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AFRIKA/2171: Frieden - wie's paßt ins Geschäft ... (SB)



Äthiopien und Eritrea haben einen Friedensvertrag unterzeichnet. Vor rund 20 Jahren hatten sie den ersten afrikanischen "High-tech-Krieg" gegeneinander geführt und dabei rund 80.000 Soldaten verheizt. Es ging um die Ansprüche auf ein 20 km² kleines Gebiet. Nun feiern die Menschen den Friedensschluß. Die begeisterte Berichterstattung darüber ähnelt frappant der von 1991, als der äthiopische Diktator Mengistu gestürzt wurde. Es waren die damaligen Rebellenführer, die wenige Jahre darauf, nun jeweils Präsidenten Eritreas und Äthiopiens, Krieg gegeneinander führten. An diesem Beispiel wird deutlich, wie die Bevölkerungen, mal mit ihren Hoffnungen, mal mit ihren Ängsten, zum Spielball staatlicher Willkür geraten.

Viele Jahre lang wurde die marxistische Regierung Äthiopiens, die von der Sowjetunion und Kuba unterstützt wurde, bekämpft. Die beiden Rebellengruppen Eritreische Volksbefreiungsfront und Volksbefreiungsfront von Tigray erhielten Unterstützung aus dem Westen und trieben schließlich im Jahr 1991 den damaligen Präsidenten Äthiopiens, Mengistu Haile Mariam, in die Flucht. Zwei Jahre darauf spaltete sich Eritrea von Äthiopien ab. Zwischen den beiden Ländern wuchsen die Spannungen, die sich vom 6. Mai 1998 bis zum 18. Juni 2000 in einem offenen Krieg entluden.

Sowohl Eritrea als auch Äthiopien waren arm, doch für das Militär hatten sie stets genügend Mittel bereit. Man schoß mit allem aufeinander, was man auf dem Weltmarkt einkaufen konnte, angefangen von modernen Leichtfeuerwaffen über Artillerie bis zu Bomben, die von Kampfflugzeugen abgefeuert oder abgeworfen wurden. Eine perfide Note der Geschichte: Auf beiden Seiten standen sich russische Kampfflugzeuge - Su-27 auf seiten Äthiopiens und MiG-29 auf seiten Eritreas - samt Bedienungspersonal und Ausbilder gegenüber. Geliefert wurden die Kriegswaffen von Rußland, Ukraine, Rumänien, Bulgarien und anderen Ländern.

Nach dem Waffenstillstand von Algier im Jahr 2000 hatten sich Äthiopien und Eritrea bereiterklärt, den Grenzkonflikt von einem internationalen Schiedsgericht klären zu lassen. Das schlug im Jahr 2002 die umkämpfte Badme-Region weitgehend Eritrea zu, was prompt von Äthiopien nicht anerkannt wurde. Seitdem sind bei Grenzstreitigkeiten beider Länder mehrere hundert Menschen ums Leben gekommen.

Im April dieses Jahres wurde Abiy Ahmed Ali als jüngster Regierungschef Afrikas zum Premierminister Äthiopiens ernannt. Er begann zügig mit der Umsetzung seines Versprechens, die Spannungen mit Eritrea abbauen zu wollen. Bereits im Juni begrüßte er den eritreischen Außenminister Osman Saleh Mohammed in Addis Abeba und am 8. Juli flog er in die eritreische Hauptstadt Asmara, wo er mit Präsident Isayas Afewerki einen Friedensvertrag unterzeichnete. [1]

Zu behaupten, daß jener Krieg ums das Badme-Dreieck sinnlos war, weil es doch nur um ein ödes Stück Land und eine kleine, 800 Seelen zählende Stadt gegangen sei, würde unterstellen, daß irgendein Krieg mehr Sinn macht, nur weil dabei größere Territorien angeeignet werden sollen. Die Freude der Menschen über den Friedensschluß dürfte die Ablehnung des Abkommens überwiegen. Vorbehalte haben die Hardliner - die es wahrscheinlich auf beiden Seiten gibt - vor allem Äthiopiens, weil sich dessen Militär aus Gebieten zurückziehen soll, die von dem Schiedsgericht Eritrea zugeschlagen worden waren. Wer auch immer dafür verantwortlich war, jedenfalls wurde im vergangenen Monat bei einer Veranstaltung auf dem Meskel-Platz in Addis Abeba mit Abiy, der vor Zehntausenden Anhängern eine Rede hielt, eine Granate gezündet. Zwei Personen starben, mehr als 150 wurden bei der Explosion und der anschließenden Massenpanik verletzt.

