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AFRIKA/1993: Habyarimana-Attentat - Reinwaschung Kagames mit Frankreichs Hilfe? (SB)


Wer schoß am 6. April 1994 in Ruanda ein Flugzeug mit den Präsidenten zweier Länder ab?

Französische Ermittlungen in Ruanda mit dem Segen der
Kagame-Regierung


Am Samstag sind die französische Untersuchungsrichterin Nathalie Poux und ihr Kollege Marc Trévidic samt Mitarbeitstab nach Ruanda geflogen, um das Attentat auf den früheren ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana aufzuklären. [1] Dieser befand sich unter anderem mit seinem burundischen Amtskollegen Cyprien Ntaryamira an Bord einer Falcon 50 - ein Geschenk des ehemaligen französischen Präsidenten Mitterand -, die von einer französischen Besatzung geflogen wurde.

Die Maschine befand sich im Landeanflug auf den Internationalen Flughafen von Kigali, als gegen 20.30 Uhr Ortszeit zwei Boden-Luft-Raketen auf die Maschine abgefeuert wurden. Die zweite Rakete traf, das Flugzeug stürzte ab, alle Personen an Bord kamen ums Leben. Schon bald danach brachen Kämpfe aus, die in den nächsten hundert Tagen rund 800.000 Ruandern das Leben kostete. Angehörige der beim Attentat umgekommenen französischen Crew haben die Ermittlungen angestrengt. Nun kündigte der ruandische Justizminister Tharcisse Karugarama an, daß die Regierung den französischen Richtern größtmögliche Kooperation zukommen läßt, damit "freie, faire und transparente Untersuchungen" durchgeführt werden können, so die regierungsnahe Zeitung "The New Times". [2]

Die Beziehungen zwischen Frankreich und Ruanda waren nach 1994 extrem unterkühlt. 2006 wurden die diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Seitdem jedoch Nicolas Sarkozy französischer Staatspräsident ist, gehen beide Seiten wieder aufeinander zu und haben inzwischen sogar die diplomatische Beziehungen reanimiert.

Wie kann das sein, da sich hinsichtlich des Streitanlasses eigentlich gar nichts geändert hat? Noch immer hat Frankreich internationale Haftbefehle gegen neun ranghohe Mitglieder der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) ausgestellt, noch immer ist die Aussage des französischen Untersuchungsrichters Jean-Louis Bruguière nicht zurückgenommen, daß er auch einen Haftbefehl gegen den damaligen RPF-Führer und heutigen Präsidenten Ruandas, Paul Kagame, beantragt hätte, wenn dieser nicht qua seines Amtes Immunität genösse. Und umgekehrt bezichtigt Ruandas Regierung noch immer ehemalige Mitglieder der französischen Regierung, sie hätten die für die Massaker verantwortlichen Hutu-Völkermörder durch französische Soldaten im Rahmen der Operation Turquoise geschützt und ins benachbarte Zaire (heute DR Kongo) entkommen lassen, wo sie heute noch ihr Unwesen trieben und eine Bedrohung für Ruanda darstellten.

Die verbreitetste Lesart des Flugzeugattentats lautet, daß radikale Hutu ihren eigenen Präsidenten umgebracht haben, da sie mit seinem angeblich versöhnlichen Kurs gegenüber der RPF, mit der im Jahr zuvor das Friedensabkommen von Arusha unterzeichnet wurde, nicht einverstanden waren. Eine andere Lesart der Ereignisse lautet, daß Kagame seinen Widersacher umbringen und die Verantwortung den Hutu in die Schuhe schieben ließ. Das Motiv, Habyarimana zu beseitigen, war sicherlich auf beiden Seiten gegeben und für beide Versionen lassen sich auch Indizien finden. Allerdings überwiegen die Hinweise, daß die RPF das Attentat verübt hat, bei weitem.

Eine unabhängige Untersuchung des Attentats hat es nie gegeben, das hat die RPF-Regierung zu verhindern gewußt. Auch das UN-Tribunal, obgleich vom Sicherheitsrat beauftragt, sämtliche 1994 in Ruanda begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ermitteln - was die Enthauptung der Führung zweier Staaten zweifellos einschließt -, hat zunächst intensive Ermittlungen durchgeführt, diese aber in dem Moment abgebrochen, als eine brandheiße Spur auf Kagame als Auftraggeber des Attentats wies. Warum die damalige UN-Chefermittlerin Louise Arbour die Ermittlungen plötzlich abbrechen ließ und ihren damaligen Mitarbeiter, den australischen Anwalt Michael Hourigan, aufforderte, ihr seine Ermittlungsergebnisse zu übergeben und seine persönlichen Aufzeichnungen zu verbrennen, ist bis heute ungeklärt. Wie überhaupt vieles andere im Zusammenhang mit dem sogenannten Ruanda-Genozid, beispielsweise wieso der für die Ermittlungen sicherlich wichtige Flugschreiber der Falcon 50 erst viele Jahre später in einem Aktenschrank der Vereinten Nationen in New York auftauchte. Zu dumm aber auch, daß er so lange übersehen wurde, möchte man spötteln, wenn der Kontext nicht bitterernst wäre.

