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DILJA/1184: Sri Lanka - Das vergessene Sterben vergessener tamilischer Kriegsopfer (SB)


Schleichender Völkermord - 300.000 Tamilen befinden sich noch immer in der Gewalt der srilankischen Armee

Woche für Woche sterben 1400 Internierte an Seuchen bzw. Mangelversorgung


Wenn es denn so etwas gäbe wie "die Weltöffentlichkeit", konzipiert als eine suprastaatliche mediale Entität, die mit der zu Gebote stehenden Wachsamkeit, Umsicht und politischen Unbeugsamkeit über die Lebensverhältnisse in allen Winkeln der Erde zum Schutz betroffener Menschen vor gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Folter, Kriegsverbrechen und Völkermord, könnte ihr ruhigen Gewissens nachgesagt werden, daß sie komplett Augen und Ohren verschließt vor der humanitären Katastrophe, die sich derzeit, und zwar schon seit Monaten, in Sri Lanka abspielt. Nachdem der srilankische Präsident Mahinda Rajapakse am 19. Mai die totale Niederlage der tamilischen Befreiungsbewegung verkündet und dieser "Sieg" in der srilankischen Hauptstadt Colombo noch über Wochen mit militärischen Triumphparaden gefeiert worden war, sind hunderttausende tamilische Kriegsüberlebende noch immer der völligen Willkür und Gewalt der srilankischen Armee ausgesetzt.

Die Zahl der seit Monaten unter menschenunwürdigsten und lebensbedrohlichen Bedingungen in Lagern Internierten wird auf 300.000 geschätzt. Auf internationale Hilfe hoffen die verzweifelten Menschen vergeblich. Die Regierung in Colombo verwehrt den Hilfsorganisationen den Zugang zu den Internierungslagern, wohlwissend, daß durch solche Kontakte Berichte über die dortigen Verhältnisse an die wenn auch nur mäßig interessierte Weltöffentlichkeit gelangen würden. Gegen diese Blockadehaltung vermochte auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nichts auszurichten. Seine bereits Ende Mai erhobene Forderung, den Hilfsorganisationen endlich Zugang zu den Lagern zu verschaffen, verhallte vollkommen wirkungslos. Doch nicht nur das. Die Vereinten Nationen verhalfen dem Regime in Colombo sogar noch zu einer pseudorechtlichen Absicherung seines den Verdacht eines geplanten Völkermords an der tamilischen Bevölkerung nahelegenden Tuns, indem der für diese Frage zuständige UN-Menschenrechtsrat in einer Sondersitzung am 27. Mai eine Resolution verabschiedete, in der die Haltung der srilankischen Regierung, den internationalen Hilfsorganisatinen erst dann Zugang zu den Lagern zu gewähren, wenn sie dies für angebracht halte, ausdrücklich gutgeheißen wurde.

Eine einzige Ausnahmeerlaubnis erhielt der UN-Generalsekretär selbst, und so nahm Ban Ki Moon die Option eines Kurzbesuchs in einem von Dutzenden Lagern wahr. Sein Fazit war unmißverständlich, doch verhallte ebenso wirkungslos wie sein gesamter Besuch. Er habe "nirgendwo schlimmere Szenen gesehen", erklärte Ban anschließend vor Medienvertretern, die als Multiplikatoren spezifischer, international organisierter Interessenallianzen in Erscheinung traten und nichts, aber auch wirklich nichts unternahmen, um die Positionierung der sogenannten Weltöffentlichkeit auch nur um ein Jota zugunsten der srilankischen Tamilen zu verschieben. Der UN-Menschenrechtsrat nahm eine von Colombo selbst vorformulierte Resolution an, womit sich nicht nur dieses angeblich der Wahrung bzw. Durchsetzung der Menschenrechte verpflichtete UN-Gremium selbst deklassierte, sondern sich die Vereinten Nationen insgesamt als Büttel von wem auch immer zu erkennen gaben.

Mit anderen Worten: Auch nach dem von Colombo verkündeten Kriegsende können die srilankischen Militärs mit ihren Kriegsgegnern - und zu solchen haben sie die gesamte tamilische Bevölkerung, die sich im Nordosten der Insel in dem einst von den Tamilentigern der LTTE kontrollierten und unter dem Dauerfeuer der Armee zusammengeschrumpften Gebiet befunden haben, de facto erklärt - ohne jede Rücksicht verfahren, ganz wie es ihnen beliebt. Mehr als zwei Monate nach Kriegsende befinden sich ohne Aussicht auf baldige Rückkehr in ihre Heimatdörfer oder Freilassung wohin auch immer rund dreihunderttausend Tamilen in riesigen Internierungslagern, die die Regierung in blankestem Zynismus "Wohltätigkeitslager" nennt.

