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DILJA/1402: Verfügungsobjekt Trinkwasser (SB)


Die Europäische Union treibt die Privatisierung des Wassers voran



Wasser - nichts ist elementarer für das Überleben eines Menschen. Die Zeit, in der ein Mensch ohne Trinkwasser überstehen kann, läßt sich in Stunden, bestenfalls Tagen beziffern. Da der Zugang zum Wasser für alle Menschen extrem existentiell ist, hat sich in vielen Kulturen der Brauch etabliert, selbst unter Kriegsbedingungen dem Feind nicht das Wasser zu sperren. Die Anrainerstaaten des Nils beispielsweise sollen dies lange Zeit so gehandhabt haben, und so galt es unter ihnen als das größte Tabu, den weiter flußabwärts lebenden Menschen das Wasser zu sperren oder zu vergiften. Ob dies tatsächlich und unter allen Umständen auch respektiert wurde, darf und muß bezweifelt werden. Gleichwohl klingt in solchen Überlieferungen ein Respekt vor dem Lebensrecht anderer an, das zu verletzen eine Tabugrenze darstellt, die nicht mißachtet wurde, um nicht selbst von einem weiter flußaufwärts lebenden Gegner in dieselbe Lage gebracht zu werden.

Die Idee, aus dem Wasser eine Handelsware zu machen und auf diese Weise das wichtigste Überlebensmittel nahezu aller Lebewesen einem sogenannten Marktmechanismus zu unterwerfen, ist nicht neu. Im Kern bedeutet dies, den Zugang zum Wasser und damit auch zum Trinkwasser von einer Gegenleistung, nämlich der Bezahlung der Wassernutzungsgebühren oder ähnlichem, abhängig zu machen. Was aber geschieht mit den Menschen, die die erforderlichen finanziellen Mittel dafür nicht aufbringen und nicht am "Wassermarkt" teilhaben können? Wie ist es mit dem Selbstverständnis und demokratischen Anspruch eines Staates wie der Bundesrepublik Deutschland zu vereinbaren, wenn Wasserwerke den aus ihrer Sicht säumigen Kunden, um den Druck zu erhöhen, das Wasser abstellen? So wie es heute noch in anderen Regionen der Erde üblich ist, wird es auch in den nördlichen Breitengraden einmal Zeiten gegeben haben, in denen es eine Selbstverständlichkeit war, daß in den Dörfern und Städten der Zugang zum Wasser für alle Menschen gleichermaßen offen war.

Wenn infolge der Entscheidung des EU-Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz vom 24. Januar 2013 für eine Konzessionsrichtlinie, die nach Ansicht ihrer Kritikerinnen und Kritiker den klammheimlichen Einstieg in eine EU-weite Privatisierung des Wassers darstellt, über diese kontroverse Frage verstärkt in Medien und Öffentlichkeit berichtet wird, gerät leicht in Vergessenheit, daß der bisherige Status Quo einer vorwiegend in öffentlich-kommunaler Hand liegenden Wasserversorgung keineswegs unproblematisch ist, da der Sprung von einem tatsächlich öffentlichen und jedem Menschen zugänglichen Allgemeingut zu einer Ware, für deren Erwerb bzw. Nutzung gezahlt werden muß, längst vollzogen worden ist. Dies soll die Bedenken und Argumente der Kritikerinnen und Kritiker, die sich in Deutschland über Parteigrenzen hinweg zu Wort melden, keineswegs schmälern, sondern lediglich deutlich machen, daß der Frontalangriff, der jetzt allem Anschein nach seitens der EU-Administration vorbereitet und durchgeführt wird, ohne die Wünsche und Vorstellungen der betroffenen Bevölkerungen zu berücksichtigen, eine lange Vorgeschichte hat.

Wie in einem Monitor-Beitrag im Dezember 2012 angeführt, wollen "82 Prozent der Deutschen, dass die Städte und Gemeinden die Wasserversorgung organisieren" [1]. Mit anderen Worten: Die jetzigen Regelungen weisen eine hohe Akzeptanz auf. Warum also, so wäre zu fragen, sollte an ihnen grundlegend etwas geändert werden? Christian Ude, SPD-Oberbürgermeister von München, sparte denn auch nicht mit Kritik an dem EU-Vorhaben, die bisher in kommunaler Hand liegende Trinkwasserversorgung für private Unternehmen zu öffnen, indem sie einer Ausschreibung unterworfen werden müssen. Um das bewährte Versorgungssystem aufrechtzuerhalten, müßten die Städte gezwungenermaßen einen großen und teuren bürokratischen Aufwand betreiben, so Ude. Seiner Einschätzung nach würden Großkonzerne immer wieder neue Anläufe machen, um über die EU Zugang zu "geöffneten Märkten" zu bekommen, selbst wenn das gar nicht im Interesse der Bürger sei [2]. Der Münchner Oberbürgermeister und Spitzenkandidat der bayrischen SPD wandte sich laut Spiegel direkt an die EU mit dem Appell, "auf keinen Fall die Privatisierung der Wasserversorgung durch die Hintertür einzuführen" [3]. Will man den EU-Verantwortlichen Glauben schenken, habe sie das auch gar nicht vor.

