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ASIEN/848: Belutschistan im Kreuzfeuer von Indien und Pakistan (SB)


Belutschistan im Kreuzfeuer von Indien und Pakistan

Der Dauerkonflikt um Kaschmir weitet sich gefährlich aus


In der westpakistanischen Provinz Belutschistan, in der sich seit Jahren die staatlichen Behörden mit separatistischen Umtrieben konfrontiert sehen, ist es zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen zu einem verheerenden "Terroranschlag" gekommen. In den frühen Morgenstunden des 24. Oktober haben sechs maskierte Männer, darunter offenbar mindestens ein Selbstmordattentäter, die Wohnbaracke einer Polizeiakademie in Quetta, der Hauptstadt Belutschistans, überfallen, mindestens 58 Kadetten entweder erschossen oder mit Bomben getötet und mehr als 100 weitere verletzt. Zu dem Anschlag bekannte sich die al-kaida-nahe Gruppe Lashker-e-Jhangvi (LeJ). Am Abend des 12. November hat eine schwere Bombenexplosion in einem in den Bergen Belutschistans gelegenen Schrein zu Ehren des Sufiheiligen Schah Bilal Nurani mindestens 52 Pilgern das Leben gekostet und mehr als 100 Menschen verletzt. Zu der perfiden Tat hat sich jemand im Namen der internationalen "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) bekannt. Nichtsdestotrotz vermutet man in pakistanischen Sicherheitskreisen hinter beiden Aktionen Indien - und das nicht ganz zu Unrecht.

Seit Jahren mehren sich die Hinweise dafür, daß Indiens Auslandsgeheimdienst (Research and Analysis Wing - RAW) unzufriedene Belutschen mit Geld und Waffen versorgt und sie zu Gewalttaten gegen Islamabad aufwiegelt, um die pakistanischen Kollegen vom Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) für ihre verdeckten Aktivitäten im indischen Kaschmir zu bestrafen. Noch im März hat die Regierung Pakistans ein sechsminütiges Video veröffentlicht, in dem ein festgenommener Offizier der indischen Kriegsmarine namens Kulbhushan Yadav zugab, seit 2013 im Auftrag von RAW eine Reihe von Destabilisierungsaktionen "terroristischer" Gruppen in Belutschistan sowie in der Hafenmetropole Karachi, Hauptstadt der Provinz Sindh, mitinitiiert und koordiniert zu haben. Neu-Delhi bestreitet die Angaben Yadavs vehement.

Seit am 8. Juli der 22jährige Rebellenführer Burhan Wani von der Gruppe Hisbul Mudschaheddin im indischen Teil Kaschmirs bei einem Feuergefecht mit der indischen Armee sein Leben verlor, kommt die mehrheitlich von Muslimen bewohnte Bergregion nicht mehr zur Ruhe. Auf die fast täglichen Proteste reagieren Armee und Polizei Indiens mit Brachialgewalt. Mehr als 100 meist jugendlicher Demonstranten sind dabei gestorben, unzählige durch die Praxis der indischen Sicherheitskräfte, auf Kopfhöhe mit Schrotkugeln auf die Menge zu schießen, für immer blind geworden oder haben schwere Augenverletzungen davongetragen.

Vor dem Hintergrund einer Verschärfung der Kaschmir-Problematik hat Indiens Premierminister Narendra Modi von der hindunationalistischen Bharatiya Janata Partei (BJP) zusätzliches Öl ins Feuer gegossen, als er bei einer Rede zum Unabhängigkeitstag am 15. August nicht nur wie üblich Islamabad für die Unruhen in Kaschmir verantwortlich machte, sondern den pakistanischen Sicherheitsapparat zudem bezichtigte, "Greueltaten" in Belutschistan zu verüben. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters vom 26. August zufolge sollen ranghohe Ministerialbeamte in Neu-Delhi im Vorfeld der Rede vergeblich versucht haben, Modi, Verteidigungsminister Manohar Parrikar und Innenminister Rajnath Singh von der gezielten Provokation abzubringen. Wie zu erwarten war, hat Premierminister Nawaz Sharif von der Pakistanischen Moslemliga (PML-N) seinerseits Modi vorgeworfen, mit dem Verweis auf Belutschistan eine "rote Linie" überschritten zu haben.

Und so kam es, wie es kommen mußte. Am 18. September haben bewaffnete Mitglieder der Extremistengruppe Jaisch-e-Mohammed (JeM) am 18. September auf der indischen Seite der Line of Control (LoC), die Kaschmir durchzieht, einen Armeeposten der indischen Streitkräfte überfallen. Bei der Aktion kamen 18 Soldaten und vier Angreifer ums Leben. Wenige Tage später sollen indische Spezialstreitkräfte zur Vergeltung erstmals eine Kommandooperation gegen Armeestellungen auf der pakistanischen Seite der LoC durchgeführt haben. Seitdem kommt es entlang der innerkaschmirischen Grenze fast täglich zu Artillerieduellen. Bislang haben dadurch 25 pakistanische Zivilisten das Leben verloren. Durch indisches Artilleriefeuer sind allein am 13. November sieben pakistanische Soldaten getötet worden. Es besteht die Gefahr, daß aus dem noch begrenzten Kaschmir-Konflikt jederzeit ein großangelegter Krieg zwischen den beiden Atommächten werden kann.

Letztes Jahr hat China ein 46 Milliarden Dollar teures Infrastrukturprojekt angekündigt, mittels dessen ein Transportkorridor samt Öl- und Gaspipelines zwischen der belutschistanischen Hafenstadt Gwadar am Eingang zum Persischen Golf und dem Westen der Volksrepublik zwecks Belebung der pakistanischen Wirtschaft geschaffen werden soll. Indien steht dem Mammutvorhaben China Pakistan Economic Corridor (CPEC) feindlich gegenüber, weil dadurch das wirtschaftlich schwache Nachbarland endlich auf die Beine kommen könnte. Darüber hinaus bereitet die immer stärkere militärische Zusammenarbeit Islamabads mit Peking der Politelite in Neu-Delhi, die Indien mit der Hilfe der USA zur Weltmacht machen will, Sorgen. Von daher dürfte der Umstand, daß der schreckliche Anschlag auf den Sufischrein am Vorabend des Besuchs Sharifs in Gwadar geschah, mit dem der pakistanische Regierungschef in einer feierlichen Zeremonie unter Teilnahme einer chinesischen Delegation den neuen Tiefseehafen in Gwadar für den internationalen Handel eröffnen wollte, kein Zufall gewesen sein.

14. November 2016


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