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AFRIKA/2181: Südsudan - wo gehobelt wird ... (SB)



Vieh mit riesigen Hörnern auf einer Straße, am Rande Gebäude. Hinter der Herde ein Mann, dahinter ein Auto. - Foto: Al Jazeera English, DSC01829, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Ein Dinka treibt seine Viehherde.
Wasser und Weidegründe für Vieh sowie Viehdiebstahl sorgen in Südsudan für Konflikte. Diese wurden früher mit Speeren ausgetragen, heute unter anderem mit dem Sturmgewehr G3 aus deutscher Fertigung. Der Blutzoll ist um vieles größer.
Foto: Al Jazeera English, DSC01829, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

In dem 2011 vom erdölreichen Sudan abgetrennten neuen Staat Südsudan setzt sich die Vertreibung der Bevölkerung fort. Tausende Einwohner von Pibor, der Hauptstadt des Bundesstaats Boma, sollen umgesiedelt werden, weil dort nach Erdöl gebohrt wird. Auch die Verwaltung werde umziehen, meldete die kenianische Zeitung "The Nation" [1].

Laut einem namentlich nicht genannten örtlichen Offiziellen werden die Menschen in der rund 90 Kilometer entfernten, Richtung Äthiopien liegenden Region Labarat angesiedelt, sobald mit der Ölförderung begonnen wird. Die Regierung habe schon Vorbereitungen getroffen, um dort Grundfunktionen wie Straßen, Wasserversorgung, Gesundheit und Schulen sicherzustellen, bevor die Menschen eintreffen, heißt es. Von dem Umzug betroffen sei auch der bereits angelaufene Bau eines Krankenhauses durch die Hilfsorganisation MSF (Ärzte ohne Grenzen). Sie werde voraussichtlich ihr Vorhaben nun in Labarat umsetzen.

Südsudan ist der jüngste Staat Afrikas. Er wurde unter maßgeblichem Einfluß der US-Regierung von Sudan abgespalten, wodurch der weitaus größere Teil der Erdölfelder (80 Prozent) im Süden zu liegen kam. Anstatt aber die Einnahmen aus der Ölförderung in den Aufbau des Landes zu stecken, brach schon nach kurzer Zeit ein blutiger Konflikt zwischen Präsident Salva Kiir vom Volk der Dinka und Vizepräsident Riek Machar vom Volk der Nuer aus. Den bis heute immer wieder auf- und abschwellenden Kämpfen der beiden Volksgruppen sind über 50.000 Menschen zum Opfer gefallen und 2,2 Mio. wurden vertrieben (Stand März 2016). Der Vertreibungen durch bewaffnete Konflikte nicht genug, mußten die Menschen auch der Ölwirtschaft weichen. Vermutlich mehr als eine halbe Million Menschen im Bundesstaat Upper Nile haben deswegen ihre Heimat verloren.

Lange vor der Staatsgründung Südsudans haben sich in der Region Jonglei die Volksgruppen der Lou Nuer und der Murle bekriegt. Beide sind viehhaltende Ethnien. 2011 überfielen bewaffnete Männer der Murle aus Pibor ihre "Konkurrenten", die Lou Nuer, in der 15.000-Einwohner-Stadt Pieri und töten laut "Spiegel" 600 Personen. Daraufhin rückten Tausende Kämpfer der Lou Nuer, auf ihrem Weg ein Blutbad hinter sich lassend, auf Pibor zu, von wo 50.000 Menschen flohen [2]. Wer von beiden angefangen hat, ist unklar. Denn vor dem Angriff auf Pieri sollen wiederum Lou Nuer mehrere hundert Murle getötet haben. Umfangreich dokumentiert wurde dies von UNMISS, der UN-Mission für Südsudan [3]. Die sogenannten ethnischen Kämpfe in Jonglei sind bis heute nicht beendet. Anfang November 2018 sollen bewaffnete Murle 15 Menschen getötet und 20 verletzt haben [4].

