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ASIEN/852: China und USA streiten sich im Südchinesischen Meer (SB)


China und USA streiten sich im Südchinesischen Meer

Hinter den Seerechtskonflikten stehen militärische Überlegungen


Das Verhältnis der USA zur Volksrepublik China scheint das überragende außenpolitische Thema der Präsidentschaft von Donald Trump zu werden. Gerade noch gewählt und nicht einmal ins Weiße Haus eingezogen - die Amtseinführung findet erst im Januar statt - hat der New Yorker Baumagnat am 2. November durch ein Telefonat mit der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen gleich eine erste handfeste außenpolitische Krise ausgelöst. Was zunächst für einen diplomatischen Lapsus gehalten wurde, stellte sich bei näherem Hinsehen als eine von den US-Republikanern lange geplante Provokation heraus. Durch die Aufwertung Tsais hat Trump vorsätzlich die Ein-China-Politik, die Grundlage der Beziehungen zwischen Washington und Peking seit 1979, in Frage gestellt und aus Sicht der Volkschinesen eine "rote Linie" überschritten. Eine Reaktion seitens der Führung in Peking mußte kommen.

Die folgte am 15. Dezember, als die Besatzung eines Motorboots der Volksmarine eine Unterwasserdrohne der US-Marine, die gerade an die Wasseroberfläche im Südchinesischen Meer gekommen war, beschlagnahmte. Der Vorfall ereignete sich rund 50 Seemeilen nordwestlich der philippinischen Subic-Bucht, also in internationalen Gewässern und nicht innerhalb der von China beanspruchten Neun-Strich-Linie. Es kam zu Protesten seitens der USA. Nach mehreren Tagen lauten Säbelrasselns beider Seiten lenkte die Volksrepublik ein und gab am 20. Dezember die U-Drohne an die rechtmäßigen Besitzer zurück.

Die Episode hat erneut die Bedeutung des Südchinesischen Meers als Konfliktfläche für die USA und China unterstrichen, doch gilt es hier vielkolportierte Mißverständnisse aufzuklären. Beim Dauerstreit um das Gewässer geht es nicht in erster Linie darum, daß China die Durchfahrt ausländischer Schiffe blockieren könnte. Den Eindruck bekäme man, fiele man auf die Behauptung Washingtons herein, die Aktivitäten der US-Marine in der Region seien dazu gedacht, dort die Freiheit der Schiffahrt zu garantieren. Kein Land wickelt mehr Handel über das Südchinesische Meer ab als China; also ist es dessen Primärinteresse, daß sich dort die Frachtschiffe aller Nationen ungehindert von A nach B bewegen können. Im Kriegsfall wären es die USA, die mit Hilfe Japans, der Philippinen und vielleicht sogar Taiwans eine Marineblockade der Häfen des chinesischen Festlands anstreben würden.

Und auch die Streitigkeiten zwischen China auf der einen Seite und den Philippinen, Brunei, Indonesien, Malaysia und Vietnam auf der anderen über Seegrenzen, den Umfang ihrer jeweiligen exklusiven Wirtschaftszonen und den Zugang zu den Ressourcen des Südchinesischen Meers lenken vom Wesentlichen ab. Die Volksrepublik baut diverse Riffe und Atolle durch Sandauffschüttung und ähnliche Maßnahmen zu Militärstützpunkten nicht deshalb aus, um sich in erster Linie den Zugang zu den Fischfanggründen oder vermuteten Öl- und Gaslagerstätten zu verschaffen. Hinter den umfangreichen Ausbauarbeiten am Fiery Cross Reef oder am Mischief Reef in der Inselgruppe Spatleys, darunter die Einrichtung von Tiefseehäfen für Marineschiffe sowie Start- und Landebahnen für Militärflugzeuge, steht der Wunsch der Volksrepublik nach Schutz jener U-Boote, die mit nuklearen Interkontinentalraketen bestückt sind und damit die Zweitschlagskapazität Chinas gewährleisten sollen.

