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AFRIKA/1857: Taktische Variante der USA gegenüber Sudan (SB)


Konflikt in Darfur vor dem Hintergrund geostrategischer
Positionskämpfe zwischen USA und China

US-Sondergesandter für Sudan geht auf Abstand zum Genozid-Vorwurf


Dem Anschein nach nimmt die Administration von US-Präsident Barack Obama eine andere Bewertung der Lage in Darfur vor als die Vorgängerregierung. Hatte diese noch weitgehend geschlossen von Genozid gesprochen, den die Regierung Sudans und ihr loyale Reitermilizen der Dschandschawid an den Einwohnern dieser westsudanesischen Provinz verübten, so erklärte am vergangenen Donnerstag der US-Sondergesandte für Sudan, General Scott Gration (USAF, retd.), vor einem Senatsausschuß, daß sich die Lage deutlich gewandelt hat. Es gebe einen Unterschied zu dem, was in den Jahren 2003, 2004 abgelaufen sei und "was wir als Genozid bezeichnet haben", und was heute geschehe. [1]

Obamas Sondergesandter leugnete nicht Differenzen mit der sudanesischen Regierung, ging aber noch einen bedeutenden Schritt weiter, indem er anmerkte, es weise nichts darauf hin, daß Sudan auf die Liste der Staaten gehöre, die Terrorismus unterstützten. Diese Einschätzung behindere sogar die Möglichkeiten der internationalen Gemeinschaft, das kriegzerstörte Land wiederaufzubauen und den vielen tausend entwurzelten Familien, die in Lagern lebten, zu helfen.

Mit seiner Einschätzung widerspricht Gration Obama, der bei seinem Besuch in Deutschland im Juni von einem "anhaltenden Genozid" in Darfur sprach, und er bezieht auch konträr zur US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, Stellung. Die war angeblich im vergangenen Monat ziemlich aufgebracht darüber, daß Gration lediglich von "Überresten eines Genozids" sprach.

Zur Zeit verfolgt die US-Administration keine eindeutige Linie gegenüber Sudan - und darin setzt sie gewissermaßen die Politik der Regierung George W. Bushs fort. Denn auch wenn vor einigen Jahren Außenminister Powell und andere Kabinettsmitglieder und einflußreiche Personen der Bush-Administration von Genozid oder genozidalen Verhältnissen in Darfur sprachen, blieben die Konsequenzen, die eigentlich der Verwendung solcher Termini folgen müßten, aus. Eigentlich wäre der UN-Sicherheitsrat aufgerufen gewesen, einen Völkermord, so er denn stattfindet, zu verhindern, wie in der "Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide" (Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords), die am 12. Januar 1951 in Kraft trat, vereinbart. Daß die USA ihren Worten keine Taten haben folgen lassen, deutet auf einen willkürlichen Umgang mit Rechten und Pflichten aus der UN-Konvention.

In Ruanda (1994) und Sudan wird nicht eingeschritten, obgleich entweder offiziell oder aber, wie im Falle Ruandas, hinter der Hand von Genozid gesprochen wird. Jugoslawien hingegen wurde von der NATO unter dem Vorwand, einen Völkermord verhindern zu wollen, bombardiert. Diese drei Beispiele zusammengenommen lassen den Eindruck entstehen, als suche es sich die NATO und damit die USA willkürlich aus, was sie als Genozid bezeichnet und zum Anlaß eines militärischen Einschreitens nimmt und was sie geschehen läßt.

Im Falle Sudans wurden mehrere UN-Resolutionen verhängt und gegen den amtierenden Präsidenten Omar al-Bashir wurde auf Antrag des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC- International Criminal Court) in Den Haag ein Haftbefehl ausgestellt, aber der Pflicht, einen Genozid zu verhindern - so er denn stattfand oder heute noch stattfindet -, kam niemand ernsthaft nach. Nun gibt es unterschiedliche Antworten auf die Frage, ob die Bezeichnung Genozid tatsächlich gerechtfertigt ist, um die Konfliktlage in Darfur zu beschreiben. Immerhin weist der Name einer von zwei Rebellengruppen, die im Februar 2003 begannen, Militärstützpunkte und Polizeistationen in Darfur zu überfallen, SLA (Sudanesische Befreiungsarmee), nicht zufällig Ähnlichkeiten mit der SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) auf, die in Südsudan beheimatet ist, 20 Jahre gegen die Zentralregierung im Norden gekämpft und ebenfalls 2003 einen Waffenstillstand geschlossen hat. Die zeitlich enge Abfolge - Ende des Nord-Süd-Konflikts, Beginn des Aufstands in Darfur - und Ähnlichkeiten in der jeweiligen Namensgebung der Rebellen, verweisen auf den gleichen oder doch ähnlichen Hintergrund der Konflikte. Die USA haben die SPLA jahrelang massiv unterstützt und setzen sich deshalb dem dringenden Verdacht aus, auch die SLA mit Waffen, Geld oder anderen Dingen zu stärken.

Man kann die Konflikte in Darfur immer weiter in der Geschichte zurückverfolgen, aber 2003 gilt allgemein als Ausgangspunkt der jüngste Phase der Gewalt, und die würde man, so sie sich im hiesigen Kulturkreis ereignete, kurzerhand als Terrorismus bezeichnen. Demnach hätte die sudanesische Regierung auf einen terroristischen Angriff und Destabilisierungsversuch reagiert. Damit soll keineswegs geleugnet werden, daß die Regierung und Dschandschawid auf brutale Weise gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen sind - aber ähnliches kann auch von den Rebellen gesagt werden, und genau dadurch wird der Begriff Genozid in Frage gestellt.

General Grations Erklärung bei der Senatsanhörung ist nicht als grundsätzlich neuer Politikansatz der US-Regierung gegenüber Sudan zu verstehen, sondern allenfalls als Modifikation der Mittel, mit denen versucht wird, ein Druckszenario gegenüber dem Land aufzubauen. Nach wie vor streben die Vereinigten Staaten eine Schwächung der Regierung in Khartum an, um erstens keinen prosperierenden, einflußreichen, muslimischen Staat an der Schnittstelle zwischen dem arabischen Raum und Schwarzafrika entstehen zu lassen, und zweitens um Zugriff auf das sudanesische Erdöl zu gewinnen, das heute größtenteils nach China exportiert wird. China wird jedoch von Washington als größter Konkurrent, eigentlich sogar als "der" Feind des 21. Jahrhunderts angesehen (neben Rußland als weiterer Atomwaffenstaat). Sudan zu spalten hieße somit, China zu schwächen. Sollte sich Grations Einschätzung der Lage in Darfur innerhalb der US-Administration durchsetzen, was keineswegs gewiß ist, so würde damit keine Phase der Nicht-Einmischung eingeläutet, sondern es würden aus taktischen Gründen die Hebel an anderen Stellen angesetzt, um das strategische Ziel zu erreichen.


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Anmerkungen:

[1] "Is Darfur still a genocide? White House isn't sure", Christian Science Monitor, 30. Juli 2009
http://www.csmonitor.com/2009/0731/p02s09-usfp.html

2. August 2009