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ASIEN/671: Peking und Taipeh treffen bedeutsames Handelsabkommen (SB)


Peking und Taipeh treffen bedeutsames Handelsabkommen

Volksrepublik läßt Zolltarife für viele taiwanesische Produkte fallen


Seit im Frühjahr 2008 die Kuomintang auf Taiwan die Parlamentswahlen gewann und sich ihr Kandidat Ma Ying-jeou bei der Wahl zum Präsidenten durchsetzen konnte, hat sich das Verhältnis des Inselstaats zur benachbarten Volksrepublik China dramatisch verbessert. Die Ära der Konfrontation, für die maßgeblich der frühere Präsident Chen Shui-bian und dessen Demokratische Fortschrittspartei gesorgt hatten, war vorbei. Statt wie Chen und die DPP bei jeder Gelegenheit lauthals die Unabhängigkeit Taiwans zu proklamieren und damit Peking gegen sich aufzubringen, setzen Ma und die Kuomintang auf Annäherung, Spannungsabbau und intensivere Handelsbeziehungen.

Bereits im Sommer 2008 wurden die ersten Direktflüge zwischen der Volksrepublik und Taiwan aufgenommen. Inzwischen machen jedes Jahr Hunderttausende Festlandstouristen Ferien auf der Insel. Der gemeinsame Handel beträgt inzwischen 110 Milliarden Dollar im Jahr. Taiwanesische Firmen exportierten 2009 Güter im Wert von 80 Milliarden Dollar in die Volksrepublik, während die Volkschinesen Waren im Wert von 30 Milliarden auf der Insel absetzen konnten. In den ersten vier Monaten 2010 sind die taiwanesischen Exporte in die Volksrepublik um 70 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres gestiegen.

Mit einer Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen ist zu rechnen, nachdem am 29. Juni in der südwestchinesischen Millionenstadt Chongqing Vertreter der Volksrepublik und Taiwans das Rahmenabkommen über Wirtschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnet haben. Laut dem Economic Co-operation Framework Agreement (ECFA) sollen im Handel über die Taiwanstraße für taiwanesische Exporte im Wert von 14 Milliarden Dollar und für Festlandswaren im Wert von drei Milliarden Dollar die Zolltarife entweder gänzlich wegfallen oder stark reduziert werden. Darüber hinaus dürfen sich ab sofort taiwanesische Unternehmen erstmals im Banken- und Versicherungssektor der Volksrepublik betätigen.

Mit der Unterzeichnungszeremonie in Chongqing wollte man einen weiteren symbolischen Strich unter den chinesischen Bürgerkrieg setzen, der 1949 mit dem Sieg der Kommunisten unter Mao Zedung und der Flucht von rund fünf Millionen Nationalisten der Kuomintang unter General Chiang Kai-Tscheck nach Taiwan endete. Während des Zweiten Weltkrieges hatten Chiang und Mao in Chongqing ein brüchiges Bündnis gegen die japanische Besatzungsarmee geschlossen. Nach dem Sieg im Bürgerkrieg haben Maos Kommunisten in Chongqing ein Gefängnis entdeckt, in dem zahlreiche ihrer Parteigenossen von Chiangs Anhängern grausam mißhandelt und getöten worden waren. Auf dem Gelände des Gefängnisses hat man eine Gedenkstätte errichtet.

Während auf Taiwan laut Umfragen die meisten Menschen das neue Abkommen mit dem Festland und die damit einhergehenden Handelserleichterungen begrüßten, wetterten Politiker und Anhänger der oppositionellen DPP, unter anderem mit einer Demonstration am 26. Juni im Zentrum von Taipeh, dagegen. Aus Sicht der DPP haben Ma und die Kuomintang mit dem ECFA die Interessen Taiwans verraten und die Insel vollends in die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Volksrepublik gebracht, wodurch die Gefahr der politischen Einverleibung immer akuter wird. Das demokratische Taiwan dürfe niemals unter die Knute der Einparteienherrschaft der Volksrepublik geraten, so die DPP.

