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ASIEN/624: Ahmed Wali Karzai - Unser Schweinehund in Afghanistan (SB)


Zwielichtiger Präsidentenbruder auf der Lohnliste der CIA


"Sicherlich ist er ein Schweinehund - aber er ist unser Schweinehund!" Diese vielzitierte Aussage wird US-Präsident Franklin Delano Roosevelt zugeschrieben, der sie auf Anastasio Somoza Garcia gemünzt haben soll. Als eine von Augusto César Sandino angeführte Guerillatruppe die Amerikaner 1933 aus Nicaragua vertrieb, hinterließen diese die berüchtigte Nationalgarde, deren Kommando Somoza übernahm. Er verfügte damit über das entscheidende Zwangsmittel zur Unterdrückung des politischen Widerstands und ließ 1934 Sandino nach Friedensverhandlungen in Managua hinterrücks ermorden. Zwei Jahre darauf putschte er sich an die Macht und begründete die Diktatorendynastie der Somozas.

Das geflügelte Wort vom Schweinehund, dessen man sich wissentlich und gerade wegen seiner skrupellosen Durchsetzungsfähigkeit bedient, um sich trotz Verfolgung imperialistischer und hegemonialer Interessen die Hände in Unschuld zu waschen, ließe sich auch auf Ahmed Wali Karzai anwenden, den Bruder des afghanischen Präsidenten. Der steht seit Jahren auf der Lohnliste der CIA, wie die "New York Times" [1] berichtet, was eigentlich niemanden überraschen sollte.

Doch lassen wir Ahmed Wali Karzai selbst zu Wort kommen. In einem Interview bestritt er energisch, irgend etwas mit dem Drogenhandel zu tun oder Geld von der CIA erhalten zu haben. Regelmäßige Zahlungen für seine Aufwendungen bekomme er von seinem Bruder, dem Präsidenten, doch wisse er nicht, woher dieses Geld stammt. Er habe Kontakte zwischen den Amerikanern und Aufständischen, die erwogen, die Seiten zu wechseln, vermittelt und die Amerikaner darüber hinaus mit Informationen versorgt. Ihm sei niemand bekannt, der für die CIA arbeitet, wenngleich er wisse, daß diese zusammen mit Spezialkommandos der Amerikaner auf dem Anwesen residiert, das früher der Stützpunkt Mullah Mohammed Omars gewesen war. Dort sei auch die Kandahar Strike Force stationiert, mit der aber nichts zu tun habe. Er erhalte keine Bezahlung für seine Unterstützung, doch helfe er den Amerikanern, wo immer er könne, weil dies seine Pflicht als Afghane sei.

Das war nicht nur wunderbar treuherzig gesagt, sondern gibt zugleich einen Überblick über die Aktivitäten des Präsidentenbruders, sofern man einmal sein Dementi streicht. Wenn es wie eine Ente aussieht und wie eine Ente quakt, ist es wahrscheinlich auch eine, bediente sich ein hochrangiger US-Offizier in Kabul (namentlich nicht genannt wie die meisten Quellen der "New York Times") eines anderen geläufigen Sprichworts mit Blick auf Karzai. Hunderte Millionen Dollar Drogengelder flössen durch Südafghanistan, wo nichts ohne Kenntnis der regionalen Führung geschehe. Generalmajor Michael T. Flynn, Chef des US-Militärgeheimdienstes in Afghanistan, erklärte diesbezüglich lapidar, man könne Chicago nur säubern, indem man Al Capone loswerde.

Experten der CIA, die in Afghanistan stationiert waren, bestätigen, daß die Agency eng mit Ahmed Wali Karzai zusammengearbeitet und häufig seine Anwesen als Stützpunkte für verdeckte Operationen genutzt habe. Ob er etwas mit dem Drogengeschäft zu tun hat, interessiere die CIA nicht, deren Aufgabe die Bekämpfung des "Terrorismus" sei. Abgesehen davon habe jede einflußreiche Persönlichkeit im Land Kontakte mit dem Drogenhandel. Wenn man nach Mutter Theresa suche, werde man sie bestimmt nicht in Afghanistan finden.

Weniger blumige Wortspiele als vielmehr tiefsitzenden Groll ruft der Name Ahmed Wali Karzai bei der US-Drogenbehörde DEA wach, die der Regierung in Washington vorhält, sie unternehme nichts gegen diese führende Figur des afghanischen Drogengeschäfts. Während andere Drogenbosse verfolgt und sogar in die USA überstellt würden, genieße Karzai offenbar Immunität. Diese Auffassung teilt man im Innenministerium von Kabul, wo Experten Ahmed Wali Karzais Einfluß auf die Kontrolle aller wichtigen Brücken über den Fluß Helmand zurückführen, die sämtliche Drogentransporte zwischen der gleichnamigen Provinz und Kandahar passieren müssen, wofür sie abkassiert würden. Gegen Karzai zu ermitteln, könne man jedoch vergessen, da die afghanische Regierung ein Pfuhl der Korruption sei.

Auch scheint Karzai seinen Einfluß nicht zuletzt durch das Vorgehen der Amerikaner gegen seine Konkurrenten beträchtlich ausgeweitet zu haben. Wie die Drug Enforcement Administration von einheimischen Informanten erfahren haben will, galt das insbesondere im Fall Hajji Bashir Noorzais, der 2005 nach New York gelockt wurde und dort inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist. Nach Noorzais Festnahme soll Karzai zusammen mit anderen lokalen Machthabern dessen Geschäft zumindest in Teilen übernommen haben.