Wenn nun die verbliebenen Einwohner einer von so blutigen Konflikten geprägten Stadt wie Pibor zwangsumgesiedelt werden, dann birgt das Zündstoff und es stellen sich zahlreiche Fragen. Sind die Menschen damit einverstanden, umgesiedelt zu werden, oder wird behördlicher Zwang ausgeübt? Inwiefern berührt die Umsiedlung die traditionellen Konflikte zwischen Lou Nuer und Murle? Welchen Anteil an den Einnahmen aus der Erdölförderung haben die (zwangs-)umgesiedelten Menschen? Wie werden sie in ihrer neuen Heimat, die offenbar inmitten des einst von der Bürgerkriegspartei des Vizepräsidenten Machar kontrollierten Gebiets liegt, aufgenommen? Drohen dort neue Konflikte auszubrechen, beispielsweise zwischen den Viehzucht betreibenden Murle und den seßhaften Bauern? Sind die neuen Infrastruktureinrichtungen, die angeblich gebaut werden, ein adäquater Ersatz für sämtliche Umgesiedelten oder müssen diese noch was draufzahlen? Wird Pibor menschenleer sein oder werden dort andere Volksgruppen angesiedelt? Letztgenannte Frage bezieht sich auf den Vorwurf gegen Präsident Salva Kiir, der ein Dinka ist, daß er in der Vergangenheit dafür gesorgt hat, daß Dinka in Gebieten angesiedelt werden, aus denen zuvor andere Ethnien vertrieben worden waren.

Wie vielerorts in der neokolonialistischen, globalisierten Welt findet auch dieser lokale Konflikt vor dem Hintergrund eines größeren Ringens um Hegemonie statt. Ressourcenkämpfe inbegriffen. Nach sechs Jahren relativer Autonomie war Südsudan im Jahr 2011 per Referendum von Sudan abgespalten worden. Die USA hatten die Separation mit massivem Druck durchgesetzt, wohlwissend, daß damit die zahlreichen Konflikte in Sudan wie auch in Südsudan überhaupt nicht gelöst sind.

In den 1990er und Nuller Jahren hatte Libyen einen eigenen Friedensprozeß in Sudan angeschoben. Der verlief zwar zäh, besaß aber den Vorteil, sich darum zu bemühen, alle Konfliktparteien an einen Tisch zu holen. Dieser Versuch wurde vom damaligen US-Sondergesandten für Sudan, Senator John Danforth, torpediert. Doch haben die USA keine Anstrengungen unternommen, die sich abzeichnenden Konflikte in dem neuen Südsudan im Vorwege zu beheben. Es war der US-Regierung nur darum gegangen, im Rahmen eines geostrategischen Schachspiels um Ressourcenzugang seinen Konkurrenten China als Hauptabnehmer sudanesischen Erdöls eine bis dahin sichere Versorgungspipeline abzuringen. Daß dabei verbrannte Erde zurückbleibt, eine Hungersnot ausgelöst wird und viele Menschen ihr Leben verlieren, interessiert die Geostrategen nicht.

Nach Jahren des Bürgerkriegs haben der Präsident und der Vizepräsident Südsudans am 27. Juni 2018 einen Waffenstillstand vereinbart, am 12. September 2018 folgte der Abschluß eines Friedensvertrags. Es ist der dritte Waffenstillstand in der siebenjährigen Geschichte des Landes.


Thematische Karte des Sudan mit neun Konzessionsgebieten und ihren in- und ausländischen Besitzern - Karte: Michael Till-Lambrecht, public domain

Südsudan - fast das halbe Land ist Erdölkonzessionsgebiet.
Öl- und Gas-Konzessionen im Sudan (Stand 2004). Die dicke gelbe Linie markiert in etwa den heutigen Grenzverlauf zwischen Sudan und Südsudan.
Karte: Michael Till-Lambrecht, public domain


Fußnoten:


[1] https://allafrica.com/stories/201811130063.html

[2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/suedsudan-die-blutige-rache-der-lou-nuer-a-807587.html

[3] https://unmiss.unmissions.org/sites/default/files/june_2012_jonglei_report.pdf

[4] https://www.newtimes.co.rw/africa/south-sudan-probe-inter-ethnic-skirmishes-jonglei-state


19. November 2018


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