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DILJA/1237: "Viva Palästina" durchbricht Blockade - Israel läßt Bomben sprechen (SB)


Der Hilfskonvoi "Viva Palästina" durchbricht die Gaza-Blockade

Internationale Solidarität mit den Bewohnern des größten Freiluftgefängnisses der Welt führt zu israelischen Luftangriffen


Die Nachrichtenagentur Reuters meldete am heutigen Freitag um 7.53 Uhr unter Berufung auf eine Mitteilung der im Gazastreifen regierenden Hamas vom Vorabend, daß ein Kampfflugzeug der israelischen Luftwaffe ein Gebäude in Gaza-Stadt beschossen habe. Berichte über mögliche Opfer wie auch eine Stellungnahme des Militärs lagen zunächst nicht vor. Der israelischen Presse war zu entnehmen, daß der Angriff einer Waffenfabrik gegolten habe. Dieser Luftangriff, so Reuters, "ist offenbar der erste auf die dicht besiedelte Stadt seit der dreiwöchigen israelischen Offensive vor einem Jahr". Bei diesem einen Luftangriff blieb es nicht. Wenig später griff die israelische Armee Augenzeugenberichten zufolge mit zwei Raketen Ziele in der im südlichen Gazastreifen gelegenen Stadt Chan Junis an. Auch hier gab es zunächst keine Meldungen über mögliche Opfer, wohl aber die die Raketenangriffe vermeintlich rechtfertigende Erklärung, sie seien eine Reaktion auf rund ein Dutzend aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgefeuerte Raketen und Werfergranaten, durch die nach Angaben des israelischen Militärs keinerlei Schäden entstanden seien.

Aus diesen eher dürren Worten einer Agenturmeldung läßt sich schwerlich herauslesen, welche Ängste und Schrecken die jüngsten Luftangriffe Israels unter den im Gazastreifen unter schärfsten Blockadebedingungen lebenden anderthalb Millionen Palästinensern ausgelöst haben müssen. Die Angriffe blieben auf palästinensischer Seite nicht ohne schwerwiegende Folgen. So meldete eine österreichische Zeitung [1] um 12.32 Uhr, daß die israelische Luftwaffe das palästinensische Küstengebiet angegriffen habe, "um Schmugglertunnel zu zerstören" und daß nach den Angriffen im Gazastreifen drei Leichen geborgen wurden. Unter Berufung auf Armeeangaben berichtete die "Kleine Zeitung", daß zwei Schmugglertunnel in Rafah, eine Metallwerkstatt zur Waffenherstellung in Gaza sowie ein weiterer Tunnel im mittleren Gazastreifen angegriffen wurden. Zur Begründung wurde angeführt, daß "militante Palästinenser" versucht hätten, einen kilometerlangen Tunnel in Richtung des Grenzzauns zu graben.

Yahoo wiederum meldete am Morgen unter Berufung auf palästinensische Sanitäter und Vertreter der Sicherheitsbehörden im Gazastreifen, daß in der vorangegangenen Nacht ein Mensch getötet und zwei weitere verletzt worden seien [2]. Israel habe insgesamt sieben Ziele angegriffen. Zuvor habe die Luftwaffe über dem Gazastreifen tausende Flugblätter abgeworfen, in denen die palästinensische Bevölkerung aufgefordert wurde, einen Mindestabstand von 300 Metern zur israelischen Grenze zu wahren. Der Zeitpunkt dieser Luftangriffe wird kaum zufällig gewählt worden sein, jährt sich doch gerade in diesen Tagen der dreiwöchige Bombenkrieg von Januar 2009 zum ersten Mal. Unter Begründungen oder vielmehr Rechtfertigungsversuchen, die den aktuellen bis aufs I-Tüpfelchen gleichen, wurde ein Vernichtungsfeldzug gegen die Bevölkerung des Gazastreifens eingeleitet, deren katastrophale Folgen durch die im Anschluß sogar noch verschärfte Blockadepolitik bis heute Wirkung zeigen.

Ohne von der internationalen Gemeinschaft und seinen westlichen Verbündeten zur Verantwortung gezogen oder auch nur gerügt worden zu sein, hat Israel in dem Gazakrieg von 2009, wie der britische Unterhausabgeordnete George Galloway es ausdrückte, "auf kriminelle Weise in 22 Tagen Krieg 1400 Menschen getötet, die meisten von ihnen Frauen und Kinder und Zivilisten" [3]. Bezeichnenderweise kamen ungeachtet internationaler Untersuchungen über das völkerrechtswidrige Vorgehen Israels einzig zwischen Tel Aviv und den Vereinten Nationen Verhandlungen über von Israel zu leistende Entschädigungszahlungen zustande, über die im Grundsatz eine Einigung erzielt worden sein soll. Die auf UN-Einrichtungen im Gazastreifen durchgeführten Luftangriffe vom Vorjahr sollen demnach, wie die BBC berichtete, mit einer Summe von sieben Millionen Euro beglichen werden.

