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AFRIKA/2124: Chinas Wirtschaft wächst etwas weniger - für "Ressourcenkontinent" Afrika ein Problem (SB)


Armutsfalle Extraktivismus und Exportorientierung


Einige Länder Afrikas haben im letzten Jahrzehnt ein kräftiges Wirtschaftswachstum verzeichnet, während die übrige Welt im Zeichen der Finanz- und Wirtschaftkrise stand. Ein Erfolgsfaktor waren die unvermindert hohen Investitionen Chinas, das sich im Jahr 2009 an die Spitze der Investoren, noch vor der EU und den USA, gesetzt hatte. Und die rohstoffreichen Länder Afrikas haben geliefert. Kupfer, Gold, Zink, Zinn, Erdöl, Uran und vieles mehr wurde in den Fernen Osten verschifft.

Damit China als Werkbank der Welt seine hohe Produktivität aufrecherhalten konnte, bedurfte es des laufenden Nachschubs von gewaltigen Mengen an Rohstoffen, des Extraktivismus, unter anderem aus Afrika. Diese Phase scheint zunächst einmal vorbei zu sein. Chinas Wirtschaftswachstum, obgleich noch immer viel höher als beispielsweise das der EU-Mitgliedsländer, hat sich deutlich verlangsamt. Davon sind jetzt einige afrikanische Länder unmittelbar betroffen. Die Investitionen Chinas in Afrika sind in den ersten sechs Monaten dieses Jahres gegenüber dem Vergleichszeitraum von 2014 um 43 Prozent auf rund 1,2 Mrd. Dollar eingebrochen, sagte Shen Danyang, Sprecher von Chinas Handelsministerium, gegenüber der Presse. [1]

Der in London ansässige Think Tank Fathom Consulting prognostiziert deshalb, daß Afrika am stärksten den Knick im chinesischen Wirtschaftswachstum zu spüren bekommen wird, und zwar vor allem jene Länder, deren Export nach China einen hohen Anteil am Bruttosozialprodukt und den Staatseinnahmen aufweist. An erster Stelle gelte dies für Sambia und Südafrika, dicht gefolgt von Angola, Sierra Leone und Liberia. [2]

Die Auswirkungen fielen sicherlich noch gravierender aus, hätte nicht Indien in den letzten zehn Jahren seine Investitionen in Afrika von fünf Mrd. Dollar auf in diesem Jahr voraussichtlich über 100 Mrd. Dollar erhöht. Man kann allerdings davon ausgehen, daß sich die Geschichte wiederholen wird, denn auch Indiens Rohstoffhunger wird irgendwann an seine Grenzen stoßen, und es ist fraglich, ob dann nochmals ein "weißer Ritter" die Bühne betritt und den afrikanischen Staaten aus der Misere hilft. Eine Misere, die sich aus der hohen Exportorientierung ergibt. Die wiederum ist kolonialzeitlichen Ursprungs und wurde den afrikanischen Staaten nach der vermeintlichen Unabhängigkeit durch IWF und Weltbank in Form von Strukturanpassungsmaßnahmen aufgenötigt. Diese globalen Finanzinstitutionen haben schon immer die Interessen ihrer Kapitalmehrheitseigner, der Industriestaaten, vertreten.

Durch die in den Ländern des Trikonts implementierte Nationenkonkurrenz wurden die rohstoffreichen Ländern des Südens gegeneinander ausgespielt, wodurch die Weltmarktpreise für Rohstoffe gedrückt wurden. Das wiederum hatte den Effekt, daß die afrikanischen Staaten neue Kredite zu ungünstigen Konditionen aufnehmen mußten, sich aufgrund der hohen Zinslast immer mehr verschuldeten und in eine postkoloniale Dauerabhängigkeit manövriert wurden.

In den 1990er Jahren, mehr noch ab Beginn des 21. Jahrhunderts betrat mit China ein neuer Konkurrent für die früheren europäischen Kolonialmächte und die USA den Kontinent. Da wurden sogar die damals wegen der niedrigen Weltmarktpreise unattraktiv gewordenen Kupferminen Sambias erneut aktiviert. Es wäre übertrieben zu behaupten, daß jetzt, da Chinas Wirtschaft "schwächelt", die gesamte Luft raus wäre, denn nach wie vor ist das Land gut im Geschäft. Aber Staaten wie Sambia, die zuvor von dem Boom profitierten, erfahren nun empfindliche wirtschaftliche Einbußen. Der südafrikanische Binnenstaat bestreitet 70 Prozent seiner Devisen aus dem Kupferexport, der wiederum 20 - 30 Prozent zu den Staatseinnahmen beiträgt. Nun muß "das Land" - in erster Linie sind das die Menschen mit den niedrigsten Einkommen - für diese einseitige Ausrichtung bezahlen.

