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ASIEN/664: Reichhaltige Bodenschätze Afghanistans wecken Begehrlichkeiten (SB)


Washington und Kabul lancieren spektakuläre Meldung


Der Zeitpunkt dürfte kein Zufall sein. Zum Auftakt der Operation in der südafghanischen Stadt und Provinz Kandahar, die sich schon jetzt als die problematischte im gesamten neunjährigen Krieg der Besatzungsmächte und ihrer Marionettenregierung in Kabul erweist, lanciert die US-Regierung folgende aufsehenerregende Meldung: Man habe entdeckt, daß in afghanischer Erde bislang unerschlossene Bodenschätze im Wert von schätzungsweise einer Billion Dollar ruhen und damit weit mehr, als man bislang angenommen habe. Die Rede ist von Eisenerz, Kupfer, Kobalt, Gold sowie von der Industrie heißbegehrten Metallen wie Lithium und Niob. Während letzteres zur Herstellung von hochwertigem Stahl verwendet wird, benötigt man das Alkalimetall Lithium vor allem für leistungsfähige Batterien in der Elektronik und für Elektroautos, aber auch für leichte Aluminiumlegierungen in der Luft- und Raumfahrt sowie als Neutronenabschirmung und Brennstoff in der Kerntechnik. An Superlativen herrscht kein Mangel: Die Vorräte an Eisenerz und Kupfer seien so riesig, daß Afghanistan in den Kreis der weltgrößten Produzenten dieser Rohstoffe aufsteigen könnte. Und ein internes Memo des Pentagon stuft das Land bereits als künftiges "Saudi-Arabien des Lithiums" mit Vorkommen so groß wie die Boliviens ein, das derzeit weltweit an der Spitze steht. [1]

Nach der Offensive in Mardscha, die als wesentlich leichtere Generalprobe für Kandahar galt und so gründlich gescheitert ist, daß General Stanley A. McChrystal diese Provinz jüngst als "blutendes Geschwür" bezeichnet hat [2], und dem bevorstehenden Feldzug gegen die Hochburg der Taliban, den man nach den Worten des Oberkommandierenden der NATO und US-Streitkräfte am Hindukusch sehr viel langsamer angehen und länger strecken muß als ursprünglich geplant, ist eine gute Nachricht das Gebot der Stunde. So zaubert man nach den düsteren Orakeln aus dem Brüsseler Hauptquartier, die hart am Rande einer Demontage der eigenen Siegesgewißheit vorbeischrammten, das Kaninchen unermeßlicher Schätze aus dem Zylinder.

Ist es bislang nur gelungen, Land und Leute mit Kriegsgefahr, höchst unsicheren Perspektiven und um sich greifender Verelendung zu drangsalieren, während vom vielbeschworenen Wiederaufbau, geschweige denn Wohlergehen weit und breit keine Spur zu erkennen ist, vollzieht man einen plötzlichen Schwenk zur frohen Botschaft. In seltener Einmütigkeit haben Washington und Kabul beschlossen, in diesem kritischen Augenblick mit der Nachricht an die Öffentlichkeit zu treten, daß Afghanistan eigentlich unverschämt reich sei und einer rosigen ökonomischen Zukunft entgegengehe. Die entdeckten Bodenschätze könnten die afghanische Wirtschaft, ja womöglich den Krieg selbst fundamental verändern, schwärmt man in Kreisen der US-Administration.

