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AFRIKA/2207: Coronavirus - extrem gefährlich ... (SB)



Stellvertretend für den gesamten Kontinent zeigt sich am Beispiel von Äthiopien, wie potentiell gefährlich die Coronaviruspandemie ist. Im ganzen Land hat man Schulbetrieb, Sportveranstaltungen und andere soziale Versammlungen schon zu einem Zeitpunkt eingestellt, als erst fünf Landsleute mit dem neuartigen Coronavirus infiziert waren. Die Gesundheitssysteme des Landes wären bei einer ähnlichen Virulenz von Sars-CoV-2 wie in China, Italien oder Deutschland völlig überfordert. Unter Umständen käme es zu Millionen Toten. Die vage Hoffnung besteht nun darin, das Virus so lange außen vor halten oder, falls das nur ungenügend gelingt, einigermaßen eindämmen zu können, bis daß ein Impfstoff entwickelt ist.

Afrika ist nicht das "Herz der Finsternis", als daß es Joseph Conrad 1899 in seiner Erzählung geschildert hat. Damit hatte er einerseits das Stereotyp vom bedrohlich schwarzen Kontinent der Wilden aufgegriffen, andererseits eben diesem Eindruck weitere Nahrung verschafft. Die Gesundheitsbehörden wissen sehr genau, daß mit der Pandemie eine enorme Gefahr heraufzieht, vor allem aus Europa, und sie haben schon längst Flüge in und aus Risikogebieten verboten.

Die ersten nachgewiesenen Infektionen mit Sars-CoV-2 auf dem afrikanischen Kontinent stammten aus Europa, beispielsweise Rückkehrer aus Frankreich. Der erste Todesfall mit der durch das Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 auf afrikanischem Boden war ein Tourist aus Schleswig-Holstein, der seinen Urlaub in Ägypten verbracht hatte.

In Äthiopien war der erste Infektionsfall ein 48jähriger Mann aus Japan. Nachdem in dem ostafrikanischen Binnenstaat eine fünfte Person, ein Flugreisender aus Dubai, nachweislich mit Sars-CoV-2 infiziert war, hat die äthiopische Regierung am 16. März weitreichende Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie verhängt. Abgesehen davon, daß die Schulen geschlossen bleiben, Veranstaltungen abgesagt und Religionsgemeinschaften aufgefordert wurden, Versammlungen einzuschränken, wurden Studierende in Universitäten und anderen höheren Bildungseinrichtungen aufgefordert, auf dem Campus zu bleiben, wo sie beaufsichtigt werden und man sich um sie kümmern kann.

Darüber hinaus hat Premierminister Abiy Ahmed angeordnet, daß Regierungsfahrzeuge für die kostenlose Beförderung von Personen zur Verfügung gestellt werden, um das überfüllte öffentliche Nahverkehrssystem zu entlasten, wie "East African" berichtete. [1]

Zugleich sind Privatunternehmen gebeten worden, ebenfalls den öffentlichen Nahverkehr zu unterstützen; auch wurde dessen Taktrate deutlich erhöht, um eine allzu große Enge zu vermeiden. Dennoch leben Menschen in urbanen Zentren wie Addis Abeba dicht beieinander - zu Hause, auf Märkten, in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei der Arbeit.

Mit Stand vom Donnerstag gibt es in ganz Afrika mehr als 600 bestätigte Infektionsfälle mit Sars-CoV-2 und 17 Todesfälle durch die Lungenkrankheit Covid-19. Eine Woche zuvor waren es noch 147 bestätigte Infektionsfälle gewesen. Niemand weiß, wie sich das Virus entwickelt. Afrika ist im allgemeinen klimatisch wärmer als Deutschland, Italien oder China, und es hat eine im Durchschnitt viel jüngere Bevölkerung. Beides könnte die Pandemie bremsen, muß es aber nicht. Jedenfalls ist die WHO-Regionaldirektorin für Afrika, Dr. Matshidiso Moeti, "äußerst besorgt" darüber, wie rasch sich das neuartige Coronavirus ausbreitet. Sie riet dazu, zügig die Zahl der Tests zu erhöhen, Infektionsfälle zu isolieren und Infektionsketten aufzuspüren. [2]

Bereits in zwölf afrikanischen Ländern sind auch lokale Übertragungen nachgewiesen worden. Somit breitete sich das Virus innerhalb der Länder aus und kann nicht beispielsweise durch Temperaturscanner an den Flughäfen, wie sie vielerorts während der schweren Ebola-Epidemie in Westafrika (2014 - 16) mit damals über 10.000 Toten eingeführt worden waren, detektiert werden.

In Afrika leben fast 26 Mio. Menschen mit HIV. Über 58 Mio. Kinder sind mangels ausreichender Nahrung unterentwickelt. Fast die Hälfte der Bevölkerung gibt laut Afrobarometer (2019) an, daß sie keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser in den eigenen vier Wänden hat, und rund 70 Prozent verfügen eigenen Angaben zufolge über keine adäquaten Sanitäreinrichtungen. Vorerkrankungen, Immunschwäche und hohes Alter begünstigen die Sterberate. [3]

In vielen afrikanischen Ländern, vor allem Subsaharastaaten wie Südsudan, Zentralafrikanische Republik und Demokratische Republik Kongo existieren nahezu keine Gesundheitssysteme. Doch selbst in Ländern wie Äthiopien, das laut dem Deutschlandfunk [4] in den letzten Jahren eine Reihe von Erfolgen beispielsweise hinsichtlich der Senkung der HIV-Rate, der schweren Malariafälle und der multiresistenten Tuberkulose sowie der Kinder- und der Müttersterblichkeit verzeichnet hat, unter anderem indem es im Rahmen des Gesundheitserweiterungsprogramms (Health Extension Program) 17.000 lokale Gesundheitsposten geschaffen und ein Krankenversicherungssystem aufgebaut hat, verfügt nicht annähernd über die intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten, inklusive Beatmungsgeräten, wie Italien. Und dort sind mangels Personal und Ausstattung an einem einzigen Tag 475 Menschen an der Lungenkrankheit gestorben.

Sollte die Zahl der Infektionen mit Sars-CoV-2 in Äthiopien und anderen afrikanischen Ländern auch nur einen annähernd ähnlichen Verlauf nehmen wie in China, Iran, Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland, Vereinigtes Königreich und den USA, so wären in drei Wochen auf dem Kontinent so viele Menschen als Sars-CoV-2-infiziert gemeldet wie heute in Italien mit über 41.000. Zur Mortalitätsrate in Afrika kann man gegenwärtig nichts Zuverlässiges sagen, dazu ist zu wenig über dieses neuartige Coronavirus bekannt. Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, befürchtet allerdings, daß es in den afrikanischen Ländern mit mangelhaften Gesundheitssystemen zu einer "Explosion der Infektionen" kommt. [5]

Das würde aber voraussichtlich zu einem Zeitpunkt geschehen, da in den wohlhabenderen westlichen Staaten die Gesundheitssysteme kollabieren und händeringend Beatmungsgeräte eingesetzt werden. Mit Hilfslieferungen nach Afrika ist dann aus der Richtung nicht zu rechnen.


Fußnoten:

[1] https://allafrica.com/stories/202003170202.html

[2] https://www.afro.who.int/news/more-600-confirmed-cases-covid-19-africa

[3] http://afrobarometer.org/sites/default/files/publications/Dispatches/ab_r7_dispatchno349_pap14_water_and_sanitation_in_africa.pdf

[4] https://www.deutschlandfunk.de/aethiopien-gesundheit-fuer-alle.740.de.html?dram:article_id=429776

[5] https://www.vaticannews.va/de/welt/news/2020-03/afrika-coronavirus-krise-experte-ausbreitung-interview.html

20. März 2020


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