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ASIEN/857: Washington hält am Dauerkrieg in Afghanistan fest (SB)


Washington hält am Dauerkrieg in Afghanistan fest

Trumps Generäle werfen Rußland Unterstützung der Taliban vor


Militärisch sieht die Lage für die USA in Afghanistan, wo Amerikas Soldaten inzwischen den längsten Krieg in der Geschichte ihres Landes ausfechten, desolat aus. Die Taliban und die pro-westliche Regierung des Präsidenten und ehemaligen IWF-Ökonomen Aschraf Ghani kontrollieren jeweils etwa ein Drittel des Landes, während das letzte Drittel von keinen der beiden Seiten beherrscht wird. 2016 haben Armee und Polizei Afghanistans mit 20.000 Mann - davon 6900 Tote - die höchsten Verluste seit der NATO-Invasion im Oktober 2001 zu verzeichnen gehabt. Keine Streitmacht der Erde kann auf Dauer den jährlichen Verlust von zehn Prozent seiner nominellen Mannschaftsstärke - 30.000 der 200.000 Stellen bei Afghanistans Armee und Polizei sollen nur auf dem Papier besetzt sein - verkraften. Darum fordern in den USA die Generäle sowie befreundete Militaristen in Medien und Politik vom neuen US-Präsidenten Donald Trump eine kräftige Aufstockung westlicher Streitkräfte am Hindukusch.

Bereits zu Beginn der eigenen ersten Amtszeit als Oberkommandierender der Streitkräfte im Frühjahr 2009 hatte sich Trumps Vorgänger Barack Obama von den Generälen David Petraeus und General Stanley McChrystal, die von Zeitungen wie die New York Times wegen ihres früheren Einsatzes im Irak als wahrer Kriegsphilosophen gefeiert wurden, entgegen seines eigenen Instinkts zur Entsendung von 30.000 Soldaten nach Afghanistan überreden lassen. Als jedoch die "Surge 2.0" am Widerstand in den Taliban-Hochburgen Helmand und Kandahar kläglich scheiterte, sah sich Obama zum Zurückrudern gezwungen. Die NATO reduzierte ihre Truppenpräsenz auf ein Minimum, während aus der International Stabilisation Force for Afghanistan (ISAF) 2015 die Operation Resolute Support (RS) wurde, mittels derer die afghanischen Sicherheitskräfte soweit aufgebaut werden sollten, daß sie fast alleine, auf dem Schlachtfeld lediglich durch westliche Spezialstreitkräfte und Kampfjets unterstützt, den Kampf gegen die Taliban bestreiten könnten. Die Verlustzahlen von 2016 belegen auch das Scheitern dieses Ansatzes.

2015 und 2016 hat es mehrere Anläufe seitens der westlichen Diplomatie, irgendeine Art von Arrangement mit den Taliban zu finden, gegeben. Vertreter beider Seiten trafen unter der Schirmherrschaft Katars in Doha zu informellen Gesprächen zusammen. Die Chancen für eine Einigung schienen nicht schlecht, hatten doch die Erben von Taliban-Gründer Mullah Muhammed Omar im voraus zugesichert, künftig keine Einwände gegen die Schulbildung von Mädchen zu erheben und mit dafür zu sorgen, daß vom afghanischen Territorium aus künftig keine "Terroranschläge" im Westen ausgehen würden. So weit man es aus der Ferne beurteilen kann, scheiterten die beiden Doha-Runden an der fehlenden Bereitschaft der USA, sich auf die Kernbedingung der Taliban nach Abzug aller fremdländischen Truppen aus Afghanistan einzulassen. Die harte Haltung Washingtons in dieser Frage leitet sich aus der Tatsache ab, daß sich die US-Militärpräsenz am Hindukusch weniger gegen irgendwelche "Terroristen" richtet als vielmehr der Machtprojektion des Pentagons in Richtung des Irans, Pakistans, Chinas und Rußlands dient.

Kaum, daß Trump Ende Januar ins Weiße Haus eingezogen war, da ging es in den USA auch schon mit der Werbekampagne für eine Eskalation des Afghanistankriegs los. Beim Auftritt vor dem Verteidigungsausschuß des Senats Anfang Februar verlangte der oberste US-General in Afghanistan, John Nicholson, "mehrere tausend" Soldaten, um den von ihm beklagten "Stillstand" im Kampf gegen die Taliban zu überwinden, und stieß mit seiner Forderung bei den beiden republikanischen Haudegen John McCain und Lindsey Graham auf große Zustimmung. Eine Woche, nachdem im einem Feuergefecht mit Kämpfern der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) in der Person Mark De Alencars der erste US-Soldat in diesem Jahr in Afghanistan gefallen war, griff Nicholson mit einer der verheerensten Bomben im Arsenal der US-Streitkräfte, die rund 10.000 Tonnen schwere GBU-43/B, auch "Mother Of All Bombs" (MOAB) genannt, ein Höhlensystem in der ostafghanischen Provinz Nangahar an, das als IS-Versteck galt.

