Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/1927: US-Studie - Privatisierung und Freihandel fördern Hunger (SB)


Forschergruppe fordert Stärkung des Kleinbauerntums und die Erhebung von Schutzzöllen für einheimische Bauern


US-Forscher rennen offene Türen ein. Sie berichten in einer neuen Studie, daß die Politik der Privatisierung und des Freihandels die Nahrungsproduktion verringert, die Armut gefördert und Millionen Einwohner in zahlreichen afrikanischen Staaten einer Hungerkrise ausgesetzt hat. [1] Diese Erkenntnisse, so zutreffend sie auch sind, können wahrlich nicht als neu bezeichnet werden und haben bislang jedenfalls zu keinen entscheidenden politischen Veränderungen geführt. Ob sich an der gängigen Mißachtung vergleichbarer Schlußfolgerungen, wie sie beispielsweise im Weltagrarbericht oder von Organisationen wie Attac gezogen werden, nach der Veröffentlichung der neuen Studie irgend etwas ändert, muß in Zweifel gezogen werden.

Die Forscher von der Staatsuniversität Oregon, der Universität von Kalifornien in Los Angeles und dem Macalester College schrieben diese Woche in den "Proceedings of the National Academy of Sciences", daß die Marktreformen ab Mitte der 1980er Jahre eigentlich das Wirtschaftswachstum fördern sollten. Das sei jedoch in einigen der ärmsten Länder nach hinten losgegangen und habe schließlich in den letzten Jahren vielfach zu Hungerunruhen geführt.

Die an der Forschungsarbeit beteiligte assoziierte Professorin für Geowissenschaften der Staatsuniversität von Oregon Laurence Becker kolportierte die neoliberale Lesart, wonach viele Reformen "die Länder effizienter" machen sollen und daß sie als Lösung für das "Versagen der Schul-, Krankenhaus- und anderen Infrastruktur" gedacht waren. "Aber manchmal wurden dabei wichtige Versorgungssysteme für ärmere Bauern, die kein Auto besitzen, keine Land-Sicherheit haben, einen Dollar am Tag einnehmen und ihre Lebensersparnisse von 600 Dollar unter der Matratze verstecken, zerstört", sagte Becker. [1]

Hierbei handelt es sich noch um eine ziemlich beschönigende Darstellung. Die von den Industriestaaten und ihren monetären Handlungsarmen IWF und Weltbank forcierten Marktreformen sollten zwar vorgeblich das Wirtschaftswachstum der ärmeren Länder fördern, aber nur, damit diese in einem scharfen Konkurrenzkampf untereinander ausfechten, wer welche Mengen an unverarbeiteten Waren in die Wohlstands- bzw. Verbrauchsregionen der Erde exportieren darf. Die Maßnahmen der Privatisierung und Liberalisierung zielten dagegen nicht darauf ab, die Armut und Not in der Bevölkerung auf breiter Front zu beseitigen. Im Gegenteil. Mit ihrer Hilfe sollten die afrikanischen Märkte aufgebrochen, die bislang noch nicht beseitigten staatlichen Lenkungsinstrumente abgeschafft und das billige Arbeitskräftepotential als Reservearmee für kapitalstarken Investoren erschloßen werden. Regelmäßig zu vernehmende Forderungen der Reformer an die verschuldeten Staaten lauteten, Schulgeld einzuführen, die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln aufzuheben und die Bevölkerung für den Krankenhausbesuch bezahlen zu lassen. Dieses Credo des Wirtschaftsliberalismus hat die Lebensqualität nicht verbessert, sondern vermindert.

Becker ist allerdings in einer Hinsicht zuzustimmen. Wenn sie sagt, daß manche der verarmten Bauern mit den hochentwickeltsten Agrarsystemen der Welt konkurrieren sollten, daß sie das einfach nicht schaffen könnten. Bei der Aufhebung der Zollschranken seien die Länder, von denen einige beinahe Selbstversorger waren, von Nahrungsmittelimporten überschwemmt worden. Daraufhin hätten viele Bauern aufgegeben und sich von Bewirtschaftssystemen verabschiedet, die seit Jahrhunderten funktioniert hätten.

