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ASIEN/812: Seerechtsstreit zwischen Peking und Manila eskaliert (SB)


Seerechtsstreit zwischen Peking und Manila eskaliert

Philippinen lehnen Chinas Ansprüche im Südchinesischen Meer ab



Der langjährige Streit um die sich widersprechenden Gebietsansprüche der Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres hat sich durch die Entscheidung der Regierung in Manila, am 30. März den Internationalen Seegerichtshof einzuschalten und ihm ein 4.000seitiges Memorandum zukommen zu lassen, eine neue Eskalationsstufe erreicht. Die Volksrepublik China, die vor allem wegen der Spratley-Inseln mit den Philippinen im Clinch liegt, zeigt sich über die Maßnahme Manilas verärgert und hat mit Konsequenzen gedroht. Da die Chinesen Verhandlungen vor der UN-Unterorganisation in Hamburg ablehnen, dürften die Philippinen den brisanten Schritt in erster Linie unternommen haben, um diplomatisch-propagandistisch besser dazustehen und die sich schon heute abzeichnende Annahme der militärischen Unterstützung der USA und Japans nach innen und nach außen begründen zu können.

Das 3,5 Millionen km² große, vergleichsweise flache Südchinesische Meer, das sich von der Malakka-Straße bei Singapur im Südwesten bis zur Taiwanstraße im Nordosten erstreckt, umfaßt etwa 250 Inseln und unzählige Riffe. Das Gebiet beherbergt größere Öl- und Gasreserven, die nur zum Teil erschlossen und ausgebeutet werden. China, das im Norden an das Meer grenzt, beansprucht fast das ganze Seegebiet für sich. Peking beruft sich dabei auf die historischen Überlieferungen chinesischer Fischer sowie auf die sogenannte Neun-Striche-Linie. Es handelt sich hier um eine Karte vom Südchinesischen Meer, welche die Regierung der Republik China 1947 - also zwei Jahre vor der Niederlage der Nationalisten um Chiang Kai-shek im Bürgerkrieg gegen Mao Zedongs Kommunisten und der Ausrufung der Volksrepublik - erstellt hat. Auf der Originalkarte sind elf Striche - zwei um den Golf von Tonkin wurden nach der Machtübernahme der Kommunisten in Peking auf Veranlassung Zhou En-lais fallengelassen -, eingezeichnet, die eine gedachte, u-förmige Linie bilden. Die Linie verläuft - bei der südwestlichen chinesischen Insel Hainan beginnend und bei Taiwan wieder endend - an der Küste Vietnams, Malaysias, Indonesiens, Bruneis und der Philippinen entlang, beschränkt diese Staaten auf ihre Küstengewässer und weist den Hauptteil des Meeres in der Mitte sozusagen als chinesisches Hoheitsgebiet aus.

Auf Chinas einseitige Auslegung der politisch-geographischen Gegebenheiten wollen sich seine Nachbarn am Südchinesischen Meer nicht einlassen. Im Streit mit Hanoi um die Paracels, die zwischen der Volksrepublik und der Nordküste Vietnams liegen, scheinen die Chinesen, die dort eine lange Besiedlung vorweisen können und die Inselgruppe vor zwei Jahren zu einem Teil der Präfektur Hainans erklärten, die besseren Karten zu besitzen. Bei den Spratleys sieht es anders aus. Sie liegen weiter südlich in der Nähe der Philippinen, die sie zu einem Bestandteil ihrer exklusiven Wirtschaftszone erklärt haben. Um die Ansprüche Manilas zu untermauern, harren acht philippinische Marinesoldaten am Atoll Second Thomas Shoal auf einem vor sich hin rostenden Schiff namens Sierra Madre aus, das sie 1999 extra für diesen Zweck auf ein Riff gefahren haben. Bei den riskanten Versuchen der philippinischen Marine, die Soldaten mit Obst und Gemüse, Wasser und den Waren des täglichen Bedarfs zu versorgen, kommt es immer wieder zu gefährlichen Konfrontationen mit der chinesischen Küstenwache, deren Patrouillenboote das Vorhaben verhindern wollen.

Während China die Streitereien um die verschiedenen Gebietsansprüche bilateral, das heißt mit jedem Nachbarstaat einzeln, beilegen will, verlangen die anderen Anrainerstaaten am Südchinesischen Meer multilaterale Verhandlungen, um die unterschiedlichen Positionen in einem Gesamtpaket aus der Welt zu schaffen. Dagegen sperrt sich die Volksrepublik, vermutlich in der Hoffnung, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht auf bilateralem Wege den jeweiligen Verhandlungspartner zu Zugeständnissen zwingen zu können. Mit der Pazifik-Strategie von Präsident Barack Obama haben die USA China jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Seit die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton die ungehinderte Seefahrt im Südchinesischen Meer im Jahr 2010 zum "Nationalinteresse" der USA erklärte, treten die Philippinen und Vietnam gegenüber der Volksrepublik selbstbewußter auf. Beide Staaten intensivieren ihre militärische Zusammenarbeit mit dem Pentagon und wollen ihre Häfen für US-Kriegsschiffe öffnen.

Die aggressive Haltung Pekings und die Containment-Strategie der USA gegenüber der Volksrepublik haben zudem Japan auf den Plan gerufen. Um sich der pazifistischen Verfassung, welche die USA Japan nach dem Zweiten Weltkrieg auferlegt haben, zu entledigen, will Tokio den Aktionsradius der japanischen Streitkräfte durch den Verweis auf die Notwendigkeit der "kollektiven Sicherheit" erweitern. Verstand man in Japan unter letzterem Begriff lange Zeit die Verpflichtung Nippons, den USA im Falle eines Krieges mit Nordkorea oder China beizustehen, will die rechtsgerichtete Regierung der Liberaldemokratischen Partei (LDP) in Tokio um Shinzo Abe sie jetzt gegebenenfalls auch auf die Philippinen ausdehnen. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, daß gleich nach der elektronischen Überspielung des philippinischen Memorandums an den Internationalen Seegerichtshof zwei Zerstörer der japanischen Seestreitkräfte zu einem viertägigen Besuch in Manila einliefen, während Premierminister Abe in Tokio das langjährige Verbot des Verkaufs von Rüstungsgütern Made in Japan an ausländische Abnehmer aufhob.

4. April 2014