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DILJA/1175: Putsch "light"? Wie die Militärdiktatur in Honduras zivil geredet wird (SB)


Die USA verteidigen mit Trügen und Täuschen "ihren" Militärstützpunkt

Die internationale Gemeinschaft unternimmt keine ernsthaften Schritte zur Wiedereinsetzung des Präsidenten von Honduras


Kein führender Staat der sogenannten internationalen Gemeinschaft möchte in aller Offenheit als Unterstützer der honduranischen Militärmachthaber oder ihrer "zivilen" Putschpartner in Erscheinung treten, und so nahm sich die internationale Verurteilung der am 28. Juni in Tegucigalpa vom Militär gewaltsam durchgeführten Entmachtung und Verschleppung des demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Manuel Zelaya, verdächtig einhellig aus. Verdächtig deshalb, weil der politische Hintergrund dieses Militärputsches, in dessen Folge der Ausnahmezustand im ganzen Land verhängt sowie die in der Verfassung verankerten Freiheitsrechte aufgehoben wurden, ein politisches Wespennest und im Grunde ganz Mittel-, um nicht zu sagen Lateinamerika berührt. Wenn die linken und linksmittigen Regierungschefs lateinamerikanischer Staaten vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez bis hin zu seinem brasilianischen Amtskollegen Lula da Silva die Putschregierung unter Roberto Micheletti politisch isolieren und erklärten, nur den rechtmäßig gewählten Präsidenten Zelaya anzuerkennen, hätte es der US-Regierung unter Präsident Obama denkbar schlecht zu Gesicht gestanden, hätte sie nicht ebenfalls erklärt, nur Zelaya anerkennen zu wollen.

Die Realität sieht unterdessen gänzlich anders aus, als es die weltweit vermeintlich einheitliche Antiputschisten-Front vermuten lassen würde. So wird vielfach betont, Honduras sollte schnellstmöglich wieder zu verfassungskonformen Verhältnissen zurückkehren. Wenn diese Erklärung nicht sofort und unmittelbar mit der ebenso bedingungs- wie alternativlos formulierten Forderung nach der Rückkehr Zelayas in sein Amt verknüpft wird, läßt sie sich schnell als Bestandteil einer Desinformations- und Bagatellisierungskampagne entlarven, die aus einem Militärputsch so etwas wie einen Putsch "light" und im nächsten Schritt eine zwar illegal an die Macht gekommene, aber im übrigen doch irgendwie akzeptable "Interimsregierung" machen will, deren Legalitätsdefizit durch die Abhaltung baldiger bzw. der im November ohnehin bevorstehenden Präsidentschaftswahl behoben werden möge. Daß es sich bei einem solchen, vom putschenden Militär kontrollierten Urnengang um einen Vorgang handelt, durch den die von ihnen gewaltsam herbeigeführte und gegen die Politik des gewählten Präsidenten gerichtete "Korrektur" festgeschrieben werden soll, versteht sich von selbst, ficht die Kritiker "light" vom Schlage des zungenfertigen US-Präsidenten sowie seiner europäischen Partner jedoch nicht an.

Zur Desinformationskampagne gehört die in den westlichen Medien vielfach kolportierte These, Präsident Zelaya habe selbst die Verfassung gebrochen bzw., wie die Putschisten ihm zur Rechtfertigung ihres Tuns vorhalten, zahlreiche weitere Gesetze gebrochen. Welches Gesetz und welche Verfassung mandatiert jedoch die militärische Führung des Landes dazu, den gewählten Präsidenten gegen seinen Willen zu entmachten und gewaltsam außer Landes zu bringen mit der Begründung, daß gegen ihn der Vorwurf des Verfassungsbruchs erhoben wurde? Auf bundesrepublikanische Verhältnisse übertragen müßte man sich das in etwa so vorstellen, daß regierungskritische Kreise, die in hohen Staatsämtern und Gerichten sitzen, sich den Oberbefehl über die Bundeswehr aneignen und die Bundeskanzlerin, mit deren Politik sie nicht einverstanden sind, von Bundeswehrsoldaten festsetzen und verschleppen lassen, um anschließend angesichts aufkommender Proteste den Notstand ausrufen und sämtliche Grundrechte aufheben zu lassen...

