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AFRIKA/2070: Pakt mit dem Besatzer - Deutsch-marokkanische "Absichtserklärung" zur Energiepartnerschaft (SB)


"Grünes" Kapital und Knowhow für Marokko - Feigenblatt für Menschenrechtsverletzungen in Westsahara



Als hätte die Bewegung des Arabischen Frühlings westlich der tunesisch-algerischen Grenze aufgehört, paktiert die Bundesregierung offenbar ungetrübt jeglicher völker- und menschenrechtlicher Bedenken mit dem Königreich Marokko und baut die Zusammenarbeit insbesondere auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien weiter aus. Dabei hat der Aufstand in der arabischen Welt bzw. dessen jüngste Phase im Oktober 2010 in El Aaiún (Laâyoune) begonnen, der Hauptstadt der von Marokko besetzten West-Sahara. Wohingegen die heute als Auslöser der Revolten gehandelte Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi erst am 17. Dezember 2010 erfolgte.

In einer "Gemeinsamen Absichtserklärung über die Errichtung einer Energiepartnerschaft zwischen dem Königreich Marokko und der Bundesrepublik Deutschland" vom 3. Juli 2012 [1] wird der Konflikt um die völkerrechtlich nicht anerkannte Annektion des größten Teils der Westsahara mit keiner Silbe erwähnt. Vielmehr bekräftigen die Unterzeichner, "dass sich die Verwirklichung dieser Gemeinsamen Absichtserklärung auch weiterhin an den Regeln des Völkerrechts ausrichten wird". Das liest sich so, als ob die Bundesregierung damit die Annektierung westsaharischen Gebiets durch Marokko akzeptiert hat - wie anders ist die Formulierung "auch weiterhin" zu verstehen? Und um wohl jeden Zweifel auszuräumen, wollen sich die Unterzeichner lediglich nach den Regeln des Völkerrechts "ausrichten". Würden sie sich hingegen daran "halten", stünde das im Widerspruch zu Marokkos Besatzungspolitik. Auch das wurde von Deutschland mit Brief und Siegel akzeptiert.

Bemerkenswert ist darüber hinaus die Formulierung in einem Abschnitt der Gemeinsamen Absichtserklärung, der mit "Arbeitsgruppe 'Flankierung des DESERTEC-Vorhabens in Marokko'" überschrieben ist. Darin heißt es: "Das DESERTEC-Vorhaben beabsichtigt die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen in der Wüste Nordafrikas als Beitrag zur lokalen Energieversorgung sowie zur Förderung des Stromexports nach Europa." Das solle gefördert werden. Die vorwiegend von der deutschen Wirtschaft gebildete Desertec Industrial Initiative (DII) hat jedoch ausdrücklich erklärt, daß sie keine Projekte Marokkos in der Westsahara unterstütze. Ignoriert die Bundesregierung diese Entscheidung? Oder hat sie Anhaltspunkte dafür, daß die DII irgendwann auf Abstand zu ihrem eigenen Anspruch gehen wird?

Der Siemens-Konzern jedenfalls, der ein Hauptaktionär der DII ist, scheint mittlerweile auf die Kritik seitens der westsaharischen Zivilgesellschaft bzw. der sich für die Befreiung der Westsahara einsetztenden Organisationen wie WSRW (Western Sahara Resource Watch) [2] reagiert zu haben und auf seiner Website zum Stichwort "Energy Sector / Wind Power Division" am 3. Juli 2012 eine "Korrektur" zu seiner ursprünglich am 30. Januar 2012 veröffentlichten Presseerklärung angefügt. In der ergänzenden Korrektur heißt es, daß der Standort des Windparks in Foum El Qued dem Territorium des Königreichs von Marokko zugewiesen worden sei. Jedoch liege der Windpark in der Westsahara-Region, dessen internationaler rechtlicher Status ungeklärt sei. Siemens bedaure die irreführende Terminologie und stelle klar, daß man nicht beabsichtigt habe, eine politische Stellungnahme zum Status der Region abzugeben [3].

