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AFRIKA/1893: Deutschland nimmt Einfluß auf Kongo-Konflikt (SB)


Der Regierung Ruandas zum Gefallen

Bundesanwaltschaft ließ in Deutschland lebende Anführer von Hutu-Milizen verhaften


Die Beharrlichkeit, mit der die ruandische Regierung versucht, die Geschichte hinter sich zu lassen und eine einflußreiche Position in der internationalen Staatengemeinschaft einzunehmen, scheint allmählich Früchte zu tragen. Der Völkermord von 1994, bei dem rund 800.000 Tutsi und moderate Hutu abgeschlachtet wurden, bildet eine schwerer Bürde, wird aber auch von der heutigen Regierung zur Herrschaftssicherung instrumentalisiert.

Nachdem es 1994 in Ruanda beinahe zu einer direkten Konfrontation zwischen französischen Militärs und der siegreichen, von Exilruandern in Uganda gegründeten Invasionsarmee RPF (Ruandische Patriotische Front) gekommen war und sich das Land der tausend Hügel fortan von Frankreich ab- und den angloamerikanischen Interessen zugewendet hat, war auch das Verhältnis zum engen französischen Verbündeten Deutschland zwar nicht belastet, aber auch nicht von besonderer Herzlichkeit geprägt.

Frankreich hatte gegen Ende des 100tägigen Völkermords im Juni, Juli 1994 im Rahmen der Operation Turquoise vielen hunderttausend Flüchtlingen Geleitschutz über die Grenze nach Zaire (seit 1997 Demokratische Republik Kongo) geliefert. Im Flüchtlingstreck entkamen zahlreiche bewaffnete Hutu-Milizen, die wesentlich für die Massaker verantwortlich waren. Zudem waren noch während des Gemetzels französische Waffen an die damalige Regierung Juvenal Habyarimanas geliefert worden.

Somit sollte es nicht verwundern, daß die heutige Regierung, die sich rühmen darf, die Massaker beendet und die Völkermörder vertrieben zu haben, anschließend nicht gut auf Frankreich zu sprechen war. Allerdings hat die RPF selbst ebenfalls etliche Leichen im Keller. Immerhin steht der damalige RPF-Anführer und heutige Präsident Ruandas, Paul Kagame, im Verdacht, einer kleinen Spezialeinheit den Auftrag zum Attentat auf Habyarimana erteilt zu haben. Dieser wurde mitsamt seinem Stabschef und weiteren Politikern sowie dem burundischen Präsidenten Cyprien Ntaryamira am 6. April 1994 beim Landeanflug auf Ruandas Hauptstadt Kigali mit zwei Boden-Luft-Raketen abgeschossen. Die Tat wurde zwar sofort radikalen Hutu in die Schuhe geschoben, aber einiges spricht für Kagame als Verantwortlichen - nicht zuletzt die (von den Vereinten Nationen unter Verschluß gehaltenen) Aussagen mehrere RPF-Mitglieder, die teils direkt am Attentat beteiligt waren und präzise Beschreibungen des Ablaufs lieferten.

Als der französische Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière 2006 einen internationalen Haftbefehl gegen hochrangige Mitglieder der ruandischen Regierung wegen mutmaßlicher Beteiligung an Massakern in Ruanda ausstellte und öffentlich erklärte, daß er auch Paul Kagame auf seine Liste genommen hätte, wenn dieser nicht aufgrund seines Amts als Präsident Immunität genösse, wandelte sich das Verhältnis zwischen Ruanda und Frankreich von frostig zu tiefgefroren.

In letzter Zeit kommt wieder etwas Bewegung in die Sache. Sicherlich noch nicht bis über den Taupunkt hinaus, aber doch mit deutlich weniger erstarrten Fronten als zuvor. Zum einen hat Bruguière seinen Posten als Untersuchungsrichter aufgegeben, nachdem er als politischer Berater "an den Hof" des neuen Präsidenten Nicolas Sarkozy wechselte. Die Verfolgung der Haftbefehle ging an zwei Personen, die der Angelegenheit anscheinend weniger Nachdruck verleihen. Zum anderen hat die ruandische Regierung, die sich in Rechtsfragen bewegt wie ein Fisch im Wasser, im Juli 2008 zu einem Gegenschlag ausgeholt und in einem umfangreichen Gutachten die mutmaßliche Rolle teils hochrangiger französischer Politiker - u. a. des damaligen Präsidenten Francois Mitterrand, seines Kabinettsdirektors Dominique de Villepin und des Ex-Außenministers Alain Juppé - während des Ruanda-Genozids angeprangert.