Das Land werde in eine der weltweit führenden Bergbauregionen transformiert und bereits lange vor dem profitablen Betrieb der Minen bedeutende Investitionen generieren wie auch zahlreiche Arbeitsplätze schaffen. Gemessen am Bruttosozialprodukt von nur 12 Milliarden Dollar und einer kriegsgeschädigten Wirtschaft, die in wesentlichen Teilen auf der Opiumproduktion, dem Drogenhandel und finanzieller Unterstützung westlicher Länder basiert, repräsentierten die entdeckten Lagerstätten ein weit darüber hinausgehendes Potential, überschlagen sich die Jubelchöre. Das Potential sei atemberaubend, stieß General David H. Petraeus, Chef des US-Zentralkommandos, ins Horn einer glorreichen Zukunft. Wenngleich man es natürlich mit einer Menge Eventualitäten zu tun habe, sei er doch der Ansicht, daß die Chancen hochsignifikant seien. Dem pflichtete Dschalil Dschumriani, ein Berater des afghanischen Bergbauministers, mit den Worten bei, der Bergbau werde sich zum Rückgrat der Wirtschaft entwickeln.

Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, daß der in der proklamierten Form nicht zu gewinnenden Krieg der Besatzungsmächte und der nicht vorhandene Wiederaufbau des Landes mit einem Phantom verschleiert werden soll, das vorhandene Reichtümer suggeriert, deren Erschließung die Präsenz der USA und ihrer Verbündeten rechtfertigen soll. Wenngleich außer Frage steht, daß Afghanistan über beträchtliche Bodenschätze verfügt, bleibt vorerst ungeklärt, von welcher Qualität die entdeckten oder vermuteten Lagerstätten sind und auf welche Weise deren Erschließung bewerkstelligt werden kann. Da das Land auf keinerlei Erfahrungen mit Bergbau größeren Umfangs zurückblicken kann, fehlt es an Kenntnissen, Infrastruktur und industriellen Voraussetzungen, die aufzubauen Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde.

Entdeckt man Bodenschätze verwertbaren Ausmaßes in einem Land dieses Entwicklungsstands, stehen fremde Mächte Gewehr bei Fuß, um sich Zugriff darauf zu verschaffen. Für die US-Regierung geht es insbesondere darum, Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen, die nicht nur Ansprüche geltend machen, sondern ihren Fuß bereits in die Tür gestellt haben. Die regionalen Schwergewichte Indien, Rußland und China treten in den Wettstreit um die Ressourcen Afghanistans ein, wobei die Russen in gewissem Umfang von ihrer früheren Präsenz zu profitieren hoffen, während die Chinesen am weitesten vorgedrungen sind. Zwei chinesische Firmen wollen vier Milliarden Dollar in die südlich der Hauptstadt Kabul gelegen Kupfermine von Aynak investieren, wobei es sich um die bislang größte nicht-militärische Investition in Afghanistan handelt. Noch in diesem Jahr soll das internationale Bieterverfahren für die Förderung von geschätzten 1,8 Milliarden Tonnen hochwertigen Eisenerzes in der abgelegenen Bergregion Hadschinak beginnen. Für das mutmaßlich größte nicht erschlossene Eisenerzvorkommen in Asien interessieren sich Firmen in China und Indien.

Sorgen bereitet der US-Administration zwangsläufig auch, daß beträchtliche Partien der über das ganze Land verteilten Funde bedeutender Bodenschätze in Regionen liegen, die gegenwärtig weitgehend von dem afghanischen Widerstand kontrolliert werden. Die aktuelle Debatte um die Erschließung und Ausbeutung der Lagerstätten geht wie selbstverständlich von dem Anspruch der Besatzer aus, daß sie maßgeblich darüber zu bestimmen hätten, wer abgesehen von ihnen selbst unter den Afghanen davon profitieren soll. Nun ist es natürlich kein Geheimnis, daß sich eine Handvoll Oligarchen unter den Nagel reißt, was immer an Reichtümern in diesem Land generiert wird, und die Karsai-Regierung tief in derartige Klüngel und Geschäfte verstrickt ist. Ebenso sicher ist aber auch, daß Besatzungsregime und Kriegsführung dieses System mit den von ihnen ins Land gebrachten finanziellen Mitteln automatisch nähren und sich seiner gezielt bedienen, wo es ihnen zum Vorteil gereicht. Harsche Kritik setzt es hingegen, wenn sich Regierungsmitglieder von unerwünschter Seite schmieren lassen, wie Washington das dem früheren afghanischen Bergbauminister vorgeworfen hat, der 30 Millionen Dollar von den Chinesen angenommen haben soll, als diese den Zuschlag für die Kupfermine erhielten.

