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ASIEN/780: Afghanistan bereitet sich auf NATO-Abzug 2014 vor (SB)


Afghanistan bereitet sich auf NATO-Abzug 2014 vor

Saudi-Arabien weitet seinen Einfluß am Hindukusch aus



Am 5. April 2014 findet in Afghanistan die nächste Präsidentenwahl statt. Bewerber können sich bis zum 6. Oktober 2013 als Kandidaten registrieren lassen. Dies gab am 31. Oktober die Independent Election Commission (IEC) in Kabul bekannt. Aus verfassungsrechtlichen Gründen kann Hamid Karsai nach zwei Amtszeiten und mehr als zehn Jahren als Präsident nicht mehr antreten. Derzeit ist völlig unklar, wer sein Nachfolger wird. Nach Angaben des IEC-Vorsitzenden Fazil Ahmad Manawi steht sogar einer Kandidatur eines Vertreters der Taliban oder des Hezb-i-Islami um Ex-Premierminister Gulbuddin Hekmatjar prinzipiell nichts im Wege. An der Wahl können sich jeder Bürger und jede Bürgerin Afghanistans passiv und aktiv beteiligen, so Manawi. Die Taliban halten halten nach wie an dem 1996 von ihnen ausgerufenen Islamischen Emirat Afghanistan fest, daran hat auch der NATO-Einmarsch 2001 nichts ändern können. Sie haben sich bis heute nicht mit der neuen, unter der Obhut der internationalen Sicherheitstruppe ISAF ausgearbeiteten Verfassung des Landes abgefunden. Von daher ist eine Kandidatur oder gar ein Sieg von Taliban-Chef Mullah Mohammad Omar bei der nächsten afghanischen Präsidentenwahl vielleicht eine unterhaltsame Vorstellung aber kein realistisches Szenario.

In den letzten Jahren sollen sich die Taliban bei Vorgesprächen mit Abgesandten des Westens und der Karsai-Regierung dazu bereiterklärt haben, im Falle einer Beendigung des Afghanistankrieges über den Verhandlungsweg künftig die Frauenrechte besser zu achten und sich nicht mehr gegen die Schulausbildung von Mädchen zu sperren. Doch bekanntlich sind die Annäherungsgespräche an der Weigerung Washingtons, als Zeichen des guten Willens fünf in Guantánamo Bay auf Kuba einsitzende Taliban-Kämpfer gegen einen gefangenen US-Soldaten zu tauschen, gescheitert. Folglich ist man niemals zum wirklichen Knackpunkt etwaiger Verhandlungen - dem Widerspruch zwischen der Forderung der Taliban nach Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan und dem Wunsch der USA nach dauerhaften amerikanischen Stützpunkten am Hindukusch - vorgestoßen.

Unabhängig davon, wieviele ausländische Soldaten nach Ende 2014 in Afghanistan bleiben, wird die neue afghanische Armee und Polizei ab Januar 2015 allein für die Sicherheit im Land verantwortlich sein. Die Realisierbarkeit des offiziellen NATO-Vorhabens ist aber sehr fraglich geworden, seitdem sich immer mehr afghanische Soldaten und Polizisten als Taliban-Anhänger entpuppen und ihre westlichen Kameraden und Ausbilder erschießen. Nach Einschätzung des US-amerikanischen Special Inspector General for Afghanistan, der am 1. November einen entsprechenden Bericht veröffentlichte, sieht es mit den Kapazitäten der afghanischen Sicherheitskräfte auf absehbare Zeit recht dürftig aus. Ohne die Hilfe ihrer westlichen Kollegen wären sie kaum in der Lage, die Logistik der vom Westen aufgebauten Sicherheitsarchitektur in Afghanistan zu bewältigen. Hauptprobleme sind offenbar überbordende Korruption und die niedrige Schulbildung der Rekruten.

Eine rasche Anhebung des afghanischen Bildungsniveaus ist nicht in Sicht. Das Gegenteil ist der Fall. Wie die britische Tageszeitung Guardian am 3. November berichtete, baut Saudi-Arabien derzeit in Kabul für 100 Millionen Dollar ein islamisches Kulturzentrum auf, das ab 2016 über eine Moschee mit Platz für 15.000 Gläubige verfügen und in dessen Hörsälen und Bibliotheken jährlich Tausende Studenten ausgebildet werden sollen. Die Verbreitung saudi-finanzierter wahhabitisch-geprägter Madrassahs in Pakistan führte in den vergangenen 30 Jahren zu einer drastischen Radikalisierung der sunnitischen Mehrheit in ihrem Glauben. Wegen Überfällen und des Einsatzes eines drakonischen Blasphemiegesetzes sind sich Pakistans Christen, Sufis, Schiiten, Hindus und Atheisten ihres Lebens kaum noch sicher.

Saudi-Arabien - woher 15 der 19 mutmaßlichen Flugzeugattentäter vom 11. September 2001 stammten -, Pakistan und die Vereinigten Arabischen Emiraten waren damals die einzigen Staaten, die den Islamischen Emirat Afghanistan der Taliban völkerrechtlich anerkannten. Mit dem neuen Kulturzentrum auf einem Hügel über der afghanischen Hauptstadt will Riad laut Guardian "den Einfluß Saudi-Arabiens in Afghanistan nach Rückzug des Westens garantieren". Da dessen Errichtung in Absprache mit dem Bildungsministerium in Kabul erfolgt, kann man davon ausgehen, daß Saudi-Arabien seinen konservativ-reaktionären Einfluß auf den Lehrplan der Schulen in Afghanistan geltend machen wird.

Doch es kann noch schlimmer kommen. In einem Beitrag für seinen Blog "Indian Punchline" bei der Zeitschrift Rediff.com äußerte der ehemalige indische Diplomat M. K. Bhadrakumar unter der Überschrift "Do Afghans want more religion?" am 3. November den Verdacht, daß die Saudis beabsichtigen, künftig von Kabul aus die Sunniten in Zentralasien aufzuwiegeln und jene Region zu Lasten des Irans, Rußlands und Chinas zu destabilisieren. Bhadrakumar stellte sogar die Frage in den Raum, ob eine solche ideologische Offensive Riads möglicherweise mit Zustimmung Washingtons stattfände. Bedenkt man den aus Sicht der USA erfolgreichen Einsatz fanatisierter Dschihadisten in Afghanistan in den achtziger Jahren gegen die Sowjetarmee, in Bosnien- Herzegowina und Kosovo in den Neunzigern sowie beim Sturz von Libyens Muammar Gaddhafi im vergangenen Jahr und derzeit beim Kampf gegen das "Regime" Baschar Al Assads in Syrien, dürfte die Antwort eigentlich nur ja lauten.

5. November 2012