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AFRIKA/2059: Farm Bill 2012 - Hilfsorganisationen fordern Reform der US-Entwicklungshilfe (SB)


NGOs fordern von US-Regierung echte Entwicklungshilfe statt unverhohlene Agrarsubventionen


In der vergangenen Woche fanden vor dem US-Kongreß Anhörungen zum "Farm Bill 2012" statt, das von diesem abgesegnet wird und hauptsächlich Aufgabenbereiche des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) betrifft. Die in die 1970er Jahren eingeführten Regelungen gelten für jeweils fünf Jahre. Noch in diesem, spätestens im nächsten Jahr sollen sie beschlossen werden. [1] Mittels des Farm Bills werden milliardenschwere Subventionen an die großen Agrokonzerne geschleust, das Lebensmittelhilfeprogramm SNAP (Supplemental Nutrition Assistance Program), an dem zur Zeit mehr als 40 Millionen bedürftige US-Bürger partizipieren, finanziert und Teile der Entwicklungshilfe, die in den Zuständigkeitsbereich der staatlichen Agentur für internationale Entwicklung USAID fallen, geleistet. Da auf die USA fast 50 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelhilfe entfallen, sind von dem Verhandlungsergebnis im US-Kongreß auch die Empfängerländer in Afrika betroffen.

Hilfsorganisationen sorgen sich, daß die von US-Präsident Barack Obama angekündigten Haushaltskürzungen, durch die voraussichtlich 23 Milliarden Dollar über die nächsten zehn Jahre in den vom "Farm Bill 2012" geregelten Bereichen eingespart werden sollen, auch vor der internationalen Entwicklungshilfe nicht haltmachen. Das sei eine gute Gelegenheit, die bisherige Vergabepraxis zu überarbeiten, schlagen Nichtregierungsorganisationen (NGO) vor. "Angesichts der sehr angespannten Haushaltslage ist es entscheidend, daß wir kein Geld verschwenden - nicht zuletzt weil die Staatengemeinschaft weit davon entfernt ist, ihre Ziele zur Verringerung des Hungers einzuhalten", sagt Paul O'Brian von Oxfam America. [2] Er spielt auf die Millenniumsziele an, die unter anderem eine Halbierung der Zahl der Hungernden bis 2015 vorsehen. Von diesem Ziel ist die internationale Staatengemeinschaft jedoch weit entfernt. Gegenüber dem Referenzjahr 2000 hat die Bedürftigkeit sogar drastisch zugenommen, und es sind bislang keine Ansätze zu erkennen, wie das Ruder innerhalb der nächsten drei Jahre noch herumgerissen werden könnte.

Als längst überholt gilt beispielsweise die "gebundene" Nahrungsmittelhilfe, bei der große Mengen an Getreide, Hülsenfrüchten und Gemüse von US-amerikanischen Konzernen gekauft werden. Die transportieren dann die Hilfslieferungen mit Schiffen, die unter US-Flagge nach Afrika und in andere ferne Regionen fahren, und kassieren kräftig ab. Rund 60 Prozent der Kosten für die Nahrungsmittelhilfe flössen auf diese Weise an US-Firmen, wobei davon wiederum 40 Prozent auf die drei größten Agrokonzerne entfielen. [2]

Faktisch bedeutet das jedoch, daß mit der Nahrungsmittelhilfe der Vereinigten Staaten, von der etwa 80 Prozent bzw. zwei Milliarden Dollar unter die Bestimmungen des Farm Bills fallen, die heimische Agrarindustrie subventioniert wird, und innerhalb dieses Sektors wiederum nicht die Bauern, die einen umweltverträglichen organischen Landbau betreiben, sondern die großen Konzerne, die vorzugsweise Monokulturen anlegen. Empfängerländer profitieren zweifellos ebenfalls von der Nahrungsmittelhilfe, aber aus der Sicht der US-Produzenten stellt ausgerechnet die Nahrungsnot in den ärmeren Ländern eine zuverlässige Einnahmequelle dar, solange der Staat die Kosten übernimmt.