Wie der Zufall so will, erfolgte der MOAB-Einsatz, der laut der liberalen Londoner Zeitung Guardian "Schockwellen um die ganze Welt sandte", ausgerechnet am Vorabend einer Friedenskonferenz für Afghanistan in Moskau, an der sich die USA und ihre NATO-Verbündeten teilzunehmen geweigert hatten. Erschienen dafür waren neben den Vertretern des Gastgebers Rußland auch Gesandte aus China, dem Iran, Pakistan und den zentralasiatischen Staaten. In Moskau, Peking, Islamabad und Teheran macht man sich große Sorgen über die zunehmende IS-Präsenz in Afghanistan und die damit einhergehende Gefahr einer Destabilisierung weiterer Staaten Zentralasiens. Deswegen hat man auf der Konferenz Möglichkeiten einer Versöhnung der Taliban mit dem afghanischen Staat und deren Einbindung in die Verwaltungs- und Sicherheitsstrukturen offen erörtert.

Über den Vorstoß der Nachbarländer Afghanistans, den Unruheherd in der eigenen Region zu löschen, ist man in den USA alles andere als erfreut. Ende März unterstellte der NATO-Oberkommandeur, US-General Curtis Scaparrotti, ohne dafür auch nur den geringsten Beweis vorzulegen, Rußland, in letzter Zeit die Taliban zu unterstützen - "vielleicht" sogar mit Kriegsmaterial. Ähnliches, wenn auch in leicht abgeschwächter Form, gab etwa zur selben Zeit der neue US-Verteidigungsminister, General a. D. James "Mad Dog" Mattis, von sich (Moskau hat den Vorwurf weit von sich gewiesen und seinerseits Washington bezichtigt, das eigene Versagen im Krieg gegen die Taliban anderen in die Schuhe schieben zu wollen). Am Rande von Beratungen mit Präsident Ghani in Kabul am 15. und 16. April über das weitere Vorgehen kritisierte Trumps Nationaler Sicherheitsberater, Generalleutnant Herbert McMaster, der bekanntlich ein Schützling von Ex-CIA-Chef Petraeus ist, Pakistan dafür, seine Interessen in Afghanistan mittels "gewalttätiger Stellvertreter" zu verfolgen.

Der Abwurf der monströsen MOAB - eine Waffe, die eigentlich nur gegen arme Länder ohne Luftabwehr verwendet werden kann - und die Bezichtigungen Washingtons gegenüber den Nachbarstaaten Afghanistans wegen deren Einmischung dort zeugen von einer hochbrisanten Hilflosigkeit der USA, die sich bei ihren Kriegsanstrengungen am Hindukusch hoffnungslos verrannt haben und dies nicht einsehen wollen. Genau eine Woche nach dem MOAB-Einsatz, von dem man bis heute nicht weiß, ob und wieviel er IS-Kämpfern das Leben gekostet hat, haben die Taliban an die Trump-Administration eine eigene unmißverständliche Botschaft geschickt. Bei einem Überfall am 21. April von rund 10 Taliban-Kämpfern auf den Stützpunkt des 209. Korps der afghanischen Armee in der nordafghanischen Provinz Balch sind 163 Soldaten getötet worden. Das sind die höchsten Tagesverluste der afghanischen Streitkräfte im Afghanistankrieg überhaupt. Wegen der militärischen Blamage hat Präsident Ghani am 24. April die Rücktrittsgesuche von Verteidigungsminister Abdullah Habibi und Armeestabschef Kadam Schah Schahim mit sofortiger Wirkung angenommen. Am selben Tag traf Pentagonchef Mattis in Kabul zu einem ungeplanten Krisentreffen mit Ghani ein.

Auch Mattis wird trotz seiner großen Kriegserfahrung im Irak keine militärische Lösung für die Probleme in Afghanistan haben. Der blutige Überfall auf den Stützpunkt des 209. Korps ist deshalb für die Taliban so effektiv gewesen, weil diese Hilfe von Sympathisanten bzw. Spionen im afghanischen Militärapparat hatten. Man kann davon ausgehen, daß die meisten Afghanen dem Krieg und der Präsenz der westlichen Truppen am Hindukusch überdrüssig sind. Nach dem MOAB-Abwurf hat Ex-Präsident Hamid Karsai seinen Nachfolger Ghani wegen dessen Zustimmung zu der umstrittenen Operation einen "Verräter" genannt und die USA bezichtigt, Afghanistan als Waffenlabor und seine Menschen als Versuchskaninchen zu gebrauchen. Der weltgewandte Karsai war von 2002 bis 2014 der wichtigste Gesprächspartner der USA und der Staaten der Europäischen Union (EU) in Kabul. Wenn nun sogar der paschtunische Politiker eine Protestbewegung anführen will, um die ausländischen Staaten zum Abzug ihrer Truppen zu zwingen, dann sollten die Verantwortlichen in Washington, Berlin, London und Paris endlich ein Einsehen haben.

24. April 2017


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