Daß nun ausgerechnet zwei französische Richter nach Ruanda reisen, um sich ein eigenes Bild von der Lage vor Ort zu machen und den Hintergrund des Flugzeugabschusses zu beleuchten, deutet keineswegs auf erneute Spannungen zwischen Frankreich und Ruanda, sondern im Gegenteil auf Entspannung. Es kann zwar nicht völlig ausgeschlossen werden, daß der Streit zwischen den beiden Ländern wieder aufflammt, aber einiges spricht dafür, daß die Ermittlungen zu keiner weiteren Belastung der Kagame-Regierung führen sollen. Möglicherweise erhält der Präsident Ruandas von Frankreich eine Art Freibrief. Jedenfalls könnte die von beiden Seiten gewünschte Annäherung gar nicht besser bekräftigt werden, als wenn der Untersuchungsrichter und die -richterin nichts herausfinden, was die RPF ernsthaft belastete.

Allein die Tatsache, daß die ruandische Regierung im Vorfeld der Wahlen im August dieses Jahres kritische Medien aus dem Verkehr gezogen hat, oppositionelle Journalisten sowie Kritiker Kagames von Unbekannten umgebracht, Konkurrenten um das höchste Staatsamt verunglimpft und verhaftet wurden, ohne daß dies einen Aufschrei der Empörung in der internationalen Öffentlichkeit ausgelöst oder Sanktionen gegen die Kagame-Regierung nach sich gezogen hätte, deutet darauf hin, daß diese über einflußreiche Schutzpatrone verfügt. Der UN-Sicherheitsrat wäre eigentlich ein Gremium, vor dem die Möglichkeit von Sanktionen erörtert würde.

Lediglich die außerplanmäßige Veröffentlichung des Entwurfs eines UN-Berichts über die Massaker zwischen 1993 und 2003 in der DR Kongo hat in den letzten Wochen für Irritationen gesorgt, kommen doch darin die Ermittler zu dem Schluß, daß die RPF in einem derart großen Ausmaß im Nachbarland gefoltert, vergewaltigt und gemordet hat, daß man dies als Völkermord bezeichnen könnte. Ausgerechnet Kagames Armee, die "gute", die angeblich Ruanda von den Hutu-Völkermörder "befreit" hat! Das darf nicht sein, das Schwarz-weiß-Geschichtsbild von den Hutu als alleinige Täter und den Tutsi als alleinige Opfer kennt keine Grautöne, geschweige denn inverse Darstellungen.

Die ruandische Regierung hat nicht in der Weise auf den UN-Bericht reagiert, daß sie gesagt hätte, Moment mal, da muß ein Irrtum vorliegen, laßt uns mal gemeinsam aufklären, wie es zu dieser Fehleinschätzung unserer Rolle im Kongo-Konflikt kommen konnte. Statt dessen hat sie Drohungen ausgestoßen, daß sie ihre Mitarbeit bei den Vereinten Nationen beenden wird, respektive den Blauhelmeinsatz in Darfur, und ähnliches mehr, sollte der Bericht offiziell veröffentlicht werden. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon reiste flugs zum Rapport nach Kigali, und mittlerweile steht fest, daß der UN-Bericht nicht wie ursprünglich geplant noch in diesem Monat veröffentlicht wird. Man kann davon ausgehen, daß die Endversion, so sie je an die Öffentlichkeit gelangt, in zentralen Aussagen, die die RPF belasten würden, entschärft wird.

Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und Ruanda, die Unterstützung des repressiven Kagame-Regimes durch die USA, Großbritannien, Deutschland und andere Staaten sowie die Vereinten Nationen lassen darauf schließen, daß die französischen Ermittlungen letztlich die Aufgabe haben, Kagame von dem schwerwiegenden Vorwurf, er habe 1994 den Befehl zum Abschuß der Präsidentenmaschine gegeben, zu entlasten.


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Anmerkungen:

[1] "French judges investigate Habyarimana´s death in Rwanda", RFI, 11. September 2010
http://www.english.rfi.fr/africa/20100911-french-judges-investigate-habyarimana-s-death-rwanda

[2] "Rwanda: French Investigators Into Habyarimana Plane Crash Arrive", The New Times (Kigali), 12. September 2010
http://allafrica.com/stories/201009120007.html

13. September 2010