Mit seiner kritischen Haltung steht Ude in Bayern keineswegs allein. So ist es denn auch die bayrische CSU, die geradezu aufmüpfig Stellung bezieht. In einem unter Federführung von Generalsekretär Alexander Dobrindt verfaßten internen Papier zur Vorbereitung der nächsten Vorstandssitzung im Februar soll, wie der Spiegel in Erfahrung gebracht haben will, der Satz stehen: "Wenn die EU-Kommission die Zwangsprivatisierung der Wasserversorgung anordnen sollte, dann wird das in Bayern nicht umgesetzt". Ein solcher Ungehorsam, so sei dem CSU-Papier weiter zu entnehmen, sei "nichts anderes als ein Akt der Notwehr", brächten doch die Privatisierungspläne der EU-Kommission nur internationale Großkonzerne als Gewinner hervor [3]. Wer nun glaubt, sich verlesen zu haben und in ein Positionspapier beispielsweise der Linkspartei gerutscht zu sein, irrt, lehnt doch tatsächlich die CSU den Ausverkauf des Wassers an profitorientierte Großkonzerne ab und macht darüber hinaus geltend, daß die Privatisierungspläne schon wegen der hohen Sicherheits- und Qualitätsansprüche, die an die Trinkwasserversorgung zu stellen sind, bedenklich seien.

Wie steht es aber nun um die Stellungnahme beteiligter EU-Abgeordneter, die erklären, daß die geplante Konzessionsrichtlinie keineswegs eine Privatisierungsrichtlinie sei? Die SPD-Abgeordnete im EU-Parlament Evelyn Gebhardt beispielsweise behauptete angesichts vieler Mails besorgter Bürger, die bei den EU-Parlamentariern einträfen, daß es bei der EU-Konzessionsrichtlinie "absolut nicht um die Liberalisierung oder Privatisierung des Wassers" gehe [4]. Michel Barnier, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, vertritt denselben Standpunkt und behauptet, daß es um Transparenz bei der Auftragsvergabe gehe. In dieser Begründung steckt eine kaum verhohlene Bezichtigung an die bisherigen Betreiber bzw. kommunalen Auftraggeber, denen, wenn auch indirekt, Korruption unterstellt wird.

Christiane Brunner, Sprecherin der Grünen in Österreich, formulierte ihre Kritik an den EU-Plänen folgendermaßen [5]:

Durch diese EU-Richtlinie können Gemeinden nicht mehr frei entscheiden, wie sie die öffentliche Wasserversorgung vor Ort organisieren. Die Vergabe an öffentliche Unternehmen, wie sie heute gängige Praxis ist, wäre so nicht mehr möglich, es müsste europaweit ausgeschrieben werden.

Brunner stellte richtig, daß es der umstrittenen Richtlinie zufolge zwar möglich sei, daß die Gemeinden die Wasserversorgung selbst übernähmen, doch würden viele das aus finanziellen Gründen gar nicht schaffen können. So habe es sich eingebürgert, diese kommunale Aufgabe an Wasserverbände oder -genossenschaften zu delegieren, die nicht gewinnorientiert arbeiten würden und öffentlicher Kontrolle unterlägen. Durch die Konzessionsrichtlinie würden solche Regelungen, so Brunner, wahrscheinlich nicht mehr möglich sein, da solche Ausschreibungen dann europaweit erfolgen müßten. EU-Kommissar Barnier habe dafür zur Begründung angegeben, es sei das Ziel der EU- Kommission, Wettbewerb und Chancengleichheit zwischen den Unternehmen zu gewährleisten, aber auch in Zeiten leerer öffentlicher Kassen eine bessere Kontrolle über die Verwendung der Steuergelder zu erlangen [5].

Brüssel will also kontrollieren, wie in deutschen, französischen, spanischen und allen weiteren Kommunen und Regionen die Wasserversorgung gehandhabt und geregelt wird? Der Binnenmarktausschuß hat die entsprechende Vorlage mit 28 zu 10 Stimmen angenommen. In einigen Wochen soll nun im Plenum des EU-Parlaments darüber abgestimmt werden. Kritische Stimmen werden auch unter den EU-Abgeordneten laut. So sprach sich Josef Weidenholzer, Europaabgeordneter der SPÖ, gegen die Behauptung Barniers aus, die Richtlinie werde bewußt fehlinterpretiert. Es stimme, so Weidenholzer, daß "die Richtlinie zu keiner automatischen Privatisierungspflicht für öffentliche Dienstleistungen führt". Doch "als Konsequenz einer Konzessionenrichtlinie müssten Gemeinden und Städte europaweit ausschreiben - zum Vorteil privater Konzerne, aber zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger." [6]

Der österreichische Sozialdemokrat spricht von einer Privatisierung durch die Hintertür. Zwar werde sie in der Richtlinie nicht zwingend vorgeschrieben, doch sobald eine Gemeinde dies auf finanziellen Gründen tun wolle (oder vielmehr müsse), werde sie zu einer europaweiten Ausschreibung gezwungen. Schon heute gäbe es EU-Staaten, so Weidenholzer, in denen das genau so geschehe. Damit bezog sich der EU-Abgeordnete auf Griechenland und Portugal, die beide durch die sogenannte Troika, bestehend aus EU-Kommission, IWF und EZB, schon zur Privatisierung ihrer Wasserversorger gezwungen wurden. Dadurch werden zwar einmalige Gelder in die leeren Kassen gespült, doch hinterher haben die Bürgerinnen und Bürger oft horrende Preise zu bezahlen. So sollen einem ARD-Bericht zufolge die Wasserpreise in einem portugiesischen Ort auf diese Weise um 400 Prozent gestiegen sein [7].

Negativbeispiele dieser Art gibt es beileibe nicht nur in den südeuropäischen Staaten. Einer Studie der Universität Barcelona von 2010 zufolge soll die Wasserversorgung nach der Privatisierung mancherorts qualitativ schlechter, dafür aber teurer geworden sein. In der Studie konnte kein Nachweis dafür erbracht werden, daß - wie von den Befürwortern behauptet - private Wasserproduktion kostengünstiger wäre [1]. In einem Monitor-Bericht vom 13. Dezember vergangenen Jahres zum Thema "Geheimoperation Wasser" hieß es dazu [1]:

Denn Geld für den teuren Leitungsbau passt nicht zum schnellen Gewinn. Beispiele wie London oder Bordeaux zeigen: Rohre verrotten, Schmutz dringt ins Trinkwasser, oft geben die Gesellschaften dann Chlor oder ähnliches hinzu, um die Hygiene zu halten. Warum entscheidet die EU-Kommission gegen den Willen der europäischen Bevölkerung? Auf was für Gutachten stützt sie sich? Mit wem spricht sie hinter diesen Fenstern? Zum Beispiel mit ihnen, mit der Steering Group. Eine Expertengruppe, die die EU-Kommission in Fragen der Wasserpolitik berät. Die Teilnehmerliste ist erstaunlich, darin sitzen hauptsächlich Vertreter der Wasserindustrie und verwandter Industriebereiche.

Mit einer solchen Argumentation wird der Korruptionsvorwurf, mag er auch noch so stichhaltig erscheinen, in umgekehrter Richtung erhoben. Die EU-Kommission als ein Instrument zu bewerten, dessen sich auf mehr oder minder finsteren Wegen die Interessenvertreter profitorientierter Großunternehmen bemächtigt hätten, würde in der Konsequenz auf die Forderung hinauslaufen, die Europäische Union bzw. ihre Institutionen einem politischen Erneuerungsprozeß zu unterziehen. Kritikerinnen und Kritiker könnten sich auf der Basis einer solchen Argumentation bemüßigt sehen, auf die Europäische Union positiv einzuwirken - sei es, indem sie selbst den parlamentarischen Weg beschreiten; sei es, daß sie ihrerseits Überzeugungs- oder Lobby-Arbeit machen nur eben mit dem Unterschied, daß sie die Interessenvertretung all der Millionen Menschen für sich in Anspruch nehmen, die von der bevorstehenden Privatisierung des Wassers betroffen sein werden.

Dies wird die EU-Oberen kaum irritieren, haben sie es doch bislang stets verstanden, kritische Positionen zu vereinnahmen, die nicht so weit gehen, die Qualifizierung der Verfügungsgewalt, die in dem Sprung von der Nationalstaatlichkeit zu einem übergeordneten und die Souveränität seiner Mitgliedstaaten sehr wohl brechendem Gebilde liegt, grundsätzlich in Frage zu stellen. Die in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in anderen EU-Staaten aufbrechende Kontroverse um die im ersten Schritt bereits beschlossene Konzessionsrichtlinie, hinter der der faktische Zwang zur Wasserprivatisierung zu vermuten steht, böte dazu eine hervorragende Gelegenheit, zumal die meisten Bundesbürgerinnen und -bürger einer Umfrage zufolge mit der Wasserversorgung in kommunaler Verantwortung einverstanden und zufrieden sind und deshalb früher oder später vor der Frage stehen, warum die EU-Kommission ihren Interessen entgegen handelt.

Anmerkungen:

[1] http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2012/1213/wasser.php5

[2] http://www.heise.de/tp/artikel/38/38427/1.html

[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/csu-wehrt-sich-gegen-privatisierung-der-wasserversorgung-a-879787.html

[4] http://www.welt.de/wirtschaft/article110899928/EU-will-Wasserversorgung-europaweit-ausschreiben.html

[5] http://relevant.at/wirtschaft/energie/843763/eu-plaene-zu-wasser-privatisierung-erhitzen-gemueter.story

[6] http://diepresse.com/home/wirtschaft/international/1336769/EUWasserrichtlinie_Druck-zur-Privatisierung-steigt

[7] http://kurier.at/politik/eu/eu-richtlinie-zur-privatisierung-wasser-marsch-kampf-um-den-ausverkauf/2.798.422


29. Januar 2013