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ASIEN/727: Ermordung Benazir Bhuttos kurz vor der Aufklärung? (SB)


Ermordung Benazir Bhuttos kurz vor der Aufklärung?

Zardaris Parteifreunde wollen Pervez Musharraf den Mord anhängen


Fast dreieinhalb Jahre danach soll die Ermordung Benazir Bhuttos aufgeklärt sein. In einem Bericht vom 26. März zitierte die pakistanische Zeitung Daily Times auf ihrer Website Innenminister Rehman Malik mit den Worten: "Es ist ermittelt worden, wo das Komplott für das Attentat auf Benazir Bhutto ausgeheckt wurde, welches Fahrzeug benutzt wurde, wie die Mörder den Tatort erreichten und ihnen anschließend die Flucht gelang." Während Malik für sich reklamierte, durch die erfolgreiche Ermittlungsarbeit habe die Regierung von Premierminister Yousaf Raza Gilani "ihr Versprechen erfüllt", stimmt seine Angabe, vor der Veröffentlichung des entsprechenden Untersuchungsberichts müsse dieser dem Zentralen Exekutivkomitee der Pakistan People's Party (PPP) vorgelegt werden, nachdenklich. Schließlich zählt Bhuttos Witwer Asif Ali Zardari, der von ihr den Vorsitz der PPP erbte und durch ihre Ermordung zum Präsidenten Pakistans wurde, zu einem der möglichen Auftragsgeber. Zweifelsohne ist er der größte Nutznießer des Attentats.

Zum Durchbruch bei den Ermittlungen im Mordfall Benazir Bhutto soll es gekommen sein, nachdem Ende letzten Jahres Saud Aziz, seiner Zeit Polizeichef von Rawalpindi, und dessen ehemaliger Kollege Kurram Shahzad, verhaftet und von einem Anti-Terror-Gericht in Islamabad angeklagt wurden, den tödlichen Angriff auf Bhutto nicht verhindert und anschließend die Ermittlungen torpediert zu haben. Aziz wirft man vor, den Sicherheitsheitskordon um Bhutto nach deren Auftritt bei einer Wahlkampfverstaltung in Rawalpindi, Sitz des Oberkommandos der pakistanischen Streitkräfte, abgezogen und gleich nach dem Anschlag veranlaßt zu haben, daß der Tatort mit Wasser abgespritzt wurde, womit die meisten forensischen Beweise vernichtet wurden.

Bis heute ist die Totesursache unklar. Als Bhutto nach einer Wahlkampfrede am 27. Dezember 2007 mit ihrem gepanzerten Toyota Land Cruiser weggefahren werden sollte, kam es zu einem schweren Bombenanschlag, der 24 Menschen tötete und 130 verletzte. Es gibt eine Theorie, wonach Bhuttos tödliche Kopfverletztung auf die Explosion zurückging - entweder weil sie von Bombensplittern getroffen wurde oder weil sie wegen der Schockwelle mit dem Kopf gegen die Kante des geöffneten Schiebedachs, durch das sie ihren Anhängern zuwinkte, schlug. Es gibt auch Aussagen von Zeugen, die gesehen bzw. gehört haben wollen, wie unmittelbar vor der Explosion der Bombe Schüsse auf Bhutto abgegeben wurden.

Man wird es niemals wissen, wie Bhutto starb, denn ihre Ehemann Zardari hat keine Genehmigung für die Obduktion ihrer Leiche erteilt und statt dessen auf einer schnellstmöglichen Beerdigung beharrt. In einem Artikel, der am 6. Dezember 2010 im Londoner Guardian über die Verhaftung der beiden ranghohen Polizisten aus Rawalpindi erschienen ist, berichtete der Islamabad-Korrespondent Declan Walsh unter Verweis auf den im April letzten Jahres veröffentlichten Untersuchungsbericht eines Expertenteams der Vereinten Nationen, daß Aziz, noch während die Ärzte im Krankenhaus das Leben der schwerverletzten Bhutto zu retten versuchten, per Mobiltelefon dauernd mit jemanden sprach und sie bei ihrer Arbeit störte. Gegenüber den UN-Ermittlern hatte Aziz erklärt, am anderen Ende des Telefons sei Zardari gewesen.

Nach der Verhaftung Ende letzten Jahres änderte Aziz seine Geschichte radikal. Wie der Sydney Morning Herald am 9. Februar berichtete, soll der damalige Präsident Pervez Musharraf derjenige gewesen sein, der im Telefongespräch mit Aziz am Abend vor dem Auftritt Bhuttos in Rawalpindi den Abzug des Sicherheitskordons veranlaßte und nach dem Attentat das Abspritzen des Tatorts anordnete. Wegen ihrer angeblichen Beteiligung an der Ermordung stehen seit dem 12. Februar Musharraf, der seit dem Rücktritt im Frühjahr 2008 im Londoner Exil lebt, Aziz und Khurram unter Mordanklage. Gegen Musharraf will das Justizministerium in Islamabad sogar einen internationalen Haftbefehl erwirken.

Die angebliche Lösung der bisher unbeantworteten Fragen im Mordfall Bhuttos erscheint viel zu glatt. Anfangs behaupteten die Regierung in Islamabad und die CIA, Baitullah Mehsud, der Anführer der pakistanischen Taliban, sei für den Mord verantwortlich gewesen. Dies hat der paschtunische Stammesführer, dessen Kampf den ausländischen Truppen im benachbarten Afghanistan galt, bis zu seinem Tod durch eine per Drohne abgefeuerte CIA-Rakete in August 2008 stets von sich gewiesen. Unter dem Verdacht, in den Anschlag verwickelt gewesen zu sein, geriet recht schnell Bhuttos Hauptleibwächter Khalid Shahenshah, der auf der Tribüne bei besagter Wahlkampfveranstaltung seltsame Handbewegungen gemacht hatte, als gebe er einem Schützen das Signal zum Schießen. Die Fernsehbilder davon sorgten für viel Gerede, weshalb Shahenshah Pakistan für einige Monate verließ und angeblich in Dubai untertauchte.

Als er zurückkehrte, ernannte ihn Zardari, der inzwischen zum Staatsoberhaupt aufgestiegen war, zum Sicherheitschef der PPP. Kurz darauf, am 22. Juli 2008, wurde Shahenshah selbst auf offener Straße in Karatschi von unbekannten Tätern auf einem Motorrad erschossen. In einem am Tag darauf erschienenen Artikel der Londoner Times hieß es, hinter der Liquidierung des vielleicht wichtigsten Zeugen von der Ermordung Bhuttos, der mit ihr im Geländewagen war, als das Attentat auf sie erfolgte, steckten "dunkle Mächte". Interessanterweise wurde am 30. März Shahenshahs eigener früherer Sicherheitschef Mohammad Imran ebenfalls auf offener Straße von vier Männern auf Motorrädern erschossen. Das klingt, als wolle jemand mögliche Belastungszeugen beseitigen, bevor es zum großen Schauprozeß gegen Aziz, Khurram und eventuell Musharraf kommt.

Der Verdacht, daß nicht Musharraf oder die Taliban, sondern Zardari hinter dem Mord an Benazir Bhutto steckt, liegt auf der Hand. Wegen Korruption hat Zardari in den neunziger Jahren einige Zeit im Gefängnis verbringen müssen. Weil er angeblich immer an den Staatsaufträgen mitverdiente, die seine Frau als Premierministerin vergab, lautet sein Spitzname in Pakistan "Mister 10 Percent". Darüber hinaus steht Zardari im Verdacht, die Ermordung von Bhuttos Bruder und politischen Rivalen Murtaza 1996 in Auftrag gegeben zu haben. Als Zardari mit Bhutto im Herbst 2007 nach Pakistan nach fast zehn Jahren im Exil zurückkam, hatte er nichts außer einer mächtigen Frau, die kurz davor stand, aus den anstehenden Parlamentswahlen als Siegerin und Premierministerin in spe hervorzugehen. Durch ihr Ableben hat er die Führung der PPP - im Namen des gemeinsamen Sohnes Bilawal, der in England studiert - übernommen und wurde vom Parlament zum Präsidenten gewählt.

Wegen seiner Erpreßbarkeit - angeblich hatten er und seine Frau Vermögenswerte im Wert von mehreren Milliarden Dollar bei Banken in der Schweiz deponiert - und der üppigen Hilfsgelder, mit denen die USA die Regierung in Islamabad stützt, ist Zardari Washington stets zu Diensten und hat den Amerikanern einen weitaus größeren Spielraum für den "Antiterrorkrieg" im pakistanischen Grenzgebiet zugestanden, als es unter dem selbstbewußten und mächtigen Ex-Generalstabschef Musharraf der Fall gewesen ist. Die im vergangenen September von dem amerikanischen Enthüllungsjournalisten Jeremy Scahill in der Zeitschrift The Nation bekanntgemachte Tatsache, daß auch das berüchtigte US-Sölderunternehmen Blackwater mit der Sicherheit Bhuttos nach deren Rückkehr nach Pakistan engagiert worden war, läßt die Vermutung zu, daß auch die CIA in den spektakulären Politmord verwickelt gewesen ist.

1. April 2011