Dieser Analyse gehört inzwischen zum Standard von Entwicklungsorganisationen, selbst von denen, die nicht politisch, sondern kirchlich orientiert sind oder eine große Regierungsnähe aufweisen. Auch die Schlußfolgerungen Beckers und ihrer Kollegen können nicht überraschen: Die entwickelten Länder und Organisationen wie die Weltbank und der IWF sollten anerkennen, daß Methoden, die in entwickelteren Wirtschaften wirksam sein mögen, nicht eins zu eins auf weniger entwickelte Länder anwendbar sein müssen.

Als Fehlschlag bezeichnete die Forschergruppe die Grüne Revolution, die in vielen Regionen mehr Schaden als Gutes angerichtet habe. Außerdem zielten Regierungsprogramme oftmals auf die Bedürfnisse der Stadtbewohner und auf die ländliche Bevölkerung ab, wurde moniert.

Analyse und Schlußfolgerungen der Studie finden sich inhaltlich in sehr ähnlicher, wenngleich detaillierterer Form im Weltagrarbericht, an dem mehrere hundert Vertreter aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft mitgearbeitet haben und im vergangenen Jahr auch in Deutsch als Synthesebericht von der Universität Hamburg herausgegeben wurde. Die aktuelle Untersuchung, die von etablierten universitären Einrichtungen der Vereinigten Staaten durchgeführt wurde, bestätigt somit Beobachtungen und Analysen, die zuvor von anderer Seite bereits gemacht und veröffentlicht wurden.

Mit Behauptungen wie, daß die gut gemeinten Marktreformprogramme von IWF, Weltbank und westlichen Regierungen gescheitert seien, wird allerdings ein Standpunkt vertreten, der zu hinterfragen ist. Denn wer zur Privatisierung staatlicher Funktionen aufruft, weiß um die negativen Folgen. Die Zunahme des Versorgungsmangel war somit beabsichtigt. Erst gegen Ende der neunziger Jahre begann sich bei IWF und Weltbank allmählich die "Einsicht" durchzusetzen, daß die Strukturanpassungsprogramme doch wohl nicht so geeignet waren, um Armut und Mangel in den Entwicklungsländern zu beheben. Gewußt hat man das schon lange vorher, nur war da der Widerstand bei den Betroffenen noch nicht so entschieden gegen die von ihnen verordneten Knebel.

Die Doha-Runde der Welthandelsorganisation hat sich nicht zuletzt deshalb festgefahren und kommt nun kaum von der Stelle, weil sich die Länder des Südens zurecht weigern, den für sie vorgesehenen Weg der Entstaatlichung und Ohnmacht einzuschlagen. Die Bezeichnung "failed states" - gescheiterte Staaten - wird zwar in einem gänzlich anderen Kontext verwendet, aber vielleicht sollte man die in die Schuldenfalle geratenen und nun sich unter der Zinstilgung beugenden Staaten ebenfalls zu "failed states" erklären. Das könnte nicht nur in der Doha-Runde für Klärung der Fronten sorgen, sondern auch bei den zähen Verhandlungen der AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) mit der Europäischen Union über den Abschluß von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA), durch die eine weitere Öffnung dieser Staatengruppe für kapitalstarke ausländische "Investoren" (Mehrwertabschöpfer) durchgesetzt werden soll.

Die Schlußfolgerungen der aktuellen US-Studie zeichnen sich dadurch aus, daß sie vielem entgegenlaufen, was die wohlhabenden Staaten einst und heute in den Ländern des Südens nicht gerne sehen: Diversifizierung der Getreidesorten statt exportorientierter Monokulturanbau; Einrichtung adäquater Handelsschranken, um lokale Produzenten konkurrenzfähig zu machen; Subventionierungen, wo sie nötig sind; Vergabe von günstigen Krediten; Verbesserung des Straßennetzes und Bau örtlicher Mühlen, um lokal angebautes Getreide auf die örtlichen Märkte bringen zu können.


*


Anmerkungen:

[1] "Free trade, loss of support systems crippling food production in Africa", 15. Februar 2010
http://www.physorg.com/news185470773.html

18. Februar 2010