Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


LAIRE/1324: Kontrovers - am Beispiel Deutschlandfunk ... (SB)



"Hörerinnen und Hörer sind herzlich eingeladen, sich an der Diskussion zu beteiligen. Wir freuen uns auf Ihren Anruf oder Ihre Mail", fordert der Deutschlandfunk regelmäßig zu seiner montäglichen Sendung "kontrovers" auf. Als heute morgen ein Hörer zum Thema der Sendung "Streit mit Moskau - Steht Putins Russland zu Recht am Pranger?" genau das tat und darauf aufmerksam machte, daß die Scharfschützen, die am 20. Februar 2014 in Kiew das Maidan-Massaker mit über 50 toten Polizisten und Demonstranten verübt haben, nicht von der Regierung, sondern den sogenannten Aufständischen angeheuert worden waren, wurde er vom Moderator Martin Zagatta rüde unterbrochen. "Dazu gehen die Meinungen sehr weit auseinander", wurde ihm scharf entgegengehalten. Wer da wen genau erschossen habe, könne man "in dieser Sendung sicherlich nicht klären". [1]

Weder hatte der Hörer verlangt, das zu klären, noch hatte er bestritten, daß es dazu andere Meinungen gibt. Das war überhaupt nicht sein Anliegen. Ganz im Gegenteil hat er mit seinem Beitrag sogar explizit anderen Meinungen widersprochen, die diskursbestimmend sind, jedoch nicht dem neuesten Stand der Erkenntnisse über die Täterschaft entsprechen. Hier wurde also seitens des Deutschlandfunks der Anspruch auf Aufklärung geradezu unterminiert.

Der Hörer begab sich mit seinem Beitrag keineswegs thematisch auf Abwege, wie ihm vorgehalten worden war, denn die Maidan-Morde waren einer jener historischen Momente, an dem sich die westliche Berichterstattung vollends auf die Seite der Opposition und damit gegen die rußlandfreundliche Regierung Viktor Janukowitschs gestellt und damit deutlich gegen Putin positioniert hat.

Die Klärung der Frage, welche Seite diese Morde zu verantworten hat, ist also durchaus von Bedeutung bei der Beurteilung der Rolle Putins, dem heute, ohne gerichtsfeste Beweise vorzulegen, seitens des britischen Außenministers Boris Johnson und anderer vorgeworfen wird, einen Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Yulia in England befohlen zu haben.

Hätte Zagatta den Hörer ausreden lassen, hätte dieser die Chance gehabt zu erklären, weswegen er in diesem Kontext das Maidan-Massaker erwähnt. Vielleicht hätte man dann erfahren, daß, wenn sich "der Westen" in einer so wichtigen Frage schon einmal geirrt hat, er vielleicht etwas vorsichtiger sein und keine schwerwiegenden (und potentiell äußerst folgenschweren) Bezichtigungen aussprechen sollte, solange sie nicht durch zweifelsfreie Beweise abgestützt sind.

Was die Faktenlage zum Maidan betrifft, kann sich der Hörer jedenfalls inzwischen auf eine Reihe von Zeugenaussagen aus verschiedenen Lagern berufen, die gesehen haben, daß Scharfschützen von oben herab aus Gebäuden wie dem Hotel Ukraina geschossen haben, das damals vom ultranationalistischen rechten Sektor kontrolliert wurde. Mehr noch, es sind einige der Scharfschützen selbst an die Öffentlichkeit getreten und haben berichtet, daß sie für die Seite der Maidan-Opposition gearbeitet haben. Was, bitte schön, will man mehr?

Der Deutschlandfunk und die meisten westlichen Medien nehmen davon keine Notiz. Warum nicht? Auch die Recherchen von ARD-Monitor (10. April 2014) fanden bislang nicht Eingang in die öffentliche Rezeption der Ereignisse. Bis heute hat sich an dem damaligen Resümee des Sendebeitrags zu den Maidan-Scharfschützen nichts geändert: "Unsere Recherchen zeigen, daß in Kiew schon Schuldige präsentiert werden, obwohl es auch zahlreiche Hinweise gibt, die in Richtung Opposition weisen. Spuren, die nicht verfolgt werden. Und möglicherweise gibt es auch noch andere Kräfte, die an den Schießereien beteiligt waren." [2]

Auch knapp vier Jahre nach der Ausstrahlung kann dieses Resümee weiterhin unterstrichen werden - trotz zahlreicher neuer Erkenntnisse werden, ohne nach rechts zu schauen, stets die gleichen Schuldigen präsentiert: die Regierungssoldaten waren's, und das heißt letztlich Putin.

Mit diesen Anmerkungen soll genau nicht das Schwarz-Weiß-Bild, nur mit umgekehrtem Vorzeichen zur offiziellen Darstellung, bedient werden. Vielmehr geht es hier um die Frage, ob das beschriebene Vorgehen Zagattas dem behaupteten Anspruch des Deutschlandfunks, soliden Journalismus zu betreiben, entspricht. Wer die Sendung "kontrovers" häufiger hört, wird die Erfahrung gemacht haben, daß Politiker schon mal gerne weitschweifig werden und lang und breit ausholen, bis sie auf den Punkt kommen (manchmal versäumen sie selbst das). In der Regel läßt man sie viel länger reden als jenen Hörer, der abgewürgt wurde, noch bevor er sein Anliegen vortragen konnte.

Beispielhaft wird hieran deutlich, wie reibungslos der Deutschlandfunk seine Aufgabe als staatstragendes Medium erfüllt und den vorherrschenden Interessen entgegenlaufende Beiträge sprichwörtlich wegdrückt. Staatstragend insofern, als daß die Bundesregierung den Maidan-Aufstand und die rechtsgerichtete Opposition tatkräftig unterstützt hat, so daß das Land von seiner historischen Verbindung zu Rußland getrennt wird und sich in Richtung Europäische Union bewegt.

"Kontrovers" ist die DLF-Sendung nur innerhalb des vorgegebenen engen Rahmens. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, daß, je harscher die Unterbrechung durch den Moderator ausfällt, desto stichhaltiger der Einwand gewesen sein muß. Der Vorgang an sich überrascht natürlich nicht, es war nicht der erste dieser Art. Er sollte allerdings auch nicht unerwähnt bleiben, will man nicht dem aktuellen Trend zur Verschärfung der Feindbildproduktion Putins folgen. Im übrigen konnten die Hörerinnen und Hörer die Frage, ob Putins Rußland zu Recht am Pranger steht, von vornherein gar nicht beantworten. Das können nicht einmal die Staaten, die sich wie Deutschland und Frankreich hinter das Vereinigte Königreich gestellt haben. Umwegigkeit in den Wortbeiträgen der geladenen Gäste und des Publikums war somit vorprogrammiert.

Bislang gilt in der deutschen Rechtsprechung noch die Unschuldsvermutung. Das Gebot wird zwar hier und da bereits ausgehöhlt, aber wenn in der internationalen Politik Vorverurteilungen das Meinungsbild beherrschen, dann verdient jeder Versuch, auf geltende Rechtsgrundsätze zurückzukommen, die ihm angemessene Unterstützung. Solange dem russischen Präsidenten keine Beteiligung an dem Anschlag nachgewiesen wurde, hat er als unschuldig zu gelten - allen entgegengerichteten politischen Interessen seitens derjenigen, die ihn bezichtigen, zum Trotz.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/streit-mit-moskau-steht-putins-russland-zu-recht-am-pranger.1784.de.html?dram:article_id=413187

[2] https://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-todesschuesse-in-kiew-wer-ist-fuer-das-blutbad-vom-maidan-verantwortlich-100.html

19. März 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang