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AFRIKA/2023: Projekt X - Äthiopien treibt Staudammprojekt voran (SB)


Äthiopien plant Bau eines riesigen hydroelektrischen Kraftwerks

Nutzt Addis Abeba die momentane Schwäche Ägyptens, um absehbaren Widerstand gegen den Staudammbau zu umgehen?


Die Anrainerstaaten des Oberlaufs des Nils treten immer selbstbewußter auf. Sie akzeptieren nicht mehr die Bestimmungen aus dem kolonialzeitlichen Nilvertrag, der Ägypten und mit Abstrichen auch Sudan bei der Aufteilung des Flußwassers gegenüber Ländern wie Äthiopien erheblich bevorteilte. Einer den wirtschaftlichen Gegebenheiten der Jetztzeit angepaßten Neuauflage des Nilvertrags hat sich die ägyptische Regierung bislang verweigert. Selbst der im vergangenen Monat per Referendum beschlossenen Separation Südsudans stand sie ablehnend gegenüber, ist doch davon zu erwarten, daß der neue Staat höhere Ansprüche an das Nutzungsrecht des Nilwassers stellt als die Zentralregierung, die den Süden des Landes vernachlässigt hat. Äthiopien wiederum verzeichnet sowohl ein starkes Bevölkerungswachstum als auch einen wirtschaftlichen Aufschwung und hat schon vor Jahren angefangen, hydroelektrische Kraftwerke zu errichten. Damit sollen einerseits der wachsende elektrische Strombedarf des Landes beglichen und andererseits Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft gebaut werden. Ägypten sieht die Bestimmungen des Nilvertrags verletzt und hat gedroht, es werde dem Vorgehen der äthiopischen Regierung nicht tatenlos zusehen.

Die denkt jedoch nicht an einen Rückzieher. Premierminister Meles Zenawi trug mit seinen Behauptungen, daß Ägypten einen Krieg um das Nilwasser nicht gewinnen könne und daß äthiopische Rebellengruppen von Ägypten unterstützt werden, seinen Teil dazu bei, daß die Spannungen zwischen den beiden Ländern zunahmen. Vor wenigen Tagen, am 3. Februar, berichtete er Abgeordneten von Plänen, die über die bisherigen hydroelektrischen Projekte GilGel Gibe II und Tekeze hinausgehen. Noch in diesem Jahr werde der Bau eines großen Staudamms begonnen.

Meles spiele damit auf das "Projekt X" an, berichtete die Zeitung "Addis Fortune" [1] unter Berufung auf Quellen beim staatlichen Energieversorger Ethiopian Electric Power Corporation (EEPCo). Das neue Wasserkraftwerk soll eine Kapazität von 6.000 Megawatt haben, was das Dreifache der bislang über hydroelektrische Kraftwerke, geothermische und Dieselkraftwerke erzeugten elektrischen Energie entspricht. Damit will die Regierung nicht nur den heimischen Bedarf decken, sondern auch Energie exportieren. Letztendliches Planziel sind 10.000 MM. Innerhalb der nächsten fünf Jahre, so die Vorstellung der Meles-Regierung, soll Äthiopien zum wichtigsten Anbieter für erneuerbare Energien in Ostafrika werden. [2]

Der neue Staudamm soll am Abay-Fluß in der Provinz Benishangul, 40 Kilometer von der Grenze zu Sudan entfernt, entstehen. Der Auftrag wurde an das italienische Unternehmen Salini Costruttori vergeben, das bereits die Staudämme GilGel Gibe II (420MW) und Tana Beles (460MW) gebaut hat. Den elektromechanischen Anteil wie die Turbinen liefert ein chinesisches Unternehmen, was auf die Anweisung der Regierung in Addis Abeba zurückgeht. Sie will damit eine Finanzhilfe Chinas sicherstellen.

Ob und in welchem Ausmaß die weitgehend verarmte äthiopische Bevölkerung am wirtschaftlichen Aufschwung des Landes teilhaben wird, muß angesichts der bisherigen Entwicklung als unsicher bezeichnet werden, ohne dabei die enormen Probleme der Regierung - Hunger, Dürren, rasantes Bevölkerungswachstum - in Abrede stellen zu wollen. Doch die Unterdrückung der Opposition, die Mauscheleien im Vorfeld der letzten Wahlen, die militärische Intervention im Nachbarland Somalia, der drakonische Umgang mit der Ogaden-Befreiungsbewegung, das alles ergibt ein Bild von der Regierung, das zunehmend diktatorische Züge annimmt. Es verleitet zu der Vermutung, daß der opferreiche Krieg 1998 gegen die frühere Provinz Eritrea nicht wegen der Unterschiede dieser Länder begangen wurde, sondern weil sie sich in vielem ähnlich sind.

Anscheinend treibt Äthiopien das "Projekt X" beschleunigt voran. Obwohl das Vorhaben offiziell noch nicht bekanntgegeben wurde und EEOC auf seiner Website auch keinerlei Informationen dazu veröffentlicht hat, ist Salini bereits mit schwerem Räumgerät angerückt und hat Unterkünfte für die Arbeiter aufgestellt. Die Beschleunigung des Projekts zum jetzigen Zeitpunkt könnte außenpolitische Gründe haben: Die Regierung Ägyptens, die mit Sicherheit Bedenken gegen "Projekt X" hegt, wird zur Zeit mit der Revolte im eigenen Land in Atem gehalten und dürfte die nächste Zeit außenpolitisch nicht besonders stark auftreten. Diese Schwäche könnte die äthiopische Regierung auszunutzen versucht sein, indem sie rasch vollendete Tatsachen schafft.

Nun werden Projekte des Ausmaßes, über das hier geredet wird, nicht mal eben aus dem Hut gezaubert, nur weil von Ägypten zur Zeit kein Widerstand zu erwarten ist. Doch auch wenn die Pläne Äthiopiens schon seit längerem auf dem Tisch liegen, schließt das nicht aus, daß sie mit Blick auf die junge Revolte der ägyptischen Bevölkerung jetzt beschleunigt in Angriff genommen werden. Dabei sollte allerdings die Gefahr, daß die Regierung Hosni Mubaraks ihren Machterhalt durch eine außenpolitische Krise abzusichern versucht, nicht unterschätzt werden. Die Wasserbauprojekte Äthiopiens könnten Kairo den ersehnten Vorwand liefern, um drakonisch gegen die Oppositionsbewegung vorzugehen, um zunächst einmal die äußere "Bedrohung" zu bereinigen.


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Quellen:
[1] "Ethiopia: Project X - Turning the Energy Tide", Addis Fortune
(Addis Ababa), 7. Februar 2011

http://allafrica.com/stories/201102080902.html

[2] "Ethiopia: Govt Aims to Become Leading Power Exporter in East Africa", Sudan Tribune, 24. Oktober 2010
http://allafrica.com/stories/201010250113.html

9. Februar 2011