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DILJA/1204: Zbigniew Brzezinski - ein US-Stratege deutet Ziele des Afghanistankrieges an (SB)


Der US-Geostratege Zbigniew Brzezinski hält am Afghanistan-Krieg fest

Der Vordenker der "afghanischen Falle" deutet Ziele der NATO an


Laut Umfrageergebnissen ist die Unterstützung der US-amerikanischen Bevölkerung für den Krieg ihrer Regierung in Afghanistan im Schwinden begriffen. Nur noch 46 Prozent zeigten sich demnach mit der Kriegspolitik der Obama-Regierung im fernen Afghanistan einverstanden, woraus sich ein deutlicher Rückgang ablesen läßt gegenüber einer noch im Juli festgestellten Zustimmungsquote von 55 Prozent. Mit den Ereignissen des 11. September 2001 bringen viele der Befragten diesen Krieg nicht mehr in Verbindung. Vielfach werden Zweifel geäußert, ob er überhaupt zu gewinnen sei und die Frage aufgeworfen, was "Gewinnen" in diesem Krieg überhaupt bedeute. Kurzum, die mangelnde politische Akzeptanz der amerikanischen Bevölkerung für die Kriegführung ihres Landes inmitten der eurasischen Landmasse droht für die Regierung zu einem ernsten Problem auswachsen zu können. Mehr und mehr US-Amerikaner scheinen mehr Instinkt und politisch-militärische Klarsicht als ihre gewählten Repräsentanten aufzuweisen, wird doch in zunehmendem Maße die Sorge formuliert, ob Afghanistan nicht für die USA ein "zweites Vietnam" werden könnte. Abzugsforderungen wurden jüngst sogar von führenden konservativen Kommentatoren wie etwa George F. Will von der Washington Post formuliert.

Quo vadis, Amerika? Ein Strategieexperte, der wie wohl kaum ein zweiter seines Fachs auf diese Frage Antwort geben könnte, ist der legendäre Geostratege Zbigniew Brzezinski, der Gerüchten zufolge schon im vergangenen Jahr außenpolitischer Berater des inzwischen amtierenden Präsidenten Barack Obama geworden sein soll. Jüngsten Informationen [1] zufolge soll er im erweiterten Beraterkreis der Regierung Obama, der sich über die Zukunft der NATO Gedanken machen soll, tätig sein. Neben Henry M. Kissinger und Samuel P. Huntington gilt Brzezinski als einer der führenden Altmeister unter den US-Geostrategen. Ihm haftet das zweifelhafte Verdienst an, in seiner Zeit als Sicherheitsberater des damaligen US-Präsidenten James Carter von 1977 bis 1981 maßgeblich an der "afghanischen Falle" mitgewirkt zu haben, durch die es, Brzezinskis eigenen Worten zu Folge, gelungen sei, der Sowjetunion "ihr Vietnam" zu bescheren. Bekanntlich haben die USA damals die "Talibanisierung" Afghanistans vorangetrieben, um den großen Systemgegner Sowjetunion in einen für ihn aufreibenden und ungewinnbaren Krieg zu locken.

Die "Falle Afghanistankrieg" scheint denn auch, vom Ergebnis, der vermeintlichen Selbstauflösung der Sowjetunion, aus rückgeschlossen, aufgegangen zu sein. Wenn also Brzezinskis damaliges und auf der Einschätzung, daß die afghanische Bevölkerung sich niemals durch eine ausländische Militärmacht beherrschen und diese in ihren Land akzeptieren würde, beruhendes Kalkül aufgegangen ist, müßte er dann aus denselben Gründen nicht dringend davon abraten, daß die USA bzw. die NATO ihren Krieg in Afghanistan ungeachtet der von vielen Militärexperten bereits als hoffnungslos eingeschätzten Lage weiterführen, um nicht durch ein "zweites Vietnam" innen- wie außenpolitisch Ansehen und Einfluß zu verlieren? Brzezinski jedoch scheint von seinen Kenntnissen und Einschätzungen früherer Jahrzehnte heute nichts mehr wissen zu wollen.

