Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1165: Böser Cop, guter Cop - USA und EU führen mit Netanjahu eine Scharade auf (SB)


Israels Ministerpräsident Netanjahu unterstreicht in seiner Grundsatzrede die aggressive Haltung seiner Regierung gegenüber den Palästinensern

Die westlichen Verbündeten führen mit Netanjahu eine Scharade auf, um die Öffentlichkeit über ihr Einverständnis zu täuschen


Anfang April wurde eine von dem südafrikanischen Richter Richard Goldstone geleitete vierköpfige Kommission vom UN-Menschenrechtsrat damit beauftragt, die gegen Israel wie auch die Hamas gerichteten Vorwürfe, im Gazakrieg vom Januar Kriegsverbrechen begangen zu haben, zu untersuchen. Die israelische Regierung weigert sich allerdings, mit der Kommission zusammenzuarbeiten oder ihr auch nur die Einreise in den noch immer abgeriegelten Gazastreifen zu genehmigen. Yigal Palmor, Sprecher des israelischen Außenministeriums, behauptete zur Begründung gegenüber dpa, das "einzige Ziel der UN-Untersuchung sei, sein Land anzuklagen". Dies ist definitiv nicht zutreffend, da der Untersuchungsauftrag sich auf beide Seiten erstreckt, doch da in diesem Krieg über 1400 Palästinener getötet und über 5000 zum Teil schwer verletzt wurden, während auf israelischer Seite 13 getötete Soldaten zu Buche stehen, von denen zehn durch das Feuer der eigenen Seite ums Leben kamen, ist unschwer vorauszusehen, daß die UN-Kommission in Hinsicht auf nachweislich der Hamas zuzulastende Kriegsverbrechen kaum fündig werden wird.

Wären die westlichen Staaten, namentlich die USA sowie die EU, tatsächlich so etwas wie neutrale Vermittler oder unbeteiligte Dritte, die an einer Aussöhnung und friedlichen Beendigung des seit 60 Jahren währenden Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern interessiert sind, stünde es ihnen gut zu Gesicht, sanften bis energischen Druck auf Israel auszuüben, um eine Aufarbeitung des Gazakrieges zu ermöglichen. Nichts dergleichen ist jedoch aus auch nur einer der westlichen Hauptstädte zu vernehmen, und so reiht sich die Haltung der westlichen Staaten in diesem Punkt nahtlos an ihre schon in unzähligen anderen Konflikten dokumentierte bedingungslose Unterstützung für Israel an. Der Gazakrieg, der die Bevölkerung des Gazastreifens laut amnesty international "an den Rand der Katastrophe" gebracht hat, wird weder aufgearbeitet noch werden seine katastrophalen Schäden behoben. Israel wird seitens der sogenannten Weltgemeinschaft weder aufgefordert noch gedrängt, die inzwischen seit zwei Jahren andauernde Blockade des Gazastreifens aufzuheben.

Mit dem Amtsantritt der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist in Tel Aviv eine Administration tätig geworden, die in einer fast unverhohlen zu nennenden Weise ihre Absicht, den sogenannten Friedensprozeß ein für allemal zu begraben, zu bekunden bereit ist. Dies stellt keineswegs in Hinsicht auf die damit verfolgten Absichten, über die in der westlichen Presse ein beredtes Schweigen gewahrt wird, für die westlichen Verbündeten Israels ein Problem dar, wohl aber in bezug auf ihre Strategie, die Palästinenser und die gesamte arabische Welt, aber auch die sogenannte Weltöffentlichkeit, über die den Palästinenser zugedachte Zukunft weitestgehend im Unklaren zu belassen. Da sich die Regierung Netanjahu strikt weigert, das Zauberwort "Zwei-Staaten-Lösung" auch nur in den Mund zu nehmen, ist ihren westlichen Freunden der bisherige und langerprobte Weg, den unter härtesten Besatzungsbedingungen lebenden Palästinsern das Versprechen der Eigenstaatlichkeit weiterhin in Aussicht zu stellen, versperrt.

Da sich abzeichnet, daß die Regierung Netanjahu wegen ihrer "harten" und kompromißlosen Haltung Kritik auf sich ziehen wird, sind sowohl die USA als auch die EU ein ganz klein wenig auf Distanz zu ihr gegangen. Ihren medialen Höhepunkt fand diese namentlich vom neuen US-Präsidenten Barack Obama inszenierte Vorgehensweise in der Forderung nach einem Siedlungsstop, wie Obama sie in seiner in der westlichen Preisse vielgelobten Rede in Kairo aufstellte. Die israelische Führung weiß selbstverständlich ganz genau, wie sie diesen vermeintlichen Anwurf zu nehmen hat, und so stellte Ministerpräsident Netanjahu in seiner am vergangenen Sonntag in der Bar-Ilan-Universität gehaltenen Grundsatzrede klar, daß es von seiner Regierung weder in dieser noch in irgendeiner anderen Frage auch nur das geringste Abrücken von ihrer Maximalposition geben wird.

Netanjahu fabulierte von einer "palästinensischen Entität", worunter er ein "entmilitarisiertes" pseudostaatliches Gebilde versteht, das "keine eigene Armee" haben, keine "Kontrolle seiner Grenzen oder seines Luftraumes" ausüben und keine militärischen Vereinbarungen mit anderen Staaten treffen darf, was die USA und andere Staaten garantieren sollen. Eine Rückkehr palästinensischer Vertriebener bzw. ihrer Nachfahren schloß Netanjahu vollkommen aus; sie würde "die Existenz Israels als jüdischer Staat" gefährden. Die Siedlungen, so Netanjahu in seiner Rede, die als Antwort auf die Rede Obamas in Kairo bewertet wurde, hätten ein Recht auf ein "natürliches Wachstum". Und selbstverständlich beansprucht ein Politiker vom Schlage Netanjahus auch den seit 1967 völkerrechtswidrig besetzten Ostteil Jerusalems, die "ungeteilte Hauptstadt" Israels sein müsse.

Nichts an dieser Politik Israels ist neu oder auch nur eine tatsächliche Steigerung der bisherigen Linie. Neu ist lediglich, daß Netanjahu undiplomatischer als all seine Vorgängerregierungen vorgeht, was jedoch wie die Inhalte seiner Grundsatzrede zum Kernbestandteil der mit den westlichen Verbündeten längst vereinbarten taktischen wie strategischen Planungen gehören dürfte. Netanjahu kündigte zudem an, "das Flüchtlingsproblem" müsse "außerhalb der israelischen Grenzen" geregelt werden. Die naheliegende Frage, was die israelische Führung mit den Palästinensern im israelischen Kernland wie auch den besetzten Gebieten tatsächlich vorhat, wenn sie doch offen erklärt, daß die Zwei-Staaten-Lösung für sie keine Option darstellt, wird von ihren wetlichen Verbündeten gar nicht erst gestellt.

Sie meiden wie der Teufel das Weihwasser jede Thematik, die die immer dünner werdende Lackschicht einer vermeintlich ambivalenten Position, bei der die Lebensinteresssen der Palästinenser irgendwie auch berücksichtigt werden, weiter perforieren könnte. In Israel selbst ist die Forderung, die Vertreibung der Palästinenser von 1948 zu vollenden, nicht gesellschaftsfähig und der äußersten Rechten vorbehalten, was jedoch keineswegs den Rückschluß zuläßt, daß die konkreten Planungen der Regierung Netanjahu mittel- bis langfristig nicht genau auf diese Absicht abzielen. Die Scharade, die vor den Augen der Welt derzeit zwischen den USA und der EU wie auch der israelischen Regierung aufgeführt wird, würde unter dieser Annahme der fortgesetzten Verschleierung der tatsächlich verfolgten Absichten dienen.

Dabei unterminiert US-Präsident Obama seine eigene Glaubwürdigkeit. Wenn er wie auch Außenministerin Clinton noch vor wenigen Wochen den bedingungs- und ausnahmslosen Siedlungsstop verlangt, nun jedoch die Rede Netanjahus als einen Schritt in die richtige Richtung lobt, obwohl dieser klipp und klar deutlich gemacht hat, daß der Siedlungsausbau, sprich die Ausweitung des Landraubes zulasten der Palästinenser, fortgesetzt wird, spricht dies Bände über die Ränke, die hier geschmiedet werden. Da kein einziges Wort der Kritik aus der US-amerikanischen oder einer der europäischen Hauptstädte an Netanjahus Positionsbestimmung zu vernehmen war, liegt die einzig plausible Schlußfolgerung darin, daß Israel mit seinen Verbündeten längst darüber Übereinstimmung erzielt hat, daß und wie das ihnen lästige "Palästinenserproblem" aus der Welt geschaffen werden soll.

16. Juni 2009