Die Hilfsorganisation Oxfam America zählt zu den NGOs, die sich für eine Abkehr von der gebundenen Entwicklungshilfe einsetzen. [3] Darüber hinaus übt Oxfam Kritik daran, daß die Nahrungsmittel nicht komplett an die Bedürftigen verteilt werden, sondern daß Hilfsorganisationen einen Teil davon auf den örtlichen Märkten verkaufen, um von den Einnahmen Entwicklungsprogramme, die zunächst nichts mit der Hungersnot zu tun haben und gesondert budgetiert werden sollten, zu finanzieren. Hierdurch würden die Preise der örtlichen Händler unterboten, die damit Verlustgeschäfte machten. Alles in allem gehe ein Drittel der von den Vereinigten Staaten gelieferten Nahrungsmittelhilfe verloren, kritisieren die NGOs.

Ein weiterer Nachteil der bisherigen Form der US-amerikanischen Nahrungsmittelhilfe besteht laut Oxfam darin, daß auf diese Weise nicht rechtzeitig auf plötzliche Mangelsituationen reagiert werden kann, denn Getreide von den USA nach Afrika zu bringen dauere viele Wochen. Als Beispiel nennt O'Brian den plötzlichen Nahrungsmittelbedarf in den sudanesischen Flüchtlingslagern nach dem Ausbruch von Grenzstreitigkeiten zwischen Sudan und Südsudan, wodurch mehr als 400.000 Personen vertrieben wurden.

In dem Pilotprojekt "LRP - Local and Regional Procurement" des US-Landwirtschaftsministeriums und der US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID), bei dem Nahrung im Wert von 60 Millionen Dollar gemäß dem Projekttitel "lokal und regional", also dort, wo auch die Not herrschte, beschafft wurde, konnte aufgezeigt werden, daß die Hilfslieferungen im Durchschnitt um 60 Prozent und damit vierzehn Wochen schneller vor Ort waren als beim Transport der Nahrung aus den USA. Die Kosten für Getreide und Bohnen wurden um 50 Prozent oder mehr gesenkt. Lediglich bei verarbeiteten Produkten ergab sich kein Kostenvorteil. [4]

Timi Gerson, leitender Rechtsberater bei der Hilfsorganisation American Jewish World Service, schlägt als Alternative zur bisherigen US-Entwicklungshilfe vor, daß verstärkt finanzielle Hilfe geleistet wird, damit die Bedürftigen Nahrungsmittel aus der Region erhalten, oder Gutscheine verteilt werden, die für den Erwerb von Nahrung eingelöst werden können. In beiden Fällen würde das der Landwirtschaft vor Ort zugute kommen. [2]

Dieses Konzept, das bereits von den meisten europäischen Staaten angewendet wird, kann allerdings nur funktionieren, wenn vor Ort genügend Nahrungsmittel produziert wurden. Das trifft nicht immer zu. In Dürre- und Überschwemmungsgebieten muß selbstverständlich auf weiter entfernte Regionen ausgewichen werden. Auf der anderen Seite ist das Phänomen zu beobachten, daß in manchen Hungergebieten Nahrungsmittel vorhanden, aber für viele Einwohner unerschwinglich sind. Da kann eine Finanzhilfe erhebliche Linderung verschaffen. Auch ist bekannt, daß Händler, wenn die Preise steigen, vor der Frage stehen, ob es nicht vorteilhafter für sie wäre, ihre Ware zurückzuhalten, weil sie zu einem späteren Zeitpunkt mehr verdienen können. Dieses Verhalten drängt sich aus betriebswirtschaftlichen Gründen auf, kann aber den örtlichen Nahrungsmangel deutlich verschärfen.