Es fände sich wohl niemand, der ein solches, absurd anmutendes Vorgehen als demokratisch gerechtfertigt ansehen würde. Das Bundesverfassungsgericht als oberste Instanz über Fragen der Auslegung des Grundgesetzes hat in einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland keinen direkten Draht zur Bundeswehrführung, um diese selbst dann, wenn die Mehrheit der Richter und Richterinnen der Auffassung wären, die Kanzlerin hätte der Verfassung zuwider gehandelt, gewaltsam aus ihrem Amt zu entfernen. Das deutsche Grundgesetz sieht für solche oder ähnlich gelagerte Fälle ein Widerstandsrecht vor. So heißt es in Art. 20 Abs. 4 GG:

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Mit "dieser Ordnung" sind die in den vorherigen Absätzen festgelegten Verfassungsgrundsätze gemeint. In Honduras ist dem eigentlichen Putsch vom 28. Juni eine konzertierte Kampagne des Obersten Gerichtshofes, der Generalstaatsanwaltschaft, Teilen des Nationalkongresses, der Streitkräfte sowie des Obersten Wahltribunals vorausgegangen, bei der Zelaya vorgeworfen wurde, er habe mit dem von ihm anstrebten Referendum eine Verlängerung seiner Amtszeit durchsetzen wollen. Dies wäre tatsächlich eine Verletzung der Verfassung, die in Artikel 239 festlegt, daß Präsidenten nicht noch einmal als Präsidentschaftskandidaten antreten dürfen. Desweiteren wurde in den Artikeln 372 und 5 die Unabänderlichkeit dieses (und weiterer) Artikel explizit festgelegt, insofern ist die Verfassung in dem Punkt der Wiederwählbarkeit eines Präsidenten nicht reformierbar. Dies lag und liegt jedoch überhaupt nicht in der Absicht Zelayas, der vor und nach seinem Sturz einzig bekundete, seine bis zum 27. Januar 2010 andauernde Amtszeit zu Ende führen zu wollen.

Selbst wenn Manuel Zelaya, was nicht der Fall ist, mit der nicht bindenden Volksbefragung zu der Frage, ob parallel zu den im November stattfindenden Wahlen mit einer "Vierten Urne" über die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung abgestimmt werden soll, gegen die Verfassung verstoßen hätte, würde dies die von den Putschisten vollzogene Aufhebung der Verfassung niemals rechtfertigen können. Aus Sicht der politischen Gegner Zelayas wäre dies der Super-GAU, weil eine gewählte Nationale Verfassungsgebende Versammlung einen Entwurf für eine gänzlich neue Verfassung erarbeiten könnte, über die der eigentliche Souverän, das Volk, dann abstimmen würde. Wäre dies der Fall und würde eine völlig neue Verfassung vom Volk angenommen werden, würde die bisherige aus dem Jahre 1982 nicht in diesem oder jenem Punkt reformiert, sondern vollständig abgelöst werden. In einer neuen Verfassung könnte dann selbstverständlich auch die Frage der Beschränkung der Amtszeit eines Präsidenten anders als in der heute gültigen geregelt werden. Der Vorwurf des Verfassungsbruchs kann logischerweise nur in bezug auf die geltende Verfassung gemacht werden. Und diese schließt keineswegs die Möglichkeit ihrer Aufhebung aus, so sie in dem bereits angezeigten Rahmen - durch eine gewählte Nationale Verfassungsgebende Versammlung ausgearbeitet und dann dem Volk zur Abstimmung vorgelegt - durchgeführt werden würde.

Zu den Verfassungsbrüchen der Putschregierung zählt unter vielem anderen auch die Verschleppung des gestürzten Präsidenten ins Ausland, da die Verfassung die "gewaltsame Ausbürgerung" eines Staatsbürgers verbietet. Insofern kann Manuel Zelaya seine Rückkehr als amtierender Präsident wie auch als honduranischer Staatsbürger fordern. Am Montag forderte Zelaya in Managua, der Hauptstadt des Nachbarlandes Nikaragua, daß Roberto Micheletti noch in der laufenden Woche die Regierungsmacht an ihn zurückgeben müsse; andernfalls seien die in Costa Rica unter Vermittlung des costaricanischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Oscar Arias am vergangenen Donnerstag eingeleiteten Verhandlungen als gescheitert anzusehen und es würden "andere Maßnahmen" zur Anwendung kommen.

Einen Tag später rief Zelaya die Bevölkerung seines Landes zum Aufstand gegen die Putschisten mit den Worten auf: "Der Aufstand ist ein Recht des Volkes und ist in Artikel 3 der Verfassung von Honduras enthalten". Wenn die demokratische Ordnung in einem Land verletzt wird, sind Streiks und Demonstrationen, Besetzungen und ziviler Ungehorsam, so die Argumentation Zelayas, das konstitutionelle Recht der Bevölkerung. "Verlaßt nicht die Straßen, dies ist der einzige Raum, den sie uns nicht genommen haben", soll der gestürzte Präsident nach Angaben des lateinamerikanischen Nachrichtensenders TeleSUR erklärt haben. TeleSUR selbst hat inzwischen wie auch der staatliche venezolanische Kanal VTV der Gewalt der honduranischen Militärs weichen müssen. Die Mitarbeiter beider Sender, die einzigen ausländischen, die aus Honduras über den Putsch berichteten, wurden am vergangenen Sonntag verhaftet und des Landes verwiesen.

Die Putschisten der sogenannten Interimsregierung um Micheletti sind verstärkt dazu übergegangen, ihrem Regime einen scheinbar zivilen Anschein zu geben. Zu diesem Zweck wurde die nächtliche Ausgangssperre, die unmittelbar nach dem Putsch vor zwei Wochen verhängt wurde und aufgrund derer bereits 1270 Menschen verhaftet worden sind, am Sonntag aufgehoben. Doch da es in Honduras überhaupt keine freie Presse mehr gibt - die Medien, die erscheinen, befinden sich unter der Kontrolle der mit den Putschisten sympathisierenden Medienmogule -, steht zu befürchten, daß unter einer scheinbar geglätteten Oberfläche nur umso repressiver gegen die Putschgegner vorgegangen wird. Bei einer Pressekonferenz in der Hauptstadt Tegucigalpa erklärte der Putschpräsident Micheletti, die Lage im Land sei ruhig, regierungstreue Demonstranten hätten nichts zu befürchten. Es liegt auf der Hand, daß er mit "regierungstreu" die eigenen Anhänger meint und nicht die inzwischen zu einer "Nationalen Front gegen den Staatsstreich" zusammengeschlossenen oppositionellen Kräfte des Landes, die nach wie vor bedingungs- und alternativlos die Wiedereinsetzung Zelayas fordern.

Tatsächlich scheint das Micheletti-Regime mehr und mehr die Nerven zu verlieren. So soll Enrique Ortéz, der bei den Bestrebungen, dem Putschregime ein "ziviles" Äußeres zu verschaffen, die Rolle des honduranischen Außenministers wahrzunehmen versucht, den US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama in einem Interview mit dem honduranischen Fernsehkanal 5 als "negrito" (Negerchen) bezeichnet haben, "das keine Ahnung hat". Demnach haben die gegenwärtigen Machthaber in Tegucigalpa die feinen Nuancen der US-amerikanischen Außenpolitik, in der nach dem grobschlächtigen Wirken der Bush-Administration nun wieder große Sorgfalt darauf verwendet wird, die tatsächlichen eigenen Absichten und Handlungen hinter durchaus den gegenteiligen Eindruck erweckenden Erklärungen zu verbergen, nicht ganz durchschaut.

Ebenfalls am Sonntag schlug der Präsident Venezuelas, Hugo Chávez Frías, in seiner allwöchentichen Fernsehsendung "Aló, Presidente" deutliche Worte gegenüber seinem US-amerikanischen Amtskollegen an, ohne es - im Unterschied zum honduranischen "Außenminister" - am Respekt Obama gegenüber mangeln zu lassen [1]:

Obama, zieh die Gringo-Soldaten aus Honduras ab, entziehe den Putschisten jede Unterstützung, friere ihre Konten ein, entziehe ihnen die Visa, damit diese Regierung sofort abtritt. Damit würden Sie ihr Ende beschleunigen, denn sie beziehen ihren Sauerstoff aus dem Imperium.

Gleichwohl liegt auf der Hand, daß die verbale Entgleisung von Enrique Ortéz in Washington ignoriert werden wird, während Chávez einmal mehr unter Beweis gestellt hat, warum er von der neuen US-Regierung ebensowenig wertgeschätzt wird wie von der vorherigen. Seinen Argumenten zufolge müßte Obama Taten folgen lassen, die er keineswegs zu vollziehen bereit sein kann. Schließlich unterhält das US-Militär in Honduras seinen größten Stützpunkt in Mittelamerika, was letzten Endes ganz Honduras zu einem Stützpunkt US-amerikanischer Hegemonialpolitik macht mit all den (Putsch-) Folgen, die dies für die honduranische Bevölkerung, wie jetzt geschehen, nach sich ziehen kann.

[1] Zitiert aus: Bulletin der Botschaft der Bolivarischen Republik Venezuela in der Bundesrepublik Deutschland, Nr. 16, 14. Juli 2009, ABN, 12.07.2009

15. Juli 2009