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ASIEN/631: Neue NATO-Strategie in Afghanistan - Taliban bestechen (SB)


Neue NATO-Strategie in Afghanistan - Taliban bestechen

Korruption in Afghanistan - Angeblich größtes Problem wird zur Lösung


Heute ist Hamid Karsai in Kabul für weitere fünf Jahre als Präsident Afghanistans vereidigt worden. An der feierlichen Zeremonie, die wegen der Gefahr eines Taliban-Anschlages unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen stattfand, nahmen rund 300 ausländische Gäste, darunter der neue deutsche Außenminister Guido Westerwelle und seine amerikanischen, britischen und französischen Amtskollegen Hillary Clinton, David Miliband und Bernard Kouchner teil. Unter den strengen Blicken der obersten NATO-Diplomatenriege versprach Karsai stärkere Bemühungen der afghanischen Regierung im Kampf gegen die Korruption. Dies mußte er auch machen, denn seit die Taliban auf dem Vormarsch sind, führt die bestausgerüstete Militärallianz der Weltgeschichte ihre Unfähigkeit, die paschtunischen Stammeskrieger des Hindukuschs in die Knie zu zwingen, auf die mangelnde Akzeptanz ihres angeblich korrupten Partnerregimes in Kabul beim afghanischen Volk zurück.

Diese Schutzbehauptung hinsichtlich der katastrophalen Lage in Afghanistan mag einige Nachrichtenkonsumenten im Westen überzeugen, mit der Realität vor Ort hat sie wenig zu tun. In Afghanistan grassiert die Korruption, doch das kann man kaum Karsai oder dessen Bruder Ahmed Wali Karsai, von dem es hieß, er sei der größte Opiumhändler des Landes, anlasten. Nach mehr als dreißig Jahren Bürgerkrieg, den die USA aus geopolitischen Gründen angefacht haben, liegt Afghanistan am Boden. Die meisten Menschen dort sind bettelarm. Bis auf den Opiumhandel und die Versorgung der rund 100.000 NATO-Soldaten gibt es kaum eine Wirtschaft, die diesen Namen verdient. Die Kosten für die von der NATO finanzierte afghanische Armee und Polizei wird auf das Dreifache des regulären Staatshaushalts geschätzt.

Als 2001 zum Beispiel die Taliban die berühmten Buddha-Statuen von Bamiyan beschossen und sich damit in den Augen der Weltöffentlichkeit diskreditierten, war dies aus Verärgerung darüber, daß internationale Hilfsgelder eher für den Erhalt von Steingötzen als zur Rettung des Lebens Hunderttausender damals hungerbedrohter, armer Afghanen zur Verfügung standen. Vor diesem Hintergrund ist das, was westliche Beobachter in Afghanistan Korruption nennen, nichts anderes als eine besonders krasse Form der Vetternwirtschaft, die man angesichts des scheinbar niemals endenden Krieges und des Mangels an wirtschaftlichen Alternativen leicht nachvollziehen kann. Hinzu kommt, daß die NATO, die allein, um den Treibstoff für ihre Fahrzeuge sicher von einem Ort zum anderen befördern zu können, Schutzgelder in Milliardenhöhe an diverse Milizen, darunter auch talibannahe, bezahlt, selbst die größte Quelle der Korruption in Afghanistan ist - von den Geschäften Ahmed Wali Karsais mit der CIA ganz zu schweigen.

Auch wenn die große Afghanistan-Strategie-Debatte der Regierung Barack Obamas immer noch nicht abgeschlossen ist, macht sich unübersehbar Kriegsmüdigkeit unter den NATO-Partnern breit. 2010 wollen die Niederländer alle ihre Soldaten aus Afghanistan abziehen und die Kanadier es ihnen bis Ende 2011 gleichtun. Westerwelle hat zu Beginn der neuen CDU-Koalition in Berlin die Debatte um den Abzug der Bundeswehr offiziell eingeläutet, während der britische Premierminister Gordon Brown vor wenigen Tagen angekündigt hat, bereits nächstes Jahr mit der Übergabe derjenigen Landstriche Afghanistans, die formell unter der Kontrolle der Streitkräfte ihrer Majestät Königin Elizabeth II. stehen, an die afghanischen Sicherheitskräfte beginnen zu wollen.

Doch wie soll das gehen, wenn allen Berichten zufolge die Polizisten und Soldaten Afghanistans noch weniger Chancen als ihre NATO-Kameraden haben, es mit den Taliban aufzunehmen? Die Antwort ist ganz einfach: man will die Taliban oder zumindest Teile davon auf die Gehaltsliste der NATO setzen und sie wieder in den politischen Prozeß einbinden. Auch wenn neokonservative Schreihälse in den USA ohne Unterlaß von Obama eine kräftige Truppenaufstockung fordern, um die erfolgreiche Eskalationsstrategie George W. Bushs in den Jahren 2007 und 2008 im Irak in Afghanistan zu wiederholen, vergessen sie, daß die Gewalt im Zweistromland erst zurückging, nachdem US-General David Petraeus die wichtigsten sunnitischen Aufstandsgruppen mit Geld und Waffen versorgte und sie als informelle lokale Ordnungskräfte anerkannte.

Das gleiche bereitet man jetzt schon für Afghanistan vor - bei der Frage der Zahl der zusätzlichen NATO-Soldaten für die Truppenaufstockung geht es lediglich um eine Begleitmaßnahme, mit der später ein militärischer "Erfolg" - ebenso potemkinsch wie der des "Surge" im Irak - suggeriert werden wird. Am 16. November berichtete die Times of London vom neuen Handbuch für die britischen Offiziere in Afghanistan. Darin heißt es, man solle auf lokaler Ebene das Gespräch mit den Taliban-Kommandeuren suchen und sie mittels Geld zum Stillhalten animieren. Was die Kontaktaufnahme mit Leuten, die man seit mehr als acht Jahren als "Terrorpaten" verteufelt hat, betrifft, so wurde Generalmajor Paul Newton, im britischen Generalstab stellvertretender Leiter der Abteilung Konzeptentwicklung und Doktrin, mit den Worten zitiert: "Es hat keinen Zweck, mit Leuten zu reden, die kein Blut an den Händen haben."

Interessanterweise vertrat am selben Tag der britische Außenminister Miliband bei der Parlamentarischen Versammlung der NATO im schottischen Edinburgh denselben Standpunkt. "Ranghohe Kommandeure" der Taliban wolle man künftig "überreden, der Al Kaida abzuschwören und ihre Ziele mit friedlichen Mitteln zu verfolgen", so Miliband. Gelegenheit dazu sollten die Taliban-Kommandeure bei der geplanten Loya Jirga, die Karsai bei seiner Antrittsrede angekündigt hat, erhalten. Ob das große Treffen der Stammesältesten Afghanistans ein Erfolg wird, hängt vermutlich davon ab, ob die NATO und Taliban handelseinig werden.

19. November 2009