Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


AFRIKA/2135: Kampf dem Schwefeldiesel - Kampf dem Feinstaub (SB)


Massenvernichtung im Industriezeitalter

Westafrikanische Staaten schieben Import von stark schwefelhaltigem Diesel aus Europa einen Riegel vor


Fünf westafrikanische Staaten haben die Einfuhr von schmutzigem Diesel aus Europa verboten. Der Treibstoff weist sehr viel höhere Schwefelwerte auf, als es hierzulande erlaubt wäre, und erzeugt bei seiner Verbrennung größere Mengen an Feinstaubemissionen, die zu erheblichen gesundheitlichen Schäden führen. Wie das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, UNEP, am Montag mitteilte, nehmen Nigeria, Benin, Togo, Ghana und Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) nicht nur die Exporteure in die Pflicht, sondern auch die eigenen Raffinerien. Sie sollen bis 2020 die neuen Standards erreichen. [1]

Im September hatte die Nichtregierungsorganisation (NGO) Public Eye (ehemals: Erklärung von Bern) in einer umfangreichen Studie aufgezeigt, daß Unternehmen unter anderem aus der Schweiz und den Niederlanden die weniger strengen Gesetze in afrikanischen Ländern ausnutzen, um ihr stark schwefelhaltiges Benzin und Diesel nach Afrika zu exportieren. [2]

Der Vorstoß der fünf Staaten, in denen zusammen 250 Millionen Menschen leben, zur Minderung der Feinstaubbelastung der Bevölkerung ist eine direkte Folge der Veröffentlichung dieser Studie. UNEP-Direktor Erik Solheim hofft, daß damit ein starkes Signal auch an andere Staaten gesendet wird, strengere Abgasstandards einzuführen. Nigerias Umweltministerin Amina J. Mohamed spricht von einem großen Sprung nach vorne. Seit 20 Jahren sei man nun endlich in der Lage, die Luftverschmutzung aufgrund schlechter Treibstoffe zu beenden. Der Schwefelgehalt der Treibstoffe werde von 3000 auf 50 ppm (parts per million) reduziert. "Das wird die Luftqualität unserer Städte erheblich verbessern und uns gestatten, moderne Fahrzeugstandards festzulegen."

Feinstaubbelastungen erhöhen das Risiko von Atemwegserkrankungen, Schlaganfall, Herzinfarkt, Krebs und anderen Krankheiten. In Afrika sterben inzwischen mehr Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung (712.000) - an der die Feinstaubbelastung einen hohen Anteil hat - als an Nahrungsmangel (275.000), schmutzigem Wasser (542.000) oder unzureichenden sanitären Einrichtungen (391.000), berichtete vor kurzem die OECD. Zwischen 1990 und 2013 hat in Afrika die Luftverschmutzung außerhalb geschlossener Räume um 36 Prozent zugenommen, Tendenz steigend. [3]

Die europäischen Exporteure der stark schwefelhaltigen Treibstoffe nach Afrika sind mitverantwortlich für das vorzeitige Ableben von vermutlich Zehntausenden Menschen pro Jahr. Diese werden einem Wirtschaftssystem geopfert, das vor allem auf eines fokussiert ist, die Steigerung von Unternehmensprofiten.

So begrüßenswert der Vorstoß der fünf westafrikanischen Staaten auch ist, er kommt um Jahre zu spät. Sowohl hinsichtlich der vielen Menschen, die erkrankt oder gestorben sind, als auch des Anschlusses an die technologische Entwicklung. In den Industriestaaten wurde längst das Ende des Verbrennungsmotors im Individualverkehr eingeläutet. Alle großen Automobilhersteller haben begonnen, Fahrzeuge mit Elektromotor in ihr Programm aufzunehmen. In China wurden im vergangenen Jahr dank staatlicher Anreize 155.000 Elektroautos zugelassen. In Deutschland sollen bis 2020 eine Million Elektroautos auf den Straßen rollen. Der Bundesrat will, daß ab 2030 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Auch die USA, Frankreich, Großbritannien, Norwegen und viele Länder mehr setzen auf Elektromobilität. Der Verbrennungsmotor ist ein Auslaufmodell.

Das bedeutet, daß die afrikanischen Staaten mit ihrer nachholenden Entwicklung den hiesigen technologischen Stand - einschließlich der Umweltstandards - zu einem Zeitpunkt erreichen, an dem sich die Industrie aufgemacht hat, neue Technologien zu entwickeln und dafür Absatzmärkte zu schaffen. Erneut, bzw. weiterhin werden die afrikanischen Länder im Hintertreffen sein und nur die Rohstoffe für Technologien liefern, in deren Gunst die meisten Einwohner niemals selbst gelangen.

Eine düstere, wenngleich nicht von der Hand zu weisende Vorstellung: Wenn in zehn Jahren in Europa die ersten Generationen Elektroautos ausgemustert und diese als Gebrauchtwagen nach Afrika verschifft werden, sinken dort vielleicht die Feinstaubbelastungen, aber der "Second-Hand-Kontinent" bleibt weiterhin am Band der Zulieferindustrie der wohlhabenderen Staaten. Die decken sich nicht unbedingt eins zu eins mit den alten Kolonialmächten. Beispielsweise nutzt auch China Afrika sowohl als Rohstofflieferant als auch als Absatzmarkt; Indien und Japan haben ebenfalls Ambitionen gezeigt, stärker auf dem schwarzen Kontinent Fuß zu fassen.

Die Chancen Afrikas auf eine eigenständige Entwicklung, die nicht nachholend, sondern emanzipatorisch durchdrungen und ausgerichtet ist, sind vorhanden, aber gering. Der Kontinent ist eng in die globalen Warenströme eingebunden, eine Befreiung von den vorherrschenden Produktions- und Ausbeutungsverhältnissen wird im allgemeinen nicht gewünscht oder aber mit einem anti-emanzipatorischen, religiösen Chauvinismus gleichgesetzt, wie ihn die islamistischen Organisationen Boko Haram in Nigeria und al-Shabab in Somalia predigen.

Afrika ist der Kontinent mit der am stärksten wachsenden Bevölkerung. Berechnungen zufolge wird sich die Einwohnerzahl von heute 1,1 Mrd. auf 4,4 Mrd. bis zum Jahr 2100 erhöhen. Der weitaus größere Teil wird in Städten wohnen. Die sind schon heute mit dem wachsenden Individualverkehr völlig überfordert. Von der Feinstaubbelastung ganz zu schweigen. Dessen Begrenzung ist ein kleiner Schritt, der jedoch wenig Wirkung zeigen wird, sollten nicht umfassendere verkehrspolitische Maßnahmen ergriffen werden.


Fußnoten:

[1] http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=55719#.WEXY9brhBxE

[2] https://www.publiceye.ch/fileadmin/files/documents/Rohstoffe/DirtyDiesel/PublicEye2016_DirtyDiesel_A-Public-Eye-Investigation.pdf

[3] OECD - Organisation for Economic Co-operation and Development, z. Dt.: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
tinyurl.com/jj3dxx5

6. Dezember 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang