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AFRIKA/1976: Ignoranz der internationalen Gemeinschaft - halb Niger hungert (SB)


Hunger in Niger - Spendenappelle verhallen

Welternährungsprogramm spricht beschönigend von "Wettlauf mit der Zeit", obgleich die Zeit für viele Einwohner längst abgelaufen ist


Seit Herbst vergangenen Jahres wußte die internationale Gemeinschaft, daß im Sahelstaat Niger in diesem Jahr eine Hungersnot ausbrechen wird. Es war klar, daß vor allem alte und geschwächte Menschen sowie Kinder nicht genügend zu essen haben würden, da die Erntemenge deutlich unterhalb der "normalen" Jahre lag. In der vergangenen Anbausaison waren die Niederschläge ausgeblieben. Es dauerte bis Februar 2010, daß verschiedene Hilfsorganisationen Alarm schlugen und wegen der außerordentlich gefährdeten Versorgungslage der nigrischen Bevölkerung um Spenden baten. [1] Damals schrieb der Schattenblick:

"Anfang Februar haben Hilfsorganisationen einen Appell an die internationale Gemeinschaft gerichtet, sie möge Niger im Kampf gegen den Hunger unterstützen. 7,8 Millionen Einwohner - mehr als die Hälfte der Bevölkerung von 15 Millionen - litten Nahrungsmangel; bei 2,7 Millionen von ihnen sei die Not sogar akut. Das halbe Land habe nicht mal mehr für zwei Monate zu essen, und die nächste Ernte werde erst im Oktober eingebracht." [2]

Diese zwei Monate sind um. Und weitere zwei Monate. Getan hat sich offensichtlich nichts. Denn trotz wiederholter Appelle leidet Niger unter massivem Nahrungsmangel. In einem Bericht der Vereinten Nationen vom 20. Juli heißt es, daß das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) die Nahrungshilfe für Niger verstärken wolle, da dort "bis zu acht Millionen Einwohner unter einem schweren Nahrungsmangel als Folge einer anhaltenden Dürre" litten. [3]

Wir kämpfen gegen die Zeit, um die Hilfe "schnell genug" auszubauen, so daß wir die wachsende Zahl der Hungernden erreichen, erklärte WFP-Direktorin Josette Sheeran. Das klingt so, als hätte die internationale Gemeinschaft, an die sich der Spendenaufruf richtete, bislang genügend dafür getan, um den Hunger in Niger zu bekämpfen. Dieser Eindruck täuscht gewaltig. Ob die Millionen Einwohner, die heute hungern, identisch sind mit denen, die bereits vor fünf Monaten gehungert haben, oder ob nicht viele von ihnen längst verhungert sind, geht aus dem UN-Bericht nicht hervor. Überhaupt läßt die Berichterstattung zu wünschen übrig. So ist die Meldung überschrieben mit: "UN Agency Stepping Up Operations to Feed Millions of Hungry People" (UN-Agentur intensiviert Maßnahmen, um Millionen hungrige Menschen zu ernähren). Mit dieser Formulierung wird der Eindruck erweckt, als fände die Intensivierung der Hilfe bereits statt oder als ob zumindest Aussicht darauf bestünde, daß sie unverzüglich anläuft. Die Formulierung Sheerans, man befände sich in einem Wettlauf gegen die Zeit, unterstreicht zwar die Dringlichkeit, aber zugleich wird damit verschleiert, daß der Wettlauf für einige Menschen längst verloren ist und diese entweder verhungert sind oder aber als Folge der Mangelernährung dauerhafte Schädigungen erlitten haben.

Prinzipiell ähnlich wie bei einem früheren Hilfsappell des WFP heißt es auch diesmal, daß nur rund die Hälfte des Spendenbedarfs (inzwischen 213 Mio. Dollar) gedeckt ist.

Hier soll nicht in Zweifel gezogen werden, daß das WFP für viele Nigrer Nahrungshilfe leistet und Menschenleben rettet. Gleichzeitig sollte aber nicht unerwähnt bleiben, daß diese Hilfe nicht reicht, um den Hunger in dem Land (geschweige denn weltweit) zu beheben, und daß das WFP als Bestandteil einer Weltordnungsstruktur eine Befriedungsfunktion erfüllt. Den Hungernden wird der Eindruck verschafft, um ihre Not werde sich gekümmert. Dieses Bild zu erzeugen, wird von den führenden Wirtschaftsmächten, die Hauptspender des WFP sind, so gewünscht. Auch soll das WFP über kein festes Budget verfügen und schon gar nicht über eines, das so groß ist, daß der Hunger damit - zumindest theoretisch - vollständig aus der Welt geschafft werden könnte. Statt dessen wird die UN-Organisation genötigt, permanent um Spenden zu bitten. Sie ist ständig in der Reaktion auf Notlagen und kann immer nur versuchen, Löcher zu stopfen, ohne sie je vollständig füllen zu können.

Warum dieser Umstand? Könnte nicht das Millenniumsziel, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, schlagartig erfüllt oder gar weit übertroffen werden, wenn Hilfsorganisationen wie das WFP ein ausreichend hohes Budget erhielten? An Finanzmitteln mangelt es im Prinzip nicht. Was sind schon 216 Mio. Dollar für Niger angesichts der Hunderte von Milliarden, die in den letzten zwei Jahren von der Staatengemeinschaft zur Rettung von Banken und Konzernen ausgegeben wurden!

Wenn es aber eigentlich nicht an den Finanzmitteln mangelt, könnte es sein, daß statt dessen die absolute Nahrungsmenge knapp ist, die gekauft werden könnte, wenn genügend Geld gespendet würde? Soll womöglich verschleiert werden, daß gar nicht genügend Nahrungsmittel erzeugt werden, um alle Menschen zu versorgen? Der philippinische Soziologieprofessor und Träger des Alternativen Nobelpreises Walden Bello jedenfalls macht in seinem Buch "Politik des Hungers" (Assoziation A) darauf aufmerksam, daß ab der Jahrtausendwende Hunger Folge der "Produktions- und Angebotsbeschränkungen" (S. 15) wurde.

Tatsächlich schwinden die Nahrungsvorräte weltweit. Würde ab sofort keine Nahrung mehr hergestellt, hätte die Menschheit nicht einmal mehr für zwei Monate zu essen. Den Hungernden in der Welt wird vorgegaukelt, es gäbe genügend Nahrung für alle Menschen. Solange sie daran glauben, halten sie still.


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Anmerkungen:

[1] "International aid appeal launched for Niger", afrol News, 11. Februar 2010
http://www.afrol.com/articles/35314

[2] Siehe: AFRIKA/1939: Hungersnot in Niger (SB)

[3] "Niger: UN Agency Stepping Up Operations to Feed Millions of Hungry People", UN News Service (New York), 20. Juli 2010
http://allafrica.com/stories/201007200851.html

21. Juli 2010