Die Palästinenser hingegen kommen in dieser Rechnung überhaupt nicht vor, was im Umkehrschluß bedeutet, daß die internationale Gemeinschaft die ihnen zugefügten "Schäden" von israelischer Seite aus für nicht erstattungspflichtig erachtet. Mit anderen Worten: Der Gazakrieg Israels fand und findet noch immer die wenn auch klammheimliche Unterstützung durch die führenden westlichen Staaten. Wäre dem nicht so, hätte die gegen die Bevölkerung des Gazastreifens nach dem Wahlsieg der Hamas verhängte Blockade, die bis heute die Behebung der Kriegs- und Kriegsfolgeschäden verhindert, nicht auf ein wenn auch beredtes Schweigen stoßen können. Dieses Schweigen ist jedoch in diesen Tagen von einer internationalen Solidaritätsbewegung durchbrochen worden. Eine Hilfsgüterkarawane, die von dem britischen Abgeordneten und früheren Arafat-Vertrauten Galloway mitorganisiert wird, hätte der ursprünglichen Planung zufolge bereits am 27. Dezember 2009 den Gazastreifen erreichen wollen, um angesichts des ersten Jahrestages des israelischen Bombenkrieges praktische Solidarität zu zeigen.

Rund 1400 Aktivisten aus 43 Ländern hatten sich zum Jahreswechsel in der ägyptischen Hauptstadt Kairo gesammelt, um von dort aus mit dem Konvoi "Viva Palästina" Hilfsgüter nach Gaza zu bringen. Ihr Versuch, die bereits seit 42 Monaten andauernde Blockade, die ohne die Beteiligung Ägyptens ihre strangulierende Wirkung auf die im Gazastreifen lebenden Palästinenser niemals hätte entfalten können, zu durchbrechen, scheiterte jedoch zunächst an den massiven Behinderungen der ägyptischen Behörden, die dem Konvoi und seinen 220 Fahrzeugen ungeachtet vorheriger Absprachen zunächst die Weiterfahrt verwehrte und sogar gewaltsam gegen die Aktivisten vorgingen. Am gestrigen Donnerstag gelang dann doch, was in arabischen Medien als ein Durchbruch gefeiert wurde - die Passage über den Grenzübergang Rafah. Nach stundenlangen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten ägyptischen Soldaten und protestierenden Palästinensern konnte der Konvoi in wenn auch reduzierter Stärke nach Gaza fahren.

"Die Leute hier in Gaza haben unsere Solidarität verdient", erklärte ein irischer Aktivist gegenüber einem iranischen Fernsehsender [3] und gab zugleich ein Beispiel für das politische Verständnis der Konvoi-Teilnehmer, die "Viva Palästina" als internationale Solidarität begreifen: "Wir brauchen eine Massenbewegung im Westen und in der arabischen Welt, um die Belagerung zu brechen." Das allerdings sind Worte, die weder die israelische Regierung noch ihre westlichen Verbündeten gerne hören. Die am selben Tag erfolgten Luftangriffe der israelischen Armee, mögen sie auch in sattsam bekannter Manier der Zerstörung der aus palästinensischer Sicht überlebenswichtigen Tunnel gewidmet oder als Reaktion auf palästinensische Raketenangriffe, die in Israel nicht die geringsten Schäden angerichtet haben, ausgegeben worden sein, stehen somit in dem Verdacht, eine Verbreiterung der internationalen Solidarisierung mit der wie in einem Gefängnis lebenden Gaza-Bevölkerung zu verhindern. Daß der Hilfskonvoi entgegen vorheriger Behinderungen am Ende doch noch nach Gaza gelassen wurde, könnte somit der perfiden Absicht entsprungen sein, die internationalen Aktivisten in Gaza ganz unmittelbar damit zu konfrontieren, was es heißt, sich mit den hier lebenden Palästinensern solidarisch zu zeigen.

[1] Israelische Luftangriffe im Gazastreifen, Kleine Zeitung, Österreich, 8.1.2010,
http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/politik/2260155/israelische-luftangriffe-gazastreifen.story

[2] Ein Toter bei israelischen Luftangriffen im Gazastreifen, Yahoo, 8.1.2010,
http://de.news.yahoo.com/2/20100108/tts-ein-toter-bei-israelischen-luftangri-c1b2fc3.html

[3] Belagerung durchbrochen - Hilfskonvoi "Viva Palästina" erreicht nach mehreren Wochen Einwohner im Gazastreifen. Internationale Proteste gegen Israel am 16./17. Januar geplant, von Karin Leukefeld, junge welt vom 08.01.2010

8. Januar 2010