Davon ist man aber wirklich sehr weit entfernt. Zwar hält Peking völkerrechtlich am Prinzip der Einheit Chinas fest, hat jedoch nichts unternommen, um seinen Anspruch gewaltsam durchzusetzen. Statt dessen versucht die Regierung der Volksrepublik über den Handelsweg die politische Trennung Taiwans vom Festland zu überwinden, wohlwissend, daß es auch für die Nationalisten auf der Insel nur das eine China gibt. Deswegen heißt Taiwan bis heute offiziell Republik China. Bis 1992 zum Beispiel waren auch die Festlandsprovinzen Chinas durch Politiker der Kuomintang im Parlament von Taipeh vertreten. Weil dadurch die Taiwanesen nur die Vertreter ihrer Provinz wählen konnten, haben Chiang und seine politischen Erben jahrzehntelang das Einparteiensystem der Kuomintang aufrechterhalten können.

In den siebziger Jahren haben die USA unter Richard Nixon, Gerald Ford und Jimmy Carter Taiwan mehr oder weniger zugunsten der Volksrepublik fallengelassen. Im Zuge der historischen Entwicklung übernahm die Volksrepublik die Stelle Chinas bei den Vereinten Nationen und wurde neben Frankreich, Großbritannien, der Sowjetunion und den USA zur fünften Vetomacht. In den UN-Sicherheitsrat zogen die Diplomaten Pekings ein, weswegen die Konkurrenten aus Taipeh ihre Stühle räumen mußten. Zwar bekennen sich die USA bis heute zum Ein-China-Prinzip, insistieren jedoch darauf, daß die Wiedervereinigung zwischen der Volksrepublik und Taiwan nur auf friedlichem Weg erfolgen dürfte. Die militärische Beistandsgarantie Washingtons für Taipeh, die 1979 in dem vom US-Kongreß verabschiedeten Taiwan Relations Act (TRA) gesetzlich verpflichtenden Ausdruck fand, wird für die Volksrepublik, je mehr diese zur wirtschaftlichen Supermacht wird, zum Problem. Die Volkschinesen verdächtigen Washington, die Unabhängigkeitsbestrebungen von Teilen der taiwanesischen Gesellschaft zu schüren, um die Insel als Komponente einer Containment-Strategie behalten zu können.

In Peking ist man über die Entscheidung der Regierung Barack Obamas vom vergangenen Januar, Rüstungsgüter für die taiwanesischen Streitkräfte im Wert von 6,4 Milliarden Dollar an Taipeh zu verkaufen, nicht besonders erfreut. Der Streit der beiden Seiten in der Taiwan-Frage trat Anfang Juni auf dem asiatisch-pazifischen Sicherheitsforum in Singapur, dem sogenannten Shangri-La-Dialog, zutage, als die Volkschinesen demonstrativ US-Verteidigungsminister Robert Gates nicht, wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre, zu Gesprächen nach Peking einluden. Während die Vertreter der USA der Führung der Volksrepublik unterstellen, eine expansive Militärpolitik zu betreiben, weist Peking den Vorwurf zurück und bezichtigt seinerseits Washington unter Verweis auf die Taiwan-Frage, sich auf unzulässige Weise in innerchinesische Angelegenheiten einzumischen. Zwar werden die Meinungsunterschiede zu diesem Thema nicht schnell beigelegt werden, doch zeichnet sich eine gewisse Entspannung ab.

Wie Jens Kastner am 29. Juni bei der Asia Times Online berichtete, soll die chinesische Staatsführung vor kurzem bei einem Besuch Dianne Feinsteins in Peking der langjährigen, einflußreichen Vertreterin der US-Demokraten im Washingtoner Senat, die derzeit dort den Vorsitz des Geheimdienstausschusses innehat, das Angebot unterbreitet haben, die Volksarmee könnte die rund 1500 Kurzstreckenraketen vom Typ CSS-6 und CSS-7, die sie an der südchinesischen Küste gegenüber von Taiwan stationiert hat, ins Landesinnere verlegen. Im Gegenzug müßten die USA die geplanten Waffenlieferungen an Taiwan - darunter Kampfhubschrauber vom Typ Blackhawk, Boden-Luft-Raketen vom Typ Patriot und Minensuchboote - entweder ganz streichen oder stark reduzieren. In Kastners Asia-Times-Online-Artikel wird auf die Bedeutung des neuen Rahmenabkommens über Wirtschaftliche Zusammenarbeit hingewiesen und darauf spekuliert, daß Peking mit dem offiziellen Publikmachen seines Angebots zum Abzug der Kurzstreckenraketen bis Ende 2011, Anfang 2012 warten könnte, um mit dem Entspannungschritt Ma bei der Wiederwahl zum Präsidenten Taiwans zu helfen.

2. Juli 2010