen?

Wenn Saakaschwili nicht bis zum 9. April zurückgetreten sei, so Burdschanadse im Februar, werden sie und ihre Mitstreiter davon ausgehen, daß alle Mittel erschöpft seien und der einige verbliebene Weg zur Erreichung ihrer Ziele die Organisation von Protestbewegungen sei, die so lange andauern sollen, bis der Präsident zum Rücktritt gezwungen ist. Der Schönheitsfleck in dieser kämpferischen Ansprache besteht allein darin, daß er von einer Politikerin stammt, die in Saakaschwilis Boot saß und noch im November 2007 die polizeiliche Niederschlagung der damaligen Proteste unterstützt hat. Indem sie sich an die Spitze einer Oppositionsbewegung zu setzen sucht, die auf einen Sturz Saakaschwilis abzielt, stellt sie zugleich sicher, daß bei einem Sieg der von ihr angeführten zweiten Rosenrevolution keine politische Partei oder kein oppositioneller Kandidat die Macht im Staate erlangen wird, der nicht wie sie den bedingungslos pro-westlichen Kurs Saakaschwilis fortzusetzen bereit ist.

30. März 2009