Dessen ungeachtet arbeitet Siemens weiterhin gemeinsam mit dem marokkanischen Konzern Nareva Holding, von dem gesagt wird, daß er sich unter Kontrolle des marokkanischen Königs befindet, zusammen am Aufbau jenes Windparks in Foum El Qued, das im von Marokko besetzten Gebiet liegt, sowie parallel dazu im marokkanischen Haouma. In beiden Projekten zusammen sollen 44 Windenergieanlagen errichtet werden.

Allein die Tatsache, daß die internationale Gemeinschaft Marokko jahrzehntelang keine ernsthaften Schwierigkeiten wegen seiner Besatzungspolitik, die mit beträchtlichen Repressionen gegen die sahrauische Bevölkerung einhergeht, bereitet wurden und niemand das Land deswegen zum Schurkenstaat erklärt, unterstreicht, daß die deutsche Regierung nicht die einzige ist, die mit gespaltener Zunge spricht. An anderen Stellen wird sehr wohl das Selbstbestimmungsrecht von Völkern oder Regionen (Darfur und Südsudan), oder auch nur Interessengruppen (Konflikt in der Elfenbeinküste) unterstützt. Wohingegen der territoriale Anspruch Marokkos auf die von künstlichen Wällen durchzogene Westsahara von der Bundesregierung faktisch anerkannt wird.

Die Vorteilserwägungen, die genauso auf "grüne" Technologien gerichtet sind wie auf Fischereirechte der EU oder den Handel mit Rohstoffen, die Marokko aus den besetzten Gebieten ausführt, genießen bei Europas Wirtschaftsschwergewicht offenbar eine höhere Priorität als Menschenrechtsfragen.

Doch nicht alle Länder der sogenannten internationalen Gemeinschaft sind auf gleiche Weise an der Besatzungspolitik beteiligt wie Deutschland, bzw. einige weigern sich zu kooperieren. Beispielsweise wurde das norwegische Unternehmen Det Norske Veritas (DNV) vom Clean Development Mechanism (CDM) der Vereinten Nationen mit der Begutachtung des von Siemens und Nareva geplanten Windparks von Foum El Qued beauftragt. Dabei ging es um die Frage, ob das Vorhaben als CDM-Projekt [4] genehmigt werde oder nicht. Anfang dieses Jahres sprach sich DNV gegen die Anerkennung aus, da sich die Windenergieanlagen in der besetzten Westsahara befinden; im April wurde das Projekt offiziell annulliert [5].

Westsahara ist Mitglied der Afrikanischen Union (AU) - Marokko dagegen das einzige Land des Kontinents, das bis heute wegen seiner Besatzungspolitik außen vor bleibt. Eine Zusammenarbeit mit dem Königreich, wie es die Bundesregierung insbesondere auf dem Gebiet der Energieproduktion zu forcieren gedenkt, bedeutet somit immer auch eine Stellungnahme gegen die Statuten der AU, die militärische Eroberungen nicht anerkennt, und natürlich auch gegen das Selbstbestimmungsrecht der Einwohner der Westsahara. Die Frente Polisario, der bewaffnete Arm der Sahrauis, hat 1991 einem Waffenstillstand zugestimmt; Marokko dagegen hat seine Zusage nicht eingehalten, eine Volksabstimmung über die Zukunft des Landes abzuhalten. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht will, daß der Konflikt erneut eskaliert, wäre sie gut beraten, Marokko dazu zu bewegen, seinen Teil der Abmachungen zu erfüllen.


Fußnoten:

[1] http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/G/gemeinsame-erklaerung-deutschland-marokko-energiepartnerschaft

[2] "Siemens must halt plans in occupied Western Sahara", 24. Juni 2012
http://www.wsrw.org/a105x2330

[3] http://www.siemens.com/press/en/pressrelease/?press=/en/pressrelease/2012/energy/wind-power/ewp201201025.htm

[4] CDM - Clean Development Mechanism. Ein Mechanismus des UN-Klimaschutzabkommens (Kyoto-Protokoll), das die Industriestaaten von der Verpflichtung zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen im eigenen Land befreit und es ermöglicht, Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern vorzunehmen. Entsprechende Projektanträge werden vom Sekretariat des UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change - Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen) in Bonn begutachtet.

[5] "Moroccan King´s windfarm project on occupied land gets thumbs down", 23. Juli 2012
http://www.wsrw.org/a105x2359

30. Juli 2012