Läßt man einmal vorübergehend beiseite, daß ein hohes Wirtschaftswachstum nicht bedeutet, daß sämtliche Mitglieder einer Gesellschaft davon profitieren - in vielen, wirtschaftlich aufstrebenden Ländern Afrikas wächst der Abstand zwischen Arm und Reich "trotz" Wachstums -, so bräuchten die Entwicklungsländer ein Wirtschaftswachstum von mindestens sieben Prozent jährlich, um der Armut zu entkommen. Seit Chinas wirtschaftlichem Rückgang liegen die Wachstumsprognosen der Analysten für die Subsaharastaaten jedoch nur noch bei 3 bis 3,5 Prozent für das kommende Jahr. Der Verkauf der Rohstoffe hat also die Armut nicht behoben.

Fathom Consulting schlägt vor, daß die afrikanischen Staaten ihre Abhängigkeit von den großen Handelspartnern verringern, indem sie den innerafrikanischen Handel stärken. Dazu müßten unter anderem Handelshemmnisse wie Zollschranken aufgehoben werden.

Diese systemimmanente Analyse greift zu kurz, denn bei dieser Idee würde die Abhängigkeit von einem oder vielleicht wenigen großen Staaten durch die Abhängigkeit von vielen kleineren Staaten ersetzt. Zwar ließen sich einige Szenarien vorstellen, in denen diese "Lösung" greift, das heißt, daß die weltmarktabhängigen Auf- und Abschwünge eventuell gedämpft werden. Umgekehrt wäre aber nicht auszuschließen, daß ein afrikanisches Land das nächste in den Abgrund zieht. Zeigt nicht gerade die nach wie vor unabgeschlossene Finanz- und Wirtschaftskrise in der Europäischen Union, auf welch wackeligen Füßen selbst ein Wirtschaftsraum steht, bei dem die beteiligten Staaten vor allem untereinander Handel treiben?

Wirtschaftswachstum bildet keinen Automatismus der Armutsbehebung. Nimmt man beispielsweise die stärkste Wirtschaftsnation der Welt, die Vereinigten Staaten von Amerika, so fällt auf, daß dort der Wohlstand wächst - 30 Prozent aller Dollar-Milliardäre der Welt, nämlich 492 von 1645, sind in den USA angesiedelt -, aber daß in dem Land zugleich Hunger und versteckter Hunger herrscht. Im August 2015 haben rund 45,5 Millionen Einwohner oder 14,2 Prozent der Gesamtbevölkerung am Programm zur Vergabe von Lebensmittelmarken (SNAP - Supplemental Nutrition Assistance Program) teilgenommen. [3]

Die von wirtschaftsliberalen Ökonomen vorgetragene These, daß von den reichgedeckten Tischen der Wohlhabenden genügend Krümel für das Fußvolk abfallen, dieses mithin vom Reichtum profitiert, erweist sich als Irrtum. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Reichtum existiert auf der Grundlage von Armut. Wenn es den afrikanischen Gesellschaften gelänge, sich vom Extraktivismusmodell und der Exportabhängigkeit von China, Indien, der EU und den USA zu befreien, dann könnte das eine geeignete Voraussetzung bilden, um die Einkommensschere zu schließen, aber das wäre nicht damit identisch, eine gesellschaftliche Umverteilung von oben nach unten einzuleiten.

Im übrigen hat die Geschichte der afrikanischen Befreiungsbewegungen gezeigt, daß panafrikanische Ideen, wie zum Beispiel der Ujamaa-Sozialismus Tansanias [4], von seiten der Industriestaaten, die ihr Interesse an der Bewahrung des Wohlstandsgefälles von Nord nach Süd und der fortgesetzten Ausbeutung von Mensch und Natur durchgesetzt haben, verunglimpft und torpediert wurden - siehe die Ermordung des ersten frei gewählten kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba durch die Schergen des Westens im Jahr 1961 - und auch in der Neuzeit noch werden.


Fußnoten:

[1] http://www.africadaily.net/reports/Chinas_investment_in_Africa_down_40_on_year_govt_999.html

[2] http://mgafrica.com/article/2015-10-27-chinas-economic-slow-down-means-suppressed-demand-for-africas-commodities-what-are-africas-options

[3] http://www.fns.usda.gov/sites/default/files/datastatistics/keydata-august-2015.pdf

[4] Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) schreibt über den von Tansanias Präsident Julius Kambaragene Nyerere propagierten Ujamaa-Sozialismus:
"Dem tansanischen Sozialismus lag dabei eine Entwicklungsstrategie zugrunde, die auf kurzfristige Erfolge bewußt verzichtete. Von zentraler Bedeutung hingegen war das Konzept der self-reliance, das - ausgehend vom Vertrauen auf die eigenen Kräfte - die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen erschließen und einsetzen wollte. Dies sollte durch eine Konzentration auf den Binnenmarkt und eine verstärkte Partizipation der Bevölkerung erreicht werden. Die wichtigsten Ziele des tansanischen Sozialismus waren die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die Schaffung einer egalitären Gesellschaft mit gleichen Einkommens- und Vermögensstrukturen, die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in den Entwicklungsprozeß sowie die Beendigung der Abhängigkeit und Ausbeutung. Neben der Verbesserung von sozialen Diensten war auch die Neuorientierung des Erziehungswesens ein Schwerpunkt des von Nyerere propagierten Sozialismus."
http://www.bpb.de/internationales/afrika/afrika/58872/ideen-der-unabhaengigkeitsbewegung?p=all

19. November 2015


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