Deutschlands Verhältnis zu Ruanda ist letztlich von Kontinuität bestimmt. Auch wenn die Beziehungen aufgrund der Verhaftung von Kagames Protokollchefin Rose Kabuye am 8. November vergangenen Jahres auf dem Frankfurter Flughafen vorübergehend eintrübten. Die ruandische Regierung war zuvor von deutscher Seite gewarnt worden, daß man dem von Frankreich ausgestellten europäischen Haftbefehl nachkommen müsse, sollte Kabuye nach Deutschland einreisen, ohne den diplomatischen Schutz der Delegation Kagames zu genießen. Ruanda betrieb jedoch ein Doppelspiel. Kabuye landete einen Tag vor Kagame in Frankfurt und wurde erwartungsgemäß verhaftet. Daraufhin inszenierte die ruandische Regierung Demonstrationen vor der deutschen Botschaft in Kigali - Beamte hatten eigens freibekommen, um sich an den Protesten zu beteiligen -, und Kagame besuchte seine Kampfgefährtin von einst in deutscher Untersuchungshaft. Zudem wurde der deutsche Botschafter in Kigali ausgewiesen und der ruandische Botschafter aus Berlin abgezogen.

Das alles kam beim ruandischen Volk gut an, und das sollte es auch. Der Volkszorn wird gebraucht. Aber das ist noch nicht alles. Indem sich die "Rosenkriegerin" Kabuye verhaften und nach Frankreich ausliefern ließ, wurde eine Person vorgeschickt, bei der der Nachweis eines Vergehens voraussichtlich am schwierigsten sein würde. Kabuye wird unter anderem vorgeworfen, sie habe den Habyarimana-Attentätern in Kigali einen Unterschlupf geboten und sie versorgt. Kabuye könnte demnach als Bauernopfer fungieren, damit Kagame und die per Haftbefehl Gesuchten herausfinden, was die französische Justiz gegen sie in der Hand hat. Inzwischen wurde Kabuye auf freien Fuß gesetzt und reist nur noch zu den Gerichtsterminen nach Frankreich.

Ruanda und Deutschland sind längst wieder aufeinander zugegangen. "Die Belastungen im bilateralen Verhältnis konnten mit der gemeinsamen deutsch-ruandischen Erklärung vom 19. Januar 2009 beendet werden", schreibt das Auswärtige Amt. Am Dienstag, den 17. November 2009, verhaftete die Bundesanwaltschaft den in Mannheim lebenden Präsidenten der Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), Ignace Murwanashyaka, und in Stuttgart seinen Stellvertreter Straton Musoni wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Den Ursprung der FDLR bilden jene Hutu-Milizen, die 1994 vor der RPF fliehen mußten und denen die Hauptverantwortung für den Völkermord zugesprochen wird. Indem Deutschland einen der mutmaßlichen Anführer der seit fünfzehn Jahren in Zaire bzw. DR Kongo kämpfenden Milizen verhaftet und aus dem Verkehr gezogen hat, hat sie deutlich Partei für Ruanda ergriffen, das die Hutu-Milizen nach wie vor über die kongolesische Grenze hinweg bekämpft.

Ähnlich wie Frankreich anscheinend willens ist, die Beziehungen zu Ruanda zu normalisieren und zu vergessen, daß die "Befreier" Ruandas anscheinend durch das Attentat auf Habyarimana den Völkermord zumindest entzündet hatten und daß darüber hinaus reichlich Blut an den Händen der jahrelang rücksichtslos gegen die Zivilbevölkerung vorgegangenen RPF-Soldaten klebt, läßt offenbar auch Deutschland die Geschichte Geschichte sein, so daß Kagame von selbiger voraussichtlich nicht mehr eingeholt wird. Mit der Verhaftung Murwanashyakas und Musonis werden die Karten neu gemischt, und Deutschland möchte mit am Tisch sitzen. Der heiß umkämpfte Osten der DR Kongo ist eine der rohstoffreichsten Großregionen Afrikas ...

20. November 2009