Diese "Wohltätigkeit" sieht so aus, daß sich in Manik Farm, einem rund 30 Kilometer von Vavuniya entfernt liegendem Lager, 160.000 tamilische Flüchtlinge bzw. Kriegsüberlebende befinden, die aus dem letzten Gebiet stammen, das von der Armee bombardiert wurde. Im weiteren Umfeld von Vavuniya befinden sich weitere 32 Lager mit weiteren 130.000 Internierten, während auf der Insel Jaffna abermals 10.000 gefangengehalten werden. Alle von Zäunen und Stacheldraht umgebenen Lager stehen unter der Kontrolle des Militärs. Die Versorgung der eingeschlossenen Menschen, zu denen dem Roten Kreuz der Zugang total versagt wird, ist so katastrophal, daß es unter den Bedingungen räumlicher Enge, fehlender Grundversorgung und mangelnder medizinischer Versorgung zu Seuchen und Krankheiten gekommen ist, die wie heimliche Waffen des srilankischen Militärs dessen mit Kriegsende vermeintlich beendetes Tötungswerk in aller Stille fortsetzen.

Wie die britische Times in der zweiten Juliwoche unter Bezugnahme auf Angaben internationaler Hilfsorganisationen berichtete, sterben allein in dem größten Internierungslager bei Manik Farm Woche für Woche 1.400 Menschen infolge von Seuchen. Die meisten Todesfälle sollen auf unzureichende Lebensbedingungen wie unsauberes Trinkwasser und dadurch resultierende Krankheiten wie Durchfall ausgelöst worden sein, was jedoch in dieser Formulierung noch eine viel zu große Nähe zu einer medizinischen Katastrophe unterstellt, so als sei die Regierung in Colombo nicht in vollem Umfang verantwortlich für das Leben hunderttausender Menschen, die sie kraft ihres militärischen Gewaltmonopols und angesichts des völligen Mangels internationaler Einwände oder gar Druckmittel ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit und womöglich sogar ihres Lebens beraubt.

Am 29. Mai hatte die Londoner Times bereits enthüllt, daß es in den letzten beiden Maiwochen zu einem regelrechten Massaker unter tamilischen Zivilisten gekommen ist, zu unvorstellbaren Greueln, bei denen 20.000 Menschen getötet wurden. Am 3. Juni wies die Regierung in Colombo die international erhobene Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung nicht nur dieser, sondern auch der gegen die tamilischen Rebellen erhobenen Vorwürfe brüsk zurück, und so wird aller Voraussicht nach niemals offiziell ans Tageslicht gebracht werden, was in dieser letzten Phase des Krieges im Nordosten der Insel tatsächlich geschah. Mit derselben Unangreifbarkeit setzt die Regierung in Colombo ihre "Tamilenpolitik" fort, wobei sich Präsident Mahinda Rajapakse als Meister zynischster Versprechen erwies. Es sei, so erklärte er Anfang Juni in der ansonsten verbotenen tamilischen Sprache, nun an der Zeit, die "Herzen der Tamilen zu gewinnen", die "ohne Angst und Mißtrauen leben können" sollten.

Zur selben Zeit unterzogen die Militärs die internierten, ganz gewiß in großer Angst, Mißtrauen und Not lebenden Tamilen in den Lagern ihren Verhören, um, wie es offiziell hieß, "abgetauchte Rebellen zu finden". Allerdings wurden auch die Lager, die vom Militär nach Angehörigen und Anhängern der LTTE durchsucht worden waren, weder aufgelöst, noch deren Bewohner freigelassen. Da die erste behauptete Begründung gegenstandslos geworden war, wurde nun erklärt, die Fortsetzung der Internierung würde zum Schutz der Gefangenen geschehen; schließlich sei "jeder Quadratzentimeter von der LTTE vermint worden", wie Präsident Rajapakse wenig später gegenüber einer indischen Zeitung erklärte.

Rajapakse wies jede Verantwortung für die katastrophalen Zustände in den Lagern einerseits von sich und suchte sie andererseits auf die Schultern der EU, der Vereinten Nationen sowie der Nichtregierungsorganisationen umzulasten, indem er erklärte, daß die von der EU für die Sanitäranlagen gestellten Gelder an die UN sowie die NGOs weitergeleitet, von diesen jedoch nur "sehr langsam" ausgezahlt werden würden. "Ich möchte sagen, daß die Situation in unseren Lagern bestens ist. Wir versorgen die Leute mit Wasser. Es gibt Probleme mit den sanitären Anlagen. Das ist aber nicht unsere Schuld", so das Rechtfertigungskonstrukt des srilankischen Präsidenten, der ganz offensichtlich gewillt ist, das vergessene Sterben der vergessenen tamilischen Kriegsopfer auch weiterhin geschehen zu lassen.

29. Juli 2009