Abiy ist vom Volk der Oromo, die erstmals einen Regierungschef stellen und jahrzehntelang unterdrückt worden sind, und hat einen Doktor in Friedens- und Sicherheitsstudien an der Universität von Addis Abeba gemacht. Als Teenager hat er gegen den Diktator Mengistu gekämpft. Sein Vater war Moslem, seine Mutter Christin, und er spricht drei Sprachen des Landes sowie Englisch fließend. Mit diesen Voraussetzungen könnte er der Vermittler sein, den der Vielvölkerstaat benötigt, um einen Zerfall nach jugoslawischem Vorbild zu vermeiden.

Nun wollen die beiden Länder die Telefon- und Kommunikationsverbindungen zueinander wiederherstellen, den Flugverkehr aufnehmen und einen Hafen in Eritrea für den Binnenstaat Äthiopien, das seit der Abspaltung seiner früheren Provinz keinen eigenen Zugang zum Meer besitzt, einrichten.

Äthiopien verzeichnet seit einigen Jahren zweistellige Wachstumszahlen, wovon Eritrea, dessen Wirtschaft stagniert, profitieren könnte. Der gebietsmäßig kleinere Nachbar wird möglicherweise der kapitalstärkeren äthiopischen Wirtschaft als Expansionsraum dienen, was potentiell Spannungen heraufbeschwört. Eritrea könnte sich vereinnahmt fühlen und dürfte sehr darauf bedacht sein zu verhindern, daß es ähnlich absorbiert wird wie einst die "wiedervereinnahmte" DDR durch die wirtschaftlich stärkere Bundesrepublik Deutschland.

Der Friedensschluß zwischen Äthiopien und Eritrea paßt in die heutige Zeit geopolitischer Einflußnahmen und politischen Umbruchs in der Region am Horn von Afrika und auf der Arabischen Halbinsel. Saudi-Arabien führt eine Kriegsallianz gegen Jemen an und wird dabei auch vom eritreischen Militär unterstützt. Das hat Berichten zufolge dem Allianzpartner Vereinigte Arabische Emirate (VRA) gestattet, einen Militärstützpunkt in der südlichen Hafenstadt Assab aufzubauen. Jene beiden arabischen Staaten unterhalten gute Beziehungen zu Äthiopien und könnten im Hintergrund eine Rolle beim Friedensschluß mit Eritrea gespielt haben, vermutet Marc Lavergne vom Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris laut einem AFP-Bericht [2].

Michael Woldemariam von der Frederick S. Pardee School of Global Studies der Universität Boston bringt auch die USA ins Spiel. Möglicherweise orientierten sie sich neu, weil Dschibuti, das ein Nachbar sowohl von Äthiopien als auch Eritrea ist, China erlaubt hat, eine Militärbasis auf seinem Territorium zu eröffnen. Dort unterhalten die Amerikaner mit Camp Lemonier selber einen großen Militärstützpunkt. Aufgrund der geopolitischen Entwicklungen in der Region rund ums Rote Meer besäßen die USA ein gewisses Interesse, die Beziehungen zu Eritrea zu normalisieren, vermutet Woldemariam.

Unterdessen wird der frühere Informationsminister Abiy auch vom Ausland gefeiert. Seine informelle Art der Regierungsführung, die Freilassung von mehreren tausend politischen Gefangenen, die Freigabe Hunderter gesperrter Websites und TV-Sender, die Streichung von drei oppositionellen Gruppen von der Terrorliste, die Aufhebung des Ausnahmezustands und viele Maßnahmen mehr bringen offenbar frischen Wind in das zweitbevölkerungsreichste Land des Kontinents. Es ist noch zu früh, um zuverlässig sagen zu können, wie weit der Befreiungsschlag geht, doch hat Abiy bereits große Staatsbetriebe zur Teilprivatisierung freigegeben. Hat er, der bei einem Auslandsstudienaufenthalt einen Master in Transformationaler Führung an der Universität von Greenwich in London gemacht hat, dabei die Milch des Liberalismus britischer Vordenker aufgesogen und "befreit" er nun die Wirtschaft von staatlichen Auflagen? Wird er dem wachsenden Druck der Globalisierung nachgeben und die heimische Wirtschaft in Konkurrenz zu anderen Staaten, nein, "Produktionsstandorten" rund um den Erdball Vorteile verschaffen, so daß in dem verbreiteten Werben um Investorengunst andere das Nachsehen haben?


Fußnoten:

[1] https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/friedensgespraeche-aethiopien-eritrea-grenzkonflikt-abiy-ahmed-isaias-afwerki

[2] http://www.africadaily.net/reports/Eritrea_and_peace_with_Ethiopia_Four_questions_999.html

10. Juli 2018


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