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AFRIKA/2015: Shells Einfluß auf Nigerias Regierung - WikiLeaks bestätigt Altbekanntes (SB)


Keine umwerfend neue Enthüllung: Shell besitzt Informanten in allen Schlüsselministerien Nigerias


Die von der Internetseite WikiLeaks über fünf große westliche Zeitungen an die Öffentlichkeit gebrachten Diplomatendepeschen des US-Außenministeriums liefern Detaileinblicke in politische Vorgänge auf der ganzen Welt, bislang jedoch keine wirklich überraschenden Erkenntnisse, die dem fundamental entgegenliefen, was nicht sowieso schon bekannt wäre. Beispielsweise Nigeria. Aus einem vertraulichen Memorandum der US-Botschaft in Abuja vom 20. Oktober 2009 geht hervor, daß der britisch-niederländische Ölkonzern Shell dank seiner Zuträger "alles" über die wichtigen Entscheidungen in den Ministerien des Landes hinsichtlich des ölreichen Nigerdeltas wisse.

Die Regierung Nigerias habe das Ausmaß der Infiltration durch Shell anscheinend "vergessen", wenn der Staatsminister für die Erdölreserven, Odein Ajumogobia, leugne, daß seine Regierung China um Angebote für Erdölförderlizenzen gebeten habe, und sie sei sich offenbar nicht gewahr, was Shell alles über die Absichten der Regierung wisse, brüstete sich Ann Pickard, Vizepräsidentin für Shell in den Subsaharastaaten, gegenüber der US-Botschafterin Robin Renee Sanders.

Bislang stand nie in Frage, daß Shell und die im Laufe der Jahrzehnte wechselnden Regierungen Nigerias aufs engste zusammengearbeitet haben. Dem Erdölkonzern wurde nachgesagt, daß er über erheblichen Einfluß auf die Regierung verfügt. Durch die veröffentlichten Dokumente wird nun bekannt, daß Shell in den Schlüsselministerien Informanten besaß - diese Erkenntnis kommt nicht wirklich überraschend. Zumal Nigerias Politikern nicht gerade der Ruf der Unbestechlichkeit anhaftet ... Der jetzt veröffentlichte Schriftverkehr der US-Diplomatie ergänzt sozusagen das, was längst bekannt war oder was sich jeder ausmalen konnte, der einigermaßen mit der Materie vertraut war.

In einem Dokument des US-Konsulats in Lagos vom 19. September 2008 hat Pickard US-Diplomaten mit den Namen zweier nigerianischer Regionalpolitiker, die im Verdacht standen, die Aktivitäten der Militanten im Nigerdelta zu unterstützen, versorgt und umgekehrt angefragt, ob die Militanten Luftabwehrraketen (SAMs) besäßen. Shell verfüge über die Information, daß möglicherweise ein bis drei SAMs an Milizengruppen geliefert worden seien.

Levi Ajuonoma, Sprecher der staatlichen Ölgesellschaft NNPC (Nigerian National Petroleum Corporation), erklärte, daß Shell nicht die Regierung von Nigeria kontrolliere und sie niemals kontrolliert habe. Das Dokument sei bloß eine Interpretation von einer Person. Es sei absolut falsch und führe nur in die Irre. Die Regierung solle erniedrigt werden. Das werde jedoch niemandem eine schlaflose Nacht bereiten.

Unbestritten. Wie gesagt, Shell und Nigerias Regierung kooperieren seit langem gut - warum sollte das irgend jemanden aus dem örtlichen Establishment den Schlaf kosten? Rund 70 Prozent der Einwohner Nigerias leben unterhalb der Armutsgrenze. Insbesondere das Ölfördergebiet Nigerdelta ist von Armut und Umweltzerstörungen gezeichnet. Dafür tragen die Regierung und der sie angeblich nicht kontrollierende Shell-Konzern die Hauptverantwortung. Im Laufe der Jahre haben beide dank der Erdölförderung Dutzende Milliarden Dollar eingenommen, von denen die Menschen, aus deren Region das schwarze Gold emporgepumpt wird, so gut wie nichts gesehen haben. Ob die örtlichen Milizengruppen, die der Regierung immer wieder Ärger bereitet, eigene Interessen oder die aller Bewohner des Nigerdeltas verfolgen, ist allerdings eine bis heute noch nicht abschließend beantwortete Frage.

Wirklich brisante Enthüllungen hat WikiLeaks hinsichtlich Nigeria bislang nicht geliefert. Dabei herrscht an politisch bedeutsamen Vorfällen kein Mangel. Beispielsweise ob und inwieweit Shell 1995 an der Hinrichtung des Menschenrechtlers Ken Saro-Wiwa und acht Mitstreitern vom Volk der Ogoni beteiligt war. Oder was die US-Behörden im Vorfeld des Weihnachten 2009 versuchten Anschlags auf eine Linienmaschine im Anflug auf Detroit durch den 23-jährigen Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab wußten.


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Anmerkungen:

[1] "WikiLeaks cables: Shell's grip on Nigerian state revealed", The Guardian, 8. Dezember 2010
http://www.guardian.co.uk/business/2010/dec/08/wikileaks-cables-shell-nigeria-spying

10. Dezember 2010