Wenngleich sich die CIA selbst jeden Kommentars gegenüber der "New York Times" enthielt, waren Mitarbeiter anderer Dienststellen gesprächsbereiter. Wie verschiedene Quellen bestätigten, leistet Karzai diverse Dienste, für die er seit acht Jahren bezahlt wird. Er sei an der paramilitärischen Kandahar Strike Force der CIA beteiligt, die gegen mutmaßliche Insurgenten eingesetzt wird. Er vermietet das frühere Anwesen Mullah Mohammed Omars an die Amerikaner, vermittelt Kontakte mit Fraktionen des gegnerischen Lagers und ist aus vielerlei weiteren Gründen für die Besatzer so unentbehrlich, daß es durchaus Stimmen gibt, die seine Verwicklung ins Drogengeschäft mit dem fadenscheinigen Argument in Zweifel ziehen, es gebe dafür keine gerichtsrelevanten Beweise.

Möglicherweise wäre Ahmed Wali Karzai nach wie vor kein Thema einer öffentlichen Debatte in westlichen Medien, hätte die Kandahar Strike Force im Juni nicht den Polizeichef der Provinz, Matiullah Qati, erschossen. Dieser wollte offenbar die gewaltsame Befreiung eines Festgenommenen durch die Paramilitärs verhindern, was er mit dem Leben bezahlte. Der Polizeichef sei einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, kommentierte Karzai den Zwischenfall zynisch in einem Interview. Als dann im Sommer Ermittler mehrere Tonnen Rohopium auf seinem Gehöft in Kandahar fanden, bestätigte das nur, was die Spatzen von den Dächern pfiffen. Dann folgten die manipulierten Präsidentschaftswahlen im August, bei denen Ahmed Wali Karzai seinem Bruder Hunderttausende gefälschte Stimmen verschaffte und dafür offenbar Dutzende Geisterwahllokale einrichten ließ, die nur auf dem Papier existierten.

Angeblich hat die Obama-Administration bereits mehrfach vergeblich versucht, Präsident Hamid Karzai zur Entfernung seines Bruders aus Südafghanistan zu bewegen. Seit man sich darauf verlegt hat, den Kampf gegen den Drogenhandel offiziell unter die Vorwände zur anhaltenden Besetzung des Landes aufzunehmen, macht es sich ausgesprochen schlecht, die Jagd auf fünfzig führende Drogenbosse freizugeben, doch mit dem Bruder des Staatschef einen der größten unbehelligt schalten und walten zu lassen. Außerdem finanzieren sich die verschiedenen Fraktionen des Widerstands in mehr oder minder hohem Maße aus dem Opiumhandel, der zugleich der Bestechlichkeit der Behörden Vorschub leistet.

Da die Okkupanten ihre Absichten zu vernebeln trachten, wofür sie wechselnde und einander mitunter sogar widersprechende Vorwände erfinden, kommt es zwangsläufig zu gewissen Konflikten zwischen tatsächlichen oder vorgeblichen Interessenlagen. Die CIA, welche traditionell zu den einflußreichen Akteuren des internationalen Drogengeschäfts gehört, bedient sich Karzais, wie man in Afghanistan seit jeher alle erdenklichen Kriegsherrn finanziert hat, solange diese nur brauchbar waren. Hingegen müßte die DEA diesen Mann aufs Korn nehmen, da er den Drogenhandel im Süden des Landes in hohem Maße kontrolliert.

Inzwischen ist der Widerstand so stark geworden, daß die Besatzer immer mehr Soldaten ins Land bringen und zugleich die Zentralregierung stärken müssen. Wenn man tatsächlich auf die Bevölkerung zugehen und sie gewinnen wolle, dürfe man keine ausgemachten Schurken unterstützen, warnt Generalmajor Flynn vom militärischen Geheimdienst. Davon abgesehen fördert ein Machthaber wie Ahmed Wali Karzai im Süden nicht gerade den vielzitierten Zentralstaat, der für gewöhnlich als Voraussetzung eines schrittweisen Truppenabzugs bezeichnet wird.

Wie sein Bruder, der Präsident, ist auch Ahmed Wali Karzai eine Marionette des Besatzungsregimes, das sich ihrer bedient, ohne sie vollständig kontrollieren zu können. Die Karzais wissen nur zu gut, daß sie die Amerikaner brauchen und zugleich verhindern müssen, von diesen entsorgt zu werden, sobald sie lästig oder überflüssig geworden sind. Daher ist es für sie überlebenswichtig, die eigene Hausmacht unter Einsatz der landesspezifischen Mittel und Verfahrensweisen zu stärken, auch wenn das den Amerikanern und deren Verbündeten nicht immer gefällt. Je stärker der Karzai-Clan wird, um so weniger läuft er Gefahr, wegen Kollaboration mit dem verhaßten Feind weggefegt oder von diesem als unbrauchbar fallengelassen zu werden. Da Hamid Karzai nicht unzutreffend als Bürgermeister von Kabul bezeichnet wird, weil der Einfluß der Zentralregierung an den Stadtgrenzen endet, braucht er die Macht seines Bruders in Kandahar nicht weniger als dieser ihn im Amt des vom Westen anerkannten Staatschefs, da Ahmed Wali Karzai im umkämpften Süden mit den Geheimdiensten und Truppen der Besatzungsmächte kooperieren muß. Will man das geflügelte Wort Roosevelts angemessen auf die afghanischen Verhältnisse übertragen, müßte man daher wohl in der Mehrzahl von "unseren Schweinehunden" sprechen.

Anmerkungen:

[1] Brother of Afghan Leader Is Said to Be on C.I.A. Payroll (28.10.09)
New York Times

28. Oktober 2009