Afghanistan hat zwar ein landesweit geltendes Bergbaugesetz, an dessen Gestaltung Berater der Weltbank beteiligt waren, doch wurde es bislang keiner Belastungsprobe ausgesetzt. Das könnte sich ändern, sobald es zum Streit zwischen der Regierung in Kabul, den Kriegsherrn und Provinzmachthabern sowie den regionalen Stammesführern in Regionen mit Bodenschätzen um die erhoffte Beute kommt. In der Absicht, sich in dem absehbaren Hauen und Stechen diverser einheimischer und ausländischer Akteure an entscheidender Stelle zu positionieren, wurde eigens eine Abteilung des Pentagons geschaffen und damit beauftragt, den Afghanen bei der Verwertung ihrer Bodenschätze unter die Arme zu greifen. Wie es dazu hieß, sei das afghanische Bergbauministerium noch nicht in der Lage, ein geordnetes Bieterverfahren für internationale Investoren durchzuführen. Daher ziehe man die Expertise ausländischer Unternehmen heran, die Erfahrung mit solchen Abläufen haben und das Ministerium beraten sollen.

Man muß nicht einmal zwischen den Zeilen lesen, um zu dem Schluß zu gelangen, daß die US-Regierung auf diesem Gebiet fortan Kontrolle beansprucht, um zu verhindern, daß weiterhin große Brocken der Beute an die Chinesen oder andere Konkurrenten gehen. Während die Besatzungsmächte bislang daran gescheitert sind, das Land mit militärischen Mitteln verfügbar zu machen und vornehmlich in eine überwiegend informelle Kriegsökonomie investieren, geben sich Vertreter anderer Länder in Kabul nämlich die Klinke in die Hand, um über Abkommen und Geschäfte im zivilen Bereich zu sprechen.

Die Suche nach Bodenschätzen in Afghanistan geht auf sowjetische Geologen zurück, die dort in den 1980er Jahren umfangreiche Untersuchungen durchgeführt haben. Nach dem Abzug der Sowjetunion 1989 blieben die Karten und Aufzeichnungen in Kabul zurück, wo sie in den Wirren der 1990er Jahre nahezu in Vergessenheit gerieten und nur von einer kleinen Gruppe von Experten aufbewahrt wurden, die sie erst nach dem Sturz der Taliban und der US-Invasion 2001 an die staatliche Bibliothek zurückgaben. Als US-amerikanische Geologen auf diese alten Aufzeichnungen stießen, setzten sie die Erforschung mit moderner Technologie aus der Luft fort.

Die Ergebnisse waren so vielversprechend, daß 2007 eine zweite, umfassendere luftgestützte geologische Studie durchgeführt wurde. Obgleich die spektakulären Funde der ersten Untersuchung dabei noch übertroffen wurden, interessierte sich weder in Kabul noch Washington jemand dafür. Erst als 2009 eine Abteilung des Pentagons, die bereits im Irak Programme wirtschaftlicher Entwicklung nach den Maßgaben US-amerikanischer Verwertungsinteressen umgesetzt hatte, nach Afghanistan entsandt wurde, sorgte das für den entscheidenden Schub. Heute hält man die Zeit für gekommen, aller Welt vorzuführen, wie verdienstvoll und lohnenswert es doch war, das unerwartet ressourcenreiche Land zu besetzen, und zugleich alle Konkurrenten wissen zu lassen, wer diesen Claim fortan für sich beansprucht.

Anmerkungen:

[1] U.S. Identifies Vast Riches of Minerals in Afghanistan (13.06.10)
New York Times

[2] US "surge" in Afghanistan in disarray (14.06.10)
World Socialist Web Site

15. Juni 2010