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ASIEN/827: Shinzo Abe treibt die Remilitarisierung Japans voran (SB)


Shinzo Abe treibt die Remilitarisierung Japans voran

Der Ungeist des Militarismus macht sich in Japan wieder bemerkbar


Allen friedliebenden Lippenbekenntnissen zum Trotz, die Shinzo Abe am 6. und 9. August bei den Gedenkfeiern anläßlich der 70. Jahrestage der völligen Zerstörung der beiden Städte Hiroshima und Nagasaki durch amerikanische Atombomben verlautbart hat, treibt Japans erzreaktionärer Premierminister die Remilitarisierung seines Landes unerbittlich voran. Mit Hilfe seiner liberaldemokratischen Parteikollegen bringt Abe derzeit eine Reihe von Militärgesetzen durchs Tokioter Parlament, die den japanischen Streitkräften die Teilnahme an militärischen Operationen im Ausland erlauben sollen. Allen Umfragen zufolge lehnt eine große Mehrheit der japanischen Bevölkerung die Initiative ab. Nach Meinung der meisten japanischen Staatsrechtler verstoßen die neuen Gesetze gegen Artikel IX der japanischen Verfassung, demzufolge Japan aufgrund der blutigen Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg für immer auf ausländische Militäreinsätze verzichtet und seine Streitkräfte lediglich das eigene Staatsterritorium verteidigen.

Seit längerem drängen die USA Japan dazu, mehr "Verantwortung" für "Frieden und Stabilität" in Asien zu übernehmen. Hinter den Euphemismen verbirgt sich der Wunsch Washingtons, die japanischen Streitkräfte, die technologisch zu den am besten ausgerüsteten der Welt gehören, in die Containment-Strategie der USA gegenüber der aufstrebenden Volksrepublik China zu integrieren. Die Nutzung japanischer Häfen und Stützpunkte durch Armee, Luftwaffe und Marine der USA sowie die Stationierung amerikanischer Abfangraketen auf japanischem Boden, welche im Notfall chinesische - oder auch nordkoreanische - Interkontinentalraketen abschießen könnten - reichen offenbar nicht mehr aus. Japan soll auch außerhalb der eigenen Grenzen aktiv helfen, China in seine Schranken zu weisen. Erste vorsichtige Schritte hat Tokio in diese Richtung bereits unternommen. Im Streit um den Verlauf der Staatsgrenzen im Südchinesischen Meer erhalten Chinas Rivalen Vietnam und die Philippinen demnächst sechs respektive zwei Patrouillenboote Made in Japan. Premierminister Abe hat vor einiger Zeit sogar über die Möglichkeit von Patrouillenflügen der japanischen Luftwaffe über dem Südchinesischen Meer laut nachgedacht. Dafür müssen jedoch vorher die umstrittenen Militärgesetze verabschiedet werden.

In einem offenen Brief, der am 11. August erschienen ist, haben fünf ehemalige Premierminister Japans den Kurs Abes in der Sicherheitspolitik für falsch erklärt. Bei den Ex-Regierungschefs - Yukio Hatoyama, Morihiro Hosokawa, Tsutomu Hata, Tomiichi Murayama und Naoto Kan - handelt es sich allesamt um Politiker, die aus anderen Fraktionen als Abes Liberaldemokratischer Partei (LDP) kommen. Abes Vorgänger werfen ihm vor, das heilige Versprechen Japans an die Welt, niemals wieder auf den Krieg als politisches Mittel zurückzugreifen, nicht zu respektieren und die Verfassung des Staates mit Füßen zu treten. Des weiteren bezichtigen sie ihn, die Erfüllung der politischen Ziele seines Großvaters Nobusuke Kishi über die Zukunft des japanischen Volkes zu stellen.

Letzterer Vorwurf ist nicht von der Hand zu weisen. Kishi beteiligte sich in den dreißiger Jahren an der Besetzung der nordchinesischen Mandschurei, wo er chinesische Sklavenarbeiter eingesetzt haben soll. 1941, dem Jahr des Ausbruchs des Krieges gegen die USA, wurde er Minister für Munition in der Militärregierung um General Hideki Tojo. Im Gegensatz zu Tojo wurde Kishi nicht als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet, sondern verbrachte lediglich drei Jahre wegen dieses Verdachts in einem Militärgefängnis der US-Besatzungsarmee. Nachdem die Amerikaner 1952 das Verbot der politischen Betätigung für frühere Regimemitglieder aufgehoben hatten, half Kishi mit, die LDP zu gründen, und wurde zu einem der mächtigsten Männer Japans. 1957 erhielt er den Posten des Premierministers, mußte jedoch drei Jahre später wegen landesweiter Proteste gegen seine Bemühungen, die neue Militärallianz mit den USA auf eine noch breitere Basis zu stellen, zurücktreten.

Bis zu seinem Lebensende blieb Kishi ein unverbesserlicher Verehrer Tojos. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, daß sein Enkel Abe bei jeder Gelegenheit die Kriegsverbrechen der kaiserlichen Streitkräfte Nippons im Zweiten Weltkrieg, etwa die Zwangsprostitution Zehntausender junger Frauen in ganz Ostasien, zu relativieren versucht. Regelmäßig besucht er den Yasukuni-Schrein in Tokio, der den gefallenen Kriegshelden Japans - einschließlich Tojo und den anderen acht 1945 hingerichteten Kriegsverbrechern - gewidmet ist. Abes faschistoide Geisteshaltung belegt exemplarisch ein Zitat aus einem Buch, das er 2004 über seine "Vision" von Japan veröffentlichte. Darin hieß es: "Eine Militärallianz ist eine Blutallianz. Solange die Japaner kein Blut vergießen, können wir keine Beziehung auf Augenhöhe mit den Amerikanern haben."

14. August 2015


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