Der Heimathafen dieser U-Boote liegt auf der chinesischen Insel Hainan im Nordwesten des Südchinesischen Meers unweit der Grenze zu Vietnam. Im Ernstfall ginge es den chinesischen Militärs darum, daß diese U-Boote so schnell wie möglich die vergleichsweise flachen Gewässer des Südchinesischen Meers, wo sie relativ leicht erfaß- und angreifbar wären, verlassen können, um in die Tiefe der großen Ozeane abzutauchen. Schaut man auf die Karte, sieht man, daß dies nicht so leicht wäre, müßten die chinesischen U-Boote doch Meerengen passieren, die von anderen Staaten kontrolliert werden. Das Streben der US-Marine wiederum wäre es, die strategischen U-Boote Chinas gar nicht erst aus dem Südchinesischen Meer herauszulassen, sondern sie dort aufzuspüren und außer Gefecht zu setzen.

Die U-Drohne, welche die Chinesen jüngst beschlagnahmt hatten, gehört zum Inventar der USNS Bowditch. Die Besatzung des 100 Meter langen Aufklärungsschiffs, das seit Jahren in der Nähe der chinesischen Küste "Forschungsarbeit" betreibt, kommt immer wieder mit Booten der Volksmarine in Konflikt. Im Frühjahr 2001, zu Beginn der ersten Amtszeit von US-Präsident George W. Bush, gerieten die Bowditch und eine chinesische Fregatte im Gelben Meer aneinander. Nur eine Woche später kam es zu dem Zwischenfall, bei dem ein chinesischer Kampfjet abstürzte, dessen Pilot sein Leben verlor, und ein US-Spionageflugzeug zur Landung auf Hainan gezwungen wurde. Im März 2009, zu Beginn der ersten Amtszeit von Barack Obama, kam es zu aufgeregten Telefonaten zwischen Peking und Washington, nachdem chinesische Kriegsschiffe versucht hatten, in den Besitz einer akustischen Sonde zu gelangen, welche die USNS Impeccable, Schwesterschiff der Bowditch, hinter sich herzog.

Im vergangenen März hat US-Verteidigungsminister Ashton Carter im Rahmen der seit mehreren Jahren laufenden Aufstockung von US-Militärkapazitäten im asiatisch-pazifischen Raum - Stichwort "Asia Pivot" - die Entwicklung von "neuen Unterwasserdrohnen in verschiedenen Größen und mit unterschiedlichen Nutzlasten, die in flachen Gewässern operieren können, wo es bemannte U-Boote nicht können" angekündigt. In einem Artikel, der am 17. Dezember beim Londoner Guardian unter der Überschrift "Chinese warship seizes US underwater drone in international waters" erschienen ist, hat Sebastian Brixey-Williams vom British American Security Information Council (BASIC) eine erhellende, wenngleich etwas beunruhigende Erläuterung des jüngsten Vorfalls im Südchinesischen Meer gegeben:

Die Nuklearmächte machen sich zunehmend Sorgen wegen unbemannter Unterwasserfahrzeuge (UUVs oder Unterwasserdrohnen), die ihre mit nuklearen ballistischen Raketen bestückten U-Boote autonom verfolgen können und sie damit der Gefahr der U-Jagd aussetzen. Das ist besonders für China ein Thema, dessen Flotte an mit nuklearen ballistischen Raketen bestückten U-Booten klein und laut ist. Wenngleich die USNS Bowditch ein ozeanographisches Schiff ist und daher harmlos erscheint, macht es die Art von Daten, die es sammelt, mit der Zeit leichter, chinesische U-Boote aufzuspüren.

Vor diesem Hintergrund ist China durch die Beschlagnahmung der amerikanischen U-Drohne eine Reihe von Dingen gelungen. Es hilft den chinesischen Wissenschaftlern, die technischen Fähigkeiten der USA in diesem Bereich besser zu verstehen, und ermöglicht es ihnen eventuell, diese Fähigkeiten rückzuentwickeln, was ihnen kommerzielle und militärische Vorteile einbrächte.

22. Dezember 2016


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