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AFRIKA/1978: Politik der Spannung - EU fordert Festnahme al-Bashirs (SB)


Regierung Tschads unter Druck

EU-Außenministerin Ashton fordert die Festnahme des sudanesischen Präsidenten


Wenn Staats- und Regierungschefs für ihr Tun zur Verantwortung gezogen werden könnten, dann spricht auf den ersten Blick nichts dagegen. Theoretisch könnte eine höhere Instanz dafür sorgen, daß weniger Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozide geschehen. Insofern nimmt die EU-Außenministerin Catherine Ashton in einem konkreten Fall, bei dem sie die Regierung von Tschad aufruft, den per internationalen Haftbefehl gesuchten sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir zu verhaften, eine hochmoralische Position ein.

Doch wie jede Moral enthält auch die hier zur Anwendung gelangte einen Doppelcharakter: Warum wird al-Bashir steckbrieflich gesucht, nicht aber beispielsweise der ehemalige britische Premierminister Tony Blair? Oder der "Decider" George W. Bush, der als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte entschieden hat, Irak anzugreifen, und einen bis heute nicht beendeten Krieg entfacht hat, der zig Millionen Menschen das Leben kostete? Oder Paul Kagame, seines Zeichens Präsident Ruandas, dem eine noch genauer auszulotende Mitverantwortung für den Ruanda-Konflikt zwischen 1990 und 1994 zugesprochen werden muß und dessen Armee in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre mehrere Vorstöße in die benachbarte Demokratische Republik Kongo durchführte? Dieser seit Jahren tobende Gesamtkonflikt in der Region hat sieben bis acht Millionen Menschen das Leben gekostet, und Kagame war dafür zwar nicht der einzige, aber einer der maßgeblicheren Verantwortlichen. Warum werden diese drei Personen nicht zur Anklage gebracht, wenn Justitia tatsächlich unabhängig urteilen würde?

Nachdem der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, Luis Moreno-Ocampo, im März vergangenen Jahr bereits Anklage gegen al-Bashir wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben hat, folgte vor kurzem eine zusätzliche Anklage wegen Völkermord. Dem sudanesischen Präsidenten wird der Tod von rund 300.000 Einwohnern der westsudanesischen Provinz Darfur sowie die Vertreibung von mehreren Millionen Menschen zur Last gelegt.

Viele afrikanische Nachbarstaaten und auch die Afrikanische Union (AU) - das Pendant zur Europäischen Union - halten den Haftbefehl für nicht rechtens. Selbst Tschad, das den Römer Statut, mit dem der IStGH in Funktion gesetzt wurde, unterzeichnet hat, weigert sich in diesem Fall, ihn zur Anwendung zu bringen und lehnt es ab, al-Bashir festzunehmen. Der tschadische Präsident Idriss Déby will die einigermaßen eingerenkten, aber potentiell höchst fragilen Beziehungen zu Sudan nicht gefährden.

Indem Ashton zur Verhaftung al-Bashirs aufruft, zündelt sie im tschadisch-sudanesischen Konflikt. Sie setzt ein Land, das stark von internationaler Entwicklungshilfe abhängig ist, unter Druck, um die doppelten Standards der EU-Rechtsauffassung durchzusetzen.

Al-Bashir ist gewiß kein Unschuldslamm. Der Darfur-Konflikt gestaltet sich jedoch vielschichtiger, als dies an der Anklage nur eines einzigen Beteiligten, genauer gesagt im wesentlichen nur einer Seite dieses Konflikts angemessen berücksichtigt würde. Deshalb setzt sich der IStHG dem Verdacht aus, er betreibe Siegerjustiz.

Unter nachweislichen Täuschungen haben die Regierungen der USA und Großbritanniens den Irak überfallen und die Bevölkerung jahrelangem Siechtum ausgesetzt (wobei dieser Entwicklung bereits das leidvolle Öl-gegen-Lebensmittelprogramm der neunziger Jahre vorangegangen war). Die Not der einen Bevölkerung wird nicht durch die Not einer anderen aufgehoben. Wenn aber der Gerichtshof in Den Haag zweierlei Maßstäbe anlegt, wer angeklagt wird und wer nicht, dann bedeutet das, daß die Propagandisten dieses Rechts ein chauvinistisch anmutendes Konzept von zweierlei Welten verfolgen.

