Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


DILJA/1420: Vorherrschaft entscheidet - Amerikas Fake-Philosophie ... (SB)


Kriegsinstrumente geschärft?

Neues US-Propagandaministerium im Etat des Pentagon


Propaganda ist gar nicht so eine einfache Sache. Merken die Getäuschten, daß sie getäuscht wurden? Zeichnet sich eine effiziente Medienmanipulation nicht gerade dadurch aus, daß sie als solche nicht erkannt wird? Wie können die Konsumentinnen und Konsumenten medialer Produkte dann herausfinden, ob sie gerade einer Falschnachricht aufsitzen? Und könnte sich nicht, noch weiter gefragt, schon das Konzept, die Existenz einer allgemeingültigen Wahrheit zu postulieren, als Bestandteil eines gesellschaftspolitischen Akzeptanzmanagements erweisen, das entgegen anderslautender Behauptungen höchst konkreten Zwecken beispielsweise der Herrschaftssicherung dienen soll?

Auch etymologisch gesehen ist "Wahrheit" alles anders als objektiv, läßt sich doch das ihr zugrundeliegende "wahr" im Sinne von "vertrauenswert" auf eine indogermanische Wortwurzel zurückführen, der die Bedeutung "Gunst, Freundlichkeit (erweisen)" zugeschrieben wird. Wäre es da nicht zutreffender, von interessengestützten Absichten zu sprechen, die gegen andere durchzusetzen trachtet, wer immer mit Wahrheiten handelt?

Nicht selten wird, wenn etwa zwei oder noch mehr Wahrheiten zur Debatte stehen, um die Definitionshoheit gestritten. Würde eine der Streitparteien aus diesem Disput siegreich hervorgehen, sähen sich ihre Gegner wohl gedrängt, ihre Position anzuerkennen mit der Folge, daß die Wahrheit des Siegers scheinbar Allgemeingültigkeit erlangte. In einem Staat, der demokratische Ansprüche erhebt, käme jeder Schritt, sozusagen von Amts wegen die Durchsetzung einer bestimmten Wahrheit zu erzwingen, der Preisgabe des Demokratie-Gebots gleich.

Nicht von ungefähr gilt in der Science Fiction das dystopische Bild einer Gesellschaft, in der es ein "Ministerium für Wahrheit" gibt wie in dem Klassiker "1984" George Orwells, als Sinnbild eines diktatorischen Überwachungsstaates. Orwell alias Eric Arthur Blair, der seinerzeit als Berichterstatter des Spanischen Bürgerkriegs tätig gewesen war, hatte schon 1937 eine solche Diktatur, vor der er mit seinem düsteren Zukunftsroman warnen wollte, herannahen sehen.

"1984" scheint inzwischen auch im übertragenen Sinne von der sogenannten Wirklichkeit überholt worden zu sein, konnte doch in den USA die Errichtung einer Behörde, die im Orwell'schen Sinne an ein Wahrheitsministerium denken läßt, beschlossen werden, ohne daß es zu großen Protesten gekommen wäre.


Die USA stellen ihre Propaganda weltweit auf neue Füße

Am 23. Dezember 2016 unterzeichnete Noch-Präsident Obama den "National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2017 114th Congress (2015-2016)" [1], das Gesetz für den Haushalt des Pentagon. Darin eingebettet - und damit in einem militärischen Kontext gestellt - wurde der "Countering Foreign Propaganda and Disinformation Act", ein Gesetz, das zum Zwecke des Zurückschlagens ausländischer Propaganda und Desinformation Finanzmittel freisetzt. Ursprünglich vorgelegt im März 2016 von einem republikanischen (Rob Portman) und einem demokratischen Senator (Chris Murphy) sieht das Gesetz nach spätestens 180 Tagen die Errichtung eines im Außenministerium angesiedelten, aber vom Pentagon finanzierten "Global Engagement Center" vor.

Offenbar wird von der alten wie der neuen US-Administration der militärische Stellenwert einer Zensur, die selbstverständlich keine sein darf, hoch genug eingeschätzt, um für diesen Zweck sowohl für 2017 als auch für 2018 bis zu 80 Millionen US-Dollar zur Verfügung zu stellen. Das "Global Engagement Center" soll die Anstrengungen zuständiger Bundesbehörden, Propaganda und Falschinformation anderer Staaten oder nichtstaatlicher Akteure aufzuspüren, zu analysieren und zu bekämpfen, leiten und koordinieren. Es sollen "counterfactual narratives", also angeblich wahrheitswidrige Berichte, aus dem Ausland, die die nationalen Sicherheitsinteressen der USA sowie ihrer Verbündeten und Partner bedrohen, evaluiert und zurückverfolgt werden.

In dem Wörtchen "counterfactual" wird die von den USA damit per Gesetz beanspruchte Definitionshoheit über die von ihnen bevorzugte Wahrheit deutlich. Abweichende, dieser Wahrheit entgegengesetzte Positionen werden ins Unrecht gesetzt. Gegen sie soll von der neuen Agentur bzw. den von ihr koordinierten übrigen Dienststellen vorgegangen werden. Neben der Bekämpfung der zu Falschinformationen erklärten Fakten soll auch die Verbreitung der demgegenüber für wahrheitsgemäß erklärten Behauptungen gestärkt werden. Der neuen Agentur obliegt es zudem, neben den relevanten Informationen offizieller Regierungsstellen sowohl der USA als auch ihrer Verbündeten Daten zu analysieren, die von Thinktanks, wissenschaftlichen Instituten, zivilgesellschaftlichen Gruppen und anderen Nichtregierungsorganisationen stammen.

Ausländische Staaten bzw. Bevölkerungen, die sich als besonders empfänglich für Propaganda und Desinformation (der anderen Seite) erwiesen haben, sollen identifiziert werden. Wo immer es für erforderlich erachtet wird, sollen dieser Propaganda faktenbasierte Informationen entgegengestellt werden. Die neue Behörde wird zudem autorisiert, geeignete Medien, offizielle Forschungsstellen, zivilgesellschaftliche Gruppen und wissenschaftliche Institutionen finanziell zu unterstützen, wenn es der Erfüllung dieser Aufgaben zweckdienlich ist. Unabhängige lokale Medien wären am besten geeignet, sozusagen vor Ort der Desinformation und Manipulation durch fremde Mächte entgegenzuwirken.


(Rest-) Pressefreiheit in Gefahr

In der US-amerikanischen Presse wurde Kritik an dem Gesetz laut, weil damit die Pressefreiheit ausgehöhlt werde. [2] Zwischen der alten und der neuen Administration scheint es, was dieses Gesetz betrifft, nicht den geringsten Mißton zu geben. Hätte Trump darin ein Instrument gesehen, durch das die ohnehin angespannten Beziehungen der USA beispielsweise zu Rußland noch weiter belastet werden könnten, hätten er bzw. seine Partei eine dementsprechende Kritik äußern oder Schritte einleiten können zu dem Zweck, diese Gesetzgebung rückgängig zu machen. Nichts dergleichen ist bislang geschehen und steht auch deshalb nicht zu erwarten, weil es sich dabei um ein Zweiparteiengesetz handelt, an dessen Zustandekommen Senatoren bzw. Mitglieder beider Großparteien beteiligt waren. Gemessen an dem Medienhype infolge der Amtseinführung Donald Trumps scheint dieses Thema medial inzwischen vollends in der Bedeutungslosigkeit versunken zu sein.

Wäre Trump, wie oftmals nahegelegt wurde, tatsächlich ein "Putin-Versteher", hätte er den Sicherheitsbedenken Rußlands gegenüber der mit dem Jahreswechsel begonnenen NATO-Operation "Atlantic Resolve" Rechnung tragen können. Hier stehen sich, wenn man denn so wollte, zwei Wahrheiten gegenüber. Die NATO begründet die inzwischen bereits erfolgte erste Stationierung einer vollständigen US-Panzerbrigade in den nahe der Westgrenze Rußlands gelegenen Partnerstaaten als angemessene Antwort auf das angeblich aggressive Verhalten Moskaus; Rußland wiederum sieht in dem umfangreichen Truppenaufmarsch einen Bruch der Rußland-NATO-Akte von 1997 und eine Gefährdung eines Friedens, den die NATO mit ihrem rotierenden Stationierungsmodus zu bewahren behauptet.

Die Sorgen vieler, häufig friedensbewegter Menschen, es könne sich entgegen der erklärten Absichten der NATO bei diesem Manöver um kriegsvorbereitende Maßnahmen, eingebettet in eine längerfristige Einkesselungsstrategie gegenüber Rußland, handeln, werden durch das neue, international noch wenig beachtete US-Gesetz zur Errichtung einer zentralen Propaganda-, ja Wahrheitsagentur, sicherlich nicht entkräftet.

Der hohe Stellenwert effizienter Manipulationen, die das Denken, Handeln und Fühlen zu kontrollieren versprechen, scheint gerade auch mit Blick auf Fragen der Kriegführung über jeden Zweifel erhaben zu sein. Ob es allerdings bei dem scheinbar geringen Interesse der Öffentlichkeit gegenüber dem Truppenaufmarsch der NATO und den Bestrebungen der USA wie auch anderer Staaten - in Deutschland wurde vor kurzem ein "Abwehrzentrum gegen Desinformation" vorgeschlagen -, Orwell'sche Wahrheitsministerien zu errichten, bleiben wird, ist selbstverständlich eine andere und vor allen Dingen noch offene Frage.


Fußnoten:

[1] https://www.congress.gov/bill/114th-congress/senate-bill/2943/text#toc-H533D0AE113D24D90A6BD9F8A0B9D679C

[2] http://www.commondreams.org/news/2016/12/26/under-cover-christmas-obama-establishes-controversial-anti-propaganda-agency

27. Januar 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang