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ASIEN/574: Erlebt Überflieger Obama in Afghanistan sein Waterloo? (SB)


Erlebt Überflieger Obama in Afghanistan sein Waterloo?

Taliban militärisch unbezwingbar - Washington auf dem Holzweg


Die Wahl zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten hat Barack Obama nicht zuletzt durch seine Kritik am Irakabenteuer George W. Bushs und sein Versprechen an die kriegsmüde amerikanische Bevölkerung, die Soldaten der USA so schnell wie möglich - eventuell innerhalb von 16 Monaten - aus dem Zweistromland abzuziehen, gewonnen. Um im Wahlkampf Amerikas Eliten bei Laune zu halten und nicht gegen sich aufzubringen, mußte Obama gleichzeitig auch durch markige Sprüche seine Eignung zum Oberkommandierenden der US-Streitkräfte demonstrieren. Dies tat er, indem er zusätzliche Bemühungen gegen die wiedererstarkten Taliban in Afghanistan in Aussicht stellte, selbst wenn dies mit Islamabad nicht vorher abgesprochene Militäroperationen im pakistanischen Grenzgebiet bedeutete. Nur so sei der Widerstand in Afghanistan zu besiegen, der Frieden dort herzustellen und Osama Bin Laden, der mutmaßliche Drahtzieher der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001, endlich zur Strecke zu bringen, so Obama. Diese Festlegung könnte sich für den dynamischen jungen Noch-Senator aus Illinois schwer rächen - denn es ist nicht ersichtlich, ob die USA und ihre Alliierten überhaupt in der Lage sind, Afghanistan militärisch zu "befrieden", geschweige denn, die aufständischen Gruppen dort, von denen die Taliban lediglich die stärkste und bekannteste darstellen, zu besiegen.

Wie man weiß, will Obama die Truppenstärke der USA in Afghanistan von derzeit 32.000 Mann um mindestens weitere 20.000 erhöhen. Dadurch geraten die anderen NATO-Mitgliedsländer unter Druck, ihre Truppenkontingente, die zusammen rund 40.000 Mann betragen, ebenfalls kräftig aufzustocken. Nach außen hin schwebt der künftigen Regierung in Washington so etwas wie Bushs "Surge"-Strategie, die seit 2007 im Irak die Wende zum Besseren herbeigeführt haben soll, vor. Doch es gibt zahlreiche Gründe, warum eine ähnliche Entwicklung in Afghanistan nicht zu erwarten ist.

Es war nicht die Aufstockung der US-Streitkräfte im Irak von 130.000 Mann auf 160.000, welche zum Rückgang der Gewalt führte. Entscheidender waren erstens die Kriegsmüdigkeit der teilweise untereinander verfeindeten, irakischen Aufständischen, die bis Ende 2006 die Mitte und den Süden des Zweistromlands zu schiitischen und sunnitischen Wohngegenden ethnisch-religiös gesäubert hatten, und zweitens die Entscheidung der US-Armee, ihre sunnitischen Gegner auf die eigene Gehaltsliste zu setzen und mit dem Versprechen auf Aufnahme in den neuen Sicherheitsapparat zur Waffenruhe zu bewegen.

Für das Nachlassen der Kämpfe im Irak war nicht zuletzt der Eindruck maßgeblich, nach dem Ende der Amtszeit Bushs würden die USA ohnehin ihre Streitkräfte abziehen. Dies hat zum Beispiel die Mahdi-Armee des schiitischen Predigers Muktada Al Sadr zu einer Feuerpause veranlaßt. Sollte Washington nach dem Einzug Obamas ins Weiße Haus einen anderen Kurs einschlagen und auf eine dauerhafte Militärpräsenz im Zweistromland setzen, könnte der Krieg dort von neuem aufflammen. Afghanistan ist zudem weitaus schwieriger zu kontrollieren. Das Land ist anderthalbmal so groß wie der Irak und im Vergleich zu diesem nicht relativ flach, sondern gebirgig.

Was dies konkret bedeutet, geht aus dem Artikel "U.S. Marines find Iraq tactics don't work in Afghanistan" aus der Feder von Nancy A. Youssef hervor, den die US-Zeitungsgruppe McClatchy, Herausgeberin unter anderem des Miami Herald, am 12. Januar auf ihre Website veröffentlichte. Demnach gehen die rund eine Million Dollar teuren Panzerfahrzeuge der US-Marineinfanterie aufgrund der strapazierenden, primitiven Straßenverhältnisse in Afghanistan innerhalb kürzester Zeit kaputt und werden wegen ihrer Schwere von rund sechs Tonnen von den schnellen Geländewagen der Taliban ohnehin leicht abgehängt. Ähnliches spielt sich bei den Kämpfern ab. Zu Fuß bekommen laut Youssef die mit rund 20 Kilo Ausrüstung bepackten Marines ihre vergleichsweise leicht bewaffneten Gegner nur schwer zu fassen bzw. vor den Lauf.

Wollte die NATO in Afghanistan eine Truppenstärke vergleichbar der "Surge" im Irak erreichen, müßte sie am Hindukusch rund 200.000 Soldaten stationieren. Die derzeit diskutierte Sollstärke beträgt jedoch nur rund die Hälfte dessen. In Afghanistan leben die meisten Menschen nicht in einer urbanen, sondern in einer dörflichen Umgebung, und folglich ist der Widerstand schwerer auszuspähen beziehungsweise zu unterwandern. Darüber hinaus erfahren die Taliban von ihren paschtunischen Stammesverwandten in Pakistan, wo diese die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe darstellen, kräftige Unterstützung. Nicht zuletzt hat die NATO keine Signale ausgesandt, wann und ob sie jemals plant, aus Afghanistan abzuziehen. Da in der Militärgeschichte keine Macht die afghanischen Stämme hat langfristig bezwingen können, dürfte deren Kampf gegen die jüngsten Invasoren nicht nachlassen, sondern weiter zunehmen (Letztes Jahr fielen in Afghanistan 294 Soldaten der Nordatlantischen Allianz, bisher die höchste Zahl seit dem Einmarsch im Oktober 2001).

Erschwerend für die USA und die NATO kommt hinzu, daß offenbar niemand so richtig weiß, wie die zusätzlichen Soldaten in Afghanistan eingesetzt werden sollen. Darüber gibt es offenbar einen Streit innerhalb der US-Militärführung. Wie Julian Barnes am 13. Januar in der Los Angeles Times unter der Überschrift "Obama faces decision on how to deploy troops in Afghanistan" berichtete, sind Amerikas Generäle uneins in der Frage, ob sie die neue Truppen zur Sicherung Kabuls und der anderen großen Städte wie Herat und Kandahar oder zur Abriegelung der Grenze zu Pakistan einsetzen sollen. Man will den Afghanen ein Gefühl von Sicherheit geben, hat aber die notwendige Anzahl von Soldaten nicht, und selbst wenn man sie hätte, würde ihre Präsenz die einheimische Bevölkerung vermutlich nur noch mehr gegen sie aufbringen.

Deshalb soll die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei forciert werden. Doch es wird Jahre dauern, bis sie die fremdländischen Truppen ersetzen können, und es ist auch nicht sicher, ob sich nicht unter den neuen Rekruten heimliche Sympathisanten der Taliban verstecken. In Washington und Brüssel will man den Opiumanbau in Afghanistan bekämpfen und das Land "wieder aufbauen", stellt jedoch nicht die nötigen Ressourcen für diese gigantische Doppelaufgabe zur Verfügung. Die unübersehbare Korruption der Regierung von Präsident Hamid Karsai und die blutigen Luftangriffe der NATO, die in den letzten Jahren Tausenden afghanischer Zivilisten das Leben kosteten, haben die ausländische Besetzung schwer in Mißkredit gebracht, wenn nicht sogar ihr Ansehen restlos zerstört.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, daß Obamas "running mate", der künftige US-Vizepräsident Joseph Biden vor wenigen Tagen davor gewarnt hat, daß sich in Afghanistan die Lage zuerst verschlechertern wird, bevor sie sich verbessert. Kurz gesagt: Die kurzfristige Perspektive ist miserabel, eine schnelle Verbesserung der Verhältnisse ist nicht in Sicht. Und wie die Dinge in ein oder zwei Jahren aussehen werden, kann niemand sagen. Vielleicht sollte Obama doch noch auf das Friedensangebot eingehen, das der Taliban-Chef Mullah Omar kurz vor Weihnachten machte, ohne daß die westlichen Medien besondere Notiz davon genommmen hätten.

16. Januar 2009