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ASIEN/654: Obamas AfPak-Strategie entfacht einen Flächenbrand (SB)


Obamas AfPak-Strategie entfacht einen Flächenbrand

Anschlagsversuch am Times Square läßt Schlimmeres befürchten


Rund 48 Stunden nach dem vereitelten Autobombenanschlag auf dem Times Square im Herzen von New York City wollen die US-Ermittlungsbehörden den Haupttäter bereits gefaßt haben. Es handelt sich um Faisal Shahzad, einen Pakistaner, der 2009 in die USA eingewandert ist und deren Staatsbürgerschaft angenommen hat. Laut Justizminister Eric Holder hat das FBI Shahzad am Abend des 3. Mai am Flughafen John F. Kennedy nur wenige Minuten, bevor er mit einer Maschine der Emirates Airways Richtung Dubai das Land verlassen konnte, festgenommen. Den bisherigen Ermittlungsergebnissen zufolge soll Shahzad, der vor kurzem von einem fünfmonatigen Aufenthalt in Pakistan in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, derjenige sein, der vor einigen Wochen im Bundesstaat Connecticut jenen Geländewagen vom Typ Nissan Pathfinder mit Bargeld kaufte, der wegen Rauchentwicklung im Innern am Abend des 1. Mai am Times Square Straßenhändlern aufgefallen war und in dem die Polizei eine aus Feuerwerkskörpern, drei Propangasflaschen, zwei Benzinkanistern und einer Metallkiste mit rund einhundert Kilogramm Düngemittel selbstgebastelte Bombe fand.

Einige Stunden nach dem gescheiterten Anschlag hat Kari Hussein Ahmad Mehsud per Videobotschaft im Internet die Aktion für die pakistanischen Tehreek-e-Taliban (TTP) verbucht, und zwar als Racheakt für US-Militäroperationen gegen Aufständische im Irak und in anderen muslimischen Ländern. In diesem Zusammenhang erwähnte Kari Hussein den tödlichen Drohnenangriff auf seinen Vetter, den früheren TTP-Chef Baitullah Mehsud im letzten August, die Erstürmung der Roten Moschee in Islamabad 2007 durch die pakistanischen Streitkräfte, die zahlreiche Studenten der dortigen Religionsschule das Leben kostete, die jahrelange Inhaftierung der pakistanischen Wissenschaftlerin Aafia Siddiqui und die Tötung von Omar Al Baghdadi, den früheren Anführer von Al Kaida im Irak, am 18 April. Zunächst haben die US-Behörden und mit ihnen fast alle Medienkommentatoren die Bekennermitteilung der pakistanischen Taliban als Gehabe und Trittbrettfahrerei abgetan. Die Festnahme des gebürtigen Pakistaners Shahzad läßt dieses Urteil als vorschnell erscheinen.

Wenige Stunden nach Erscheinen des Bekennervideos mit der Stimme von Kari Hussein wurde auf derselben Website eine Videobotschaft veröffentlicht, in der Hakimullah Mehsud, der nach dem Tod seines Vetters Baitullah die TTP-Führung übernommen hatte, zu sehen und zu hören war. Das Video lieferte den Beweis für die Richtigkeit der Meldung, die Ende April aus pakistanischen Geheimdienstkreisen gekommen war, wonach der 30jährige Hakimullah entgegen anderslautender Berichte einen per Drohne durchgeführten Raketenangriff der CIA im Januar im Grenzgebiet zu Afghanistan überlebt hatte. In Reaktion auf die Meldung hatte der Pentagonsprecher Geoff Morrell am 29. April behauptet, der US-Militär- und Geheimdienstapparat habe keine Anhaltspunkte dafür, daß Hakimullah die pakistanischen Taliban weiterhin anführe. Die neue Videobotschaft des der Publizität seiner Auftritte stets bewußten Hakimullahs zwingt zu einer Revidierung auch dieser Position.

In seiner Botschaft an die USA kündigt Hakimullah, der von zwei maskierten, mit Sturmgewehren bewaffneten Männern flankiert ist, schwere Vergeltung für die anhaltenden CIA-Drohnenangriffe und die laufende Offensive der pakistanischen Streitkräfte in den paschtunischen Stammesgebieten an. Er behauptet, Selbstmordattentäter der TTP befänden sich bereits auf amerikanischem Territorium, die demnächst schwere Anschläge auf US-Großstädte durchführen würden. Die Drohungen Hakimullahs können nicht ernst genug genommen werden. Auf seine Kappe geht der Selbstmordanschlag auf der Forward Operating Base (FOB) Chapman der US-Streitkräfte in der afghanischen Provinz Khost, der am 30. Dezember fünf CIA-Außendienstler, zwei Söldner des Sicherheitsunternehmens Xe Services, früher Blackwater genannt, und einen Mitarbeiter des jordanischen Geheimdienstes General Intelligence Department (GID) in den Tod riß. Es handelte sich hier um die schwersten Verluste der CIA seit dem Bombenanschlag 1983 auf die US-Botschaft in Beirut. Es gibt Vermutungen, wonach ein Teil der Drohnen für die CIA-Raketenangriffe auf Talibanziele im pakistanischen Grenzgebiet von FOB Chapman aus starten.

Sollte Shahzad tatsächlich für den mißlungenen Autobombenangriff auf dem New Yorker Times Square verantwortlich sein und den Auftrag dazu von der TTP erhalten haben, dann stehen wir am Rande einer neuen gefährlichen Phase jenes "globalen Antiterrorkrieges", den der Republikaner George W. Bush nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 ausgerufen hatte und von dem man nach dem Einzug des Demokraten Barack Obama ins Weiße Haus 2009 vielleicht gehofft hatte, daß er auf dem Müllhaufen der Geschichte lande. Seit dem Einzug ins Weiße Haus hat Obama die Zahl der in Afghanistan stationierten US-Soldaten von 28.000 auf mehr als 70.000 erhöht. Bis Ende dieses Sommers sollen es rund 100.000 sein. Sie, zusammen mit den mehreren zehntausend NATO-Kameraden unterstehen dem Kommando von General Stanley McChrystal, den Obama wegen dessen Kenntnissen in Sachen Aufstandsbekämpfung, will heißen "schmutziger Krieg", extra eingesetzt hat. In Afghanistan nimmt seit Anfang des Jahres die Zahl der gewaltsam ums Leben gekommenen Soldaten, Polizisten, Aufständischen und Zivilisten rapide zu. Während der gerade anlaufenden NATO-Offensive gegen Kandahar werden nachts mutmaßliche Sympathisanten der Taliban von den Spezialstreitkräften McChrystals und Befürworter der ausländischen Truppenpräsenz von den Aufständischen getötet.

Das gleiche gilt für Pakistan, wo die unter Obama zu verzeichnende drastische Zunahme der Anzahl der Drohnenangriffe für Aufruhr und Empörung sorgt, während das brutale Vorgehen der Streitkräfte Islamabads immer mehr Menschen dem Aufstand zutreibt. Wie instabil die Lage in Pakistan geworden ist, zeigt die Ermordung Khalid Khawajas, dessen Leiche am 30. April gefunden wurde. Der 58jährige ehemalige Luftwaffenoffizier und Mitarbeiter des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence Directorate (ISI), war im März zusammen mit dem ehemaligen ISI-Oberst Sultan Amir Tarar und dem britischen Journalisten pakistanischer Herkunft, Asad Qureshi, nach Nordwasiristan aufgebrochen, um Gespräche mit den Aufständischen zu führen.

Sowohl Khawaja als auch Tarar hatten beim Kampf der Mudschaheddin gegen die Sowjetunion in den achtziger und beim Aufbau der Taliban in den neunziger Jahren wichtige Rollen gespielt und dürften sich sicher gefühlt haben. Beim ersten Besuch sollen sie sich mit dem TTP-Chef Hakimullah Mehsud, dem Mufti Waliur Rahman Mehsud, dem TTP-Anführer in Südwasiristan, und Sirajuddin Hakkani von der gefürchteten Hakkani-Miliz getroffen haben. Im Gespräch sollen die beiden Ex-ISI-Männer ihre Gesprächspartner dafür zu gewinnen versucht haben, ihren Kampf gegen den pakistanischen Staat zu beenden und ihre Energien auf den Krieg gegen die NATO in Afghanistan einschließlich Angriffen auf deren Nachschubkonvois durch pakistanisches Gebiet zu konzentrieren. Darüber hinaus sollen sie eine Liste von 14 islamistischen Kommandeuren vorgelegt und behauptet haben, diese arbeiteten nicht für die muslimische Sache, sondern stünden im Sold der CIA und des indischen Geheimdienstes Research & Analysis Wing (RAW).

Nach dem ersten Gespräch kehrten die drei Männer nach Islamabad zurück. Als sie dort waren, schlug eine Rakete in Hakimullahs Auto ein, als dieser nicht darin saß. Weil Khawaja während des ersten Besuchs in Nordwasiristan jedoch in dem Fahrzeug gesessen hatte, hat man ihn verdächtigt, dort einen Peilsender zurückgelassen zu haben. Aufgrund dieses Verdachts wurden er und seine beiden Begleiter bei der zweiten Visite am 25. März festgenommen. In einem Video, das Mitte April der Asia Times Online zugespielt wurde, gibt Khawaja zu, ein Agent der CIA und des ISI gewesen zu sein. Seine Hinrichtung gilt als eindeutige Botschaft der pakistanischen Taliban, daß man das Angebot Islamabads für einen Waffenstillstand für eine Finte hält, solange General Ashfak Pervez Kayani, der eine Ausbildung in den USA genoß und von McChrystal und dem CENTCOM-Chef David Petraeus als verläßlicher Verbündeter im "Antiterrorkrieg" geschätzt wird, Generalstabschef der pakistanischen Streitkräfte ist (Der Taliban-Anführer Mullah Omar soll ein Wort für Tarar eingelegt und damit dessen Leben gerettet haben; über das Schicksal Qureshis ist derzeit nichts bekannt).

Nach der Ermordung Khawajas scheint die gefürchtete Offensive der pakistanischen Armee in Nordwasiristan nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Währenddessen kommen das Swat-Tal und Bajaur, aus denen die Armee die Taliban letztes Jahr vertrieben haben wollte, immer noch nicht zur Ruhe, und die Provinz Belutschistan wird von einer Welle an Hinrichtungen erschüttert. Nicht umsonst berichtete am 3. Mai der US-Nachrichtensender CNN unter Verweis auf US-Militärquellen, der Staat Pakistan drohe an den ganzen Aufständen zugrunde zu gehen. Leider ist es so, daß das US-Militär mehr als jeder andere Akteur zu dieser unheilvollen Entwicklung beiträgt.

4. Mai 2010