Diesem marktwirtschaftlich konsequenten, wenngleich menschlich problematischen Spekulieren könnte nur durch staatliche Eingriffe, beispielsweise in Form von Agrarsubventionen, Ausfuhrverboten oder Schutzzöllen seitens der Nachbarländer, Einhalt geboten werden. Das wird allerdings von den Geberländern wie den USA sowie globalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank nicht gern gesehen, was schon manche afrikanische Regierung in eine Zwickmühle gebracht hat. Denn einerseits kann die Entwicklungshilfe einen wichtigen Teil des Staatshaushalts ausmachen, andererseits soll die Not der Bevölkerung gelindert werden.

Für die afrikanischen Regierungen kann das eigentlich nur bedeuten, daß sie sich noch entschiedener als bisher um die Erlangung von Ernährungssouveränität bemühen. Wenn beispielsweise ein Land wie Äthiopien in großen Mengen Nahrungsmittel exportiert, gleichzeitig aber Millionen Einwohner Hunger leiden, dann kommen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Regierung, den Hunger im eigenen Land bekämpfen zu wollen, auf. Vielmehr entsteht der Eindruck, als werde der Nahrungsmangel für politische Interessen instrumentalisiert. Ein Verdacht, der im übrigen häufiger gegen die US-Regierung erhoben wird, die Nahrungsmittelhilfe an verbündete Staaten liefert, sie aber "Schurkenstaaten" verweigert oder, wie in Simbabwe, an einer unliebsamen Regierung vorbei an örtliche Hilfsorganisationen zu schleusen versucht.

Indem die US-Regierung die eigene Landwirtschaft massiv subventioniert (gleiches gilt im übrigen für die EU) und zugleich von ärmeren Ländern Subventionsabbau fordert, produzieren die amerikanischen Farmer Getreideüberschüsse, die sich geostrategisch einsetzen lassen. Zugleich versuchen die Vereinigten Staaten, das rechtlich mit einem strengen Lizenzierungssystem abgesicherte gentechnisch veränderte Saatgut weltweit zu verbreiten, wovon US-Unternehmen wie Monsanto profitieren. Auch das kann afrikanische Regierungen in Bedrängnis bringen, wenn sie die Grüne Gentechnik ablehnen, aber gleichzeitig die Bevölkerung Hunger leidet.

Die Bestimmungen im Farm Bill 2012 werden zeigen, ob die US-Regierung bereit ist, auf die Vorschläge einer global vernetzten, zivilgesellschaftlichen Bewegung mit Vertretern des organischen Landbaus der USA, der internationalen Kleinbauernbewegung Via Campesina und Entwicklungsorganisationen wie Oxfam einzugehen oder ob sie weiterhin die heimischen Agrokonzerne subventioniert und ihnen damit zu einem beträchtlichen Konkurrenzvorteil verhilft.



Fußnoten:

[1] "Farm Bill Timeline", Institute for Agriculture and Trade Policy, aus dem Internet abgerufen am 17. Februar 2012
http://www.farmbillfacts.org/agenda-2012/farm-bill-timeline

[2] "Washington urged to stop wasting food aid dollars", AlertNet News Blog, Megan Rowling, aus dem Internet abgerufen am 17. Februar 2012
http://www.trust.org/alertnet/blogs/alertnet-news-blog/washington-urged-to-stop-wasting-food-aid-dollars/ [3] "Obama budget treads water in fight against global poverty", Oxfam America, 13. Februar 2012
http://www.oxfamamerica.org/press/pressreleases/obama-budget-treads-water-in-fight-against-global-poverty

[4] "USDA Local and Regional Procurement (LRP) Learning Event Report", World Vision, November 2011
https://docs.google.com/viewer?a=v&pid=sites&srcid=ZGVmYXVsdGRvbWFpbnxscnBsZWFybmluZ2FsbGlhbmNlfGd4OjQzZDNjYWYyOWNmZDBhMzM&pli=1

19. Februar 2012