Nicht unproblematisch ist die Anklage al-Bashirs auch deshalb, weil "der Westen" im Verdacht steht, in einem Interessenkonflikt zu stecken. Die USA haben das Römer Statut zwar nicht unterzeichnet, weil sie nicht wollen, daß sich US-Bürger vor einem Weltgericht verantworten müssen, und haben sich sogar vorbehalten, militärisch in Aktion zu treten, sollte das Den Haager Gericht einen US-Bürger bzw. -Soldaten gefangen halten, aber Washington weiß die Nützlichkeit des IStGH durchaus zu schätzen und hat als Veto-Staat im UN-Sicherheitsrat den Antrag auf Ausstellung eines internationalen Haftbefehls gegen al-Bashir unterstützt.

Die USA und ihr Juniorpartner EU bemühen sich seit Jahren um eine stärkere Einflußnahme auf Sudan. Unter anderem wurde die Separation des Südens erfolgreich vorangetrieben. Im kommenden Jahr sollen die Bürger darüber abstimmen, ob der Süden weiterhin Autonomiestatus genießt oder ob er sich vollständig vom Norden löst. Bei einer Trennung würde ein Teil der lukrativen Erdölfelder der Zentralregierung al-Bashirs entwunden. Man kann davon ausgehen, daß davon auch China als Hauptabnehmer sudanesischen Erdöls betroffen sein würde.

Nun haben aber die USA die Abspaltung des Südens viele Jahre lang finanziell unterstützt. Selbst wenn dies teilweise unter dem Titel humanitäre Hilfe fungierte, bedeutete es faktisch, daß die Milizen der gegen den Norden kämpfenden SPLA finanziell entlastet wurden und sie sich Waffen kaufen konnten. Ein beträchtlicher Teil der zehn Jahre lang von den Vereinten Nationen im Rahmen der Luftbrücke "Operation Lifeline Sudan" über dem Südsudan abgeworfenen Hilfsmittel wurden von der SPLA beschlagnahmt und dienten somit Kriegszwecken.

Erdölgesellschaften aus den USA stehen Gewehr bei Fuß, um in Sudan Bohrlizenzen zu erwerben und nach Erdöl zu bohren. Noch ist ihnen dies gesetzlich untersagt. Bei einer Separation Südsudans dürfte das Verbot aufgehoben werden. Der Konflikt im Westen Sudans brach als unmittelbare Folge eines unter massivem Druck der USA zustandegekommenen Friedensvertrags zwischen Nord- und Südsudan aus. Hier mischen verschiedene Interessengruppen mit, aber erstens ist festzustellen, daß es in dem Moment zum Konflikt kam, als Darfur durch den Friedensvertrag marginalisiert wurde; es sollte nicht angemessen an den Einnahmen aus Erdölexport beteiligt werden. Zweitens unterstützte die im Süden regierende (und vom Westen geförderte) SPLA die plötzlich in Darfur auftretende SLA. Die Namensähnlichkeit zwischen den einstigen Rebellen im Süden und den neu auftretenden Rebellen im Westen war kein Zufall.

Mit al-Bashir wird erstmals ein amtierender Staatsmann angeklagt, der die Verantwortung für die zweifellos überaus harte Antwort des Staates auf terroristische Aktivitäten in Darfur, die mit Überfällen der SLA auf Polizeistationen und Garnisonen begannen, trägt. Die "Kläger", das heißt, die westlichen Regierungen, haben ein eigennütziges Interesse an der Balkanisierung Sudans und treiben diese Entwicklung voran. Somit ist der IStGH als verlängerter Arm westlicher Interessen anzusehen und nicht als Instanz, die über den Dingen steht und dem Anspruch auf Unbestechlichkeit erfüllt.

Indem die EU und USA in Darfur ihr eigenes Süppchen kochen und nun Druck auf Tschad ausüben, damit al-Bashir verhaftet wird, tun sie den Opfern der Verbrannte-Erde-Politik der sudanesischen Zentralregierung (und, was in der hiesigen Berichterstattung gern unterbelichtet dargestellt wird, der Rebellen) keinen Gefallen. Die Opfer werden instrumentalisiert, um in Sudan einen Regime-change herbeizuführen. Wenn das Weltrecht sein soll, dann wird mit ihm die bestehende Teilung der Welt hinsichtlich der Überlebensvoraussetzungen und Chancen der Menschen auf Einflußnahme geradezu betoniert.

23. Juli 2010