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AFRIKA/1826: Noch nie so viele Hungernde in der Welt (SB)


Eine-Milliarde-Grenze überschritten

Jeder vierte Mensch, der in diesem Jahr geboren wird, muß hungern


Die Versorgungslage in Afrika spitzt sich weiter zu. Noch schlagen die Folgen der Weltwirtschaftskrise nicht voll auf die Länder des Südens durch. Aber so wie in Deutschland mit einem kräftigen Anstieg der Arbeitslosenzahlen und als Folge von drastischen Sparmaßnahmen der Regierung mit einer breiten Verarmung zu rechnen ist, wird sich Afrika auf eine existenzbedrohende Entwicklung für immer mehr Einwohner einstellen müssen. Inzwischen ist es offiziell: In diesem Jahr wird es voraussichtlich eine Milliarde Menschen geben, die hungern. Das erklärte Jacques Diouf, Generaldirektor der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, diese Woche Mittwoch in Paris im Anschluß an eine zweitägige, gemeinsame Konferenz der FAO und OECD, der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit.

Die globale Finanzkrise hat zwar dazu beigetragen, daß die Weltmarktpreise für Nahrung nach dem absoluten Hoch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres wieder gefallen sind, aber das galt für die Länder des Südens am wenigsten. In den Entwicklungsländern gingen die Preise für Nahrungsmittel nicht, wie andernorts um 30, sondern nur um zwölf bis vierzehn Prozent gegenüber Juni 2008 zurück, berichtete Diouf. Grundnahrungsmittel seien in vielen Ländern des Südens heute genauso teuer wie 2006. Ein afrikanischer Haushalt muß in diesem Jahr im Verhältnis zu damals, dem Beginn des starken Preisanstiegs für Lebensmittel und Getreide, mehr Geld ausgeben.

Die hohen Lebensmittelpreise bekommen die Einwohner Afrikas empfindlich zu spüren. In Äthiopien, Somalia, Simbabwe, Sudan, Uganda, Tschad, Niger und einer Reihe von Staaten mehr müssen Menschen hungern, entweder weil keine ausreichende Menge an Nahrung zur Verfügung steht oder weil sie für sie unerschwinglich ist, was ebenfalls auf einen Mangel zurückgeführt werden kann.

Die internationale Staatengemeinschaft hat zu Beginn dieses Jahrzehnts die Millenniumsziele beschlossen. Dazu gehört die Halbierung der Zahl der Hungernden bis zum Jahre 2015. Dieses Ziel wird nicht mehr erreicht. Statt daß der Hunger schwindet, nimmt er zu, und zwar rapide. In diesem Jahr werden 104 Millionen Menschen zusätzlich hungern, das heißt, ihnen stehen dauerhaft weniger als 1800 Kalorien pro Tag zur Verfügung. Im vergangenen Jahr kamen 40 Millionen hinzu, im Jahr davor 75 Millionen.

Generell sind solche Zahlen problematisch, da sie auf Hochrechnungen beruhen. So war die Weltbank im vergangenen Jahr bereits von 952 Millionen Hungernden weltweit ausgegangen, mit Dioufs 104 Millionen für dieses Jahr näherte man sich also bereits 1,1 Milliarden. Entscheidend ist jedoch, daß gegenwärtig eine fundamentale Trendwende eintritt. Es tut sich eine Schere auf zwischen dem Wachstum der Weltbevölkerung, die um rund 80 Millionen pro Jahr wächst, und der Zunahme der Hungernden. Die Diskrepanz beträgt demnach 24 Millionen Menschen. Jeder sechste Mensch muß hungern.

Die hohen Lebensmittelpreise in den Jahren 2007, 2008 hatten zwar den Effekt, daß global deutlich mehr Getreide für Nahrung angebaut und somit mehr Nahrungsmittel produziert wurden, aber das Wachstum fiel regional sehr verschieden aus. In den wohlhabenderen Ländern wurden zwölf bis dreizehn Prozent mehr produziert, berichtete Diouf, in den Entwicklungsländern - mit Ausnahme von China, Brasilien und Indien - jedoch nur 0,4 Prozent mehr. Ausgerechnet diese Länder verzeichnen das größte Bevölkerungswachstum.

Es trifft zu, daß sich Armut und Hunger vor allem in den Entwicklungsländern stärker ausbreiten. In gewisser Hinsicht erfüllen aber selbst die USA Kriterien eines Entwicklungslands. Dort sind nämlich 3,5 Millionen Kinder von Hunger bedroht. Diese Zahl gab die Hilfsorganisation Feeding America am Donnerstag bekannt. Außerdem erhalten dort rund 30 Millionen Einwohner amtliche Lebensmittelmarken - eine unbekannte, keineswegs geringe Zahl von Einwohnern hat ebenfalls Anspruch auf entsprechende staatliche Hilfe, nimmt ihn aber nicht wahr.

Das sind schlechte Nachrichten für Afrika. Denn je mehr sich der Nahrungsmangel in den wohlhabenden Ländern ausbreitet, desto größer der wirtschaftliche Druck auf die afrikanischen Länder und desto geringer die Bereitschaft, Notlagen zur Kenntnis, geschweige denn in Angriff zu nehmen. Es liegt bereits über ein Jahr zurück, da hat das US-Außenministerium seine Hungerhilfe mit der Absicht überprüft, einige Länder nicht mehr oder in geringerem Ausmaß als bisher zu versorgen. Die schwere Wirtschaftskrise wird diesen Trend vertiefen. Gleichzeitig drängen mehr und mehr Länder darauf, landwirtschaftliche Flächen auf dem afrikanischen Kontinent zu pachten, um dort Getreide für Nahrung oder auch Pflanzen für Biosprit anzubauen. Das fördert das Wirtschaftswachstum, nimmt aber den Ländern Flächen weg, auf denen Nahrung zur Versorgung der eigenen, Hunger leidenden Bevölkerung produziert werden könnte.

8. Mai 2009