Zu der Frage, wie die Zukunft der NATO zu gestalten sei, hat Brzezinski unlängst einen in der jüngsten Ausgabe der US-amerikanischen Zeitschrift für außenpolitische Fragen, "Foreign Affairs" dargelegten Plan ausgearbeitet, in dem es neben allen allgemeinstrategischen Fragen, die die Zukunft der NATO betreffen, auch um die Fortsetzung des Afghanistankrieges geht. Der neue Brzezinski-Plan wurde keineswegs für die Schublade geschrieben, hat doch der neue NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bereits angekündigt, ihn prüfen zu wollen.

Somit kann sehr wohl damit gerechnet werden, daß die Ausführungen Brzezinskis auf die eine oder andere Weise die Politik und strategische Ausrichtung der NATO mitgestalten werden. Im Zuge seiner gesamten Ausführungen scheint der Stratege deutlich machen zu wollen, warum die Fortsetzung des Afghanistankrieges alternativlos sei. So führt er aus, daß sich "das wirtschaftliche und politische Gewicht der Welt in den asiatisch-pazifischen Raum" [1] verlagert, während sich die "globale Sicherheitslage Zug um Zug verschlechtert" habe. Die NATO habe, Brzezinski zufolge, vier Herausforderungen zu meistern, worunter - wen wundert's? - die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie gehöre, um das "Engagement am Hindukusch erfolgreich" zu gestalten. Den NATO-Staaten schrieb der US-Stratege ins Handbuch, daß ein Rückzug aus Afghanistan "die Glaubwürdigkeit der NATO untergraben" würde und "den Extremisten in Afghanistan und Pakistan die Kontrolle über 200 Millionen Menschen ermöglichen werde".

Dies sind, bedenkt man die hehren Ziele, mit denen der Krieg in Afghanistan, der unter dem jetzigen Präsidenten mehr noch als unter seinem Amtsvorgänger Bush auf das Nachbarland Pakistan ausgeweitet wurde, zu rechtfertigen versucht wurde, recht klare Worte. Die NATO würde, folgt man Brzezinskis Argumentation, durch ihre Kriegführung in Afghanistan (und Pakistan) die Kontrolle über 200 Millionen Menschen beanspruchen bzw. gewaltsam durchsetzen wollen. Mit "Verteidigung" hat ein solches, hegemonialstrategisches Ziel selbstverständlich nicht das allergeringste zu tun, und so ist es nur folgerichtig, daß Brzezinski unter den Anforderungen, denen sich die NATO seiner Meinung nach zu stellen habe, auch die Abkehr von ihrem bisherigen, wenn man so will basisdemokratischen Prinzip fordert.

Bislang konnten Kriegseinsätze der NATO nur im Einstimmigkeitsverfahren beschlossen werden, womit jedem Mitgliedsland faktisch ein Veto-Recht zukam. Damit soll es nach Brzezinskis Vorstellungen bald vorbei sein; der US-Stratege möchte den Begriff "kollektive Sicherheit" neu definiert sehen und die Allianz endgültig zu einer Kriegsallianz umformen. Es dürfe nicht sein, daß ein oder zwei Mitgliedsländer gegenüber Mehrheitsentscheidungen (zur Kriegführung) ein Veto einlegen können; zudem wäre es wünschenswert, wenn Mitglieder, die ihren Bündnis- (also Kriegführungs-) Pflichten nicht nachkommen, aus der NATO ausgeschlossen werden können. Da Brzezinski die Position bezogen hat, daß die Fortsetzung des Afghanistankrieges für die NATO alternativlos sei, läßt sich hieraus ablesen, daß die NATO seinem Plan zufolge endgültig zu einem Militärapparat zur Durchsetzung westlicher Hegemonialbestrebungen ausgebaut werden soll.

[1] Neue Agenda für die NATO. Sechzig Jahre nach ihrer Gründung befindet sich die transatlantische Allianz auf dem Selbstfindungstrip. Zbigniew Brzezinski weiß, wie ihr dabei geholfen werden kann, von Rudolf Maresch, telepolis, 14.9.2009, http://www.heise.de/tp/blogs/8/145248

16. September 2009