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ASIEN/858: Trump bereitet präemptiven Angriff auf Nordkorea vor (SB)


Trump bereitet präemptiven Angriff auf Nordkorea vor

US-Präsident bestellt alle Senatoren zum Krisengespräch ins Weiße Haus


In der Krise um das nordkoreanische Atom- und Raketenprogramm steuern die Verantwortlichen scheinbar unaufhaltsam auf eine militärische Auseinandersetzung ungeheuren Ausmaßes zu. Der frischgebackene US-Präsident Donald Trump, der nach einer Kommando-Operation Ende Januar im Jemen gegen Al Kaida, Raketenangriffen auf einen Stützpunkt der syrischen Luftwaffe Anfang April und eine Woche später dem Einsatz der größten konventionellen Bombe der USA gegen ein Versteck der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) im nordöstlichen Afghanistan zunehmend Gefallen an seiner Rolle als Oberkommandierender der amerikanischen Streitkräfte bzw. "Anführer der freien Welt" findet, hat alle 100 Mitglieder des Senats zu einem Krisentreffen zum Thema Nordkorea am 26. April ins Weiße Haus eingeladen. Die ungewöhnliche Zusammenkunft läßt Befürchtungen bezüglich eines bevorstehenden präemptiven Angriffs der USA sowohl auf die Atomlabors und das nukleare Testgelände Nordkoreas als auch auf die kommunistische Führung in Pjöngjang aufkommen.

Seit Wochen werden Trump, der sich im letztjährigen Wahlkampf gegen Hillary Clinton als Befürworter diplomatischer Lösungen verkaufte und sogar anregte, sich mit dem jungen nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un an einen Tisch zu setzen, um alle bestehenden Probleme beiseite zu räumen, und seine wichtigsten Kabinettsmitglieder, allen voran Vizepräsident Mike Pence und Außenminister Rex Tillerson, nicht müde, Kriegsdrohungen in Richtung Pjöngjang abzufeuern. In einem Interview, das am 2. April bei der Financial Times erschienen ist, sprach sich der New Yorker Immobilienhai mit TV-Promibonus dafür aus, daß China seinen Einfluß auf den nordkoreanischen Verbündeten zur Geltung und Pjöngjang zur Räson bringen solle. Geschehe das nicht, würden die USA das Problem Nordkorea im Alleingang "lösen". Das sei keine leere Drohung; die Zeit des Redens sei vorbei und die des Handelns gekommen, so Trump. Auf die Frage, ob die USA das Problem der nordkoreanischen Atom- und Raketenprogramme tatsächlich allein aus der Welt schaffen könnten, antwortete der stets vor Selbstbewußtsein bzw. Selbstverblendung strotzende Trump: "Absolut!".

Zu diesem Zweck hat das Pentagon den US-Flugzeugträger Vinson samt Begleitflotte, mehrere Lenkwaffenzerstörer, die im Rahmen des Raketenabwehrsystems eine wichtige Rolle spielen, sowie die Atom-U-Boote Columbus und Michigan, die nicht nur mit Marschflugkörpern und ballistischen Raketen bestückt sind, sondern von denen aus auch schwerbewaffnete Spezialstreitkräfte auf die Küste eines jeden Feindeslands abgesetzt werden können, in die Gewässer rund um die koreanische Halbinsel beordert.

Am 7. April berichtete die Nachrichtenredaktion des US-Fernsehsenders NBC, im Pentagon bereite man sich auf die Durchführung dreier Handlungsoptionen vor: erstens die erste Stationierung von amerikanischen Atomwaffen in Südkorea seit 25 Jahren, zweitens einen "Enthauptungsschlag" gegen die nordkoreanische Führung und drittens verdeckte Sabotageoperationen gegen nukleare, militärische und industrielle Ziele in Nordkorea. Das US-Verteidigungsministerium hat den Inhalt des alarmierenden NBC-Berichts nicht dementiert, sondern sich lediglich geweigert, ihn zu kommentieren. Der neue Nationale Sicherheitsberater, US-Generalleutnant Herbert McMaster, soll Trump bereits einen entsprechenden Handlungskatalog vorgelegt haben. Vermutlich wird das brisante Dokument beim Treffen der Senatoren mit dem Präsidenten im Weißen Haus zur Sprache kommen. Beim Interview im US-Fernsehen am 16. April erklärte McMaster, die Lage auf der koreanischen Halbinsel spitze sich zu, eine Fortsetzung der nordkoreanischen Atom- und Raketentests Pjöngjangs sei für Washington nicht mehr hinnehmbar.

Militärs und Politiker der USA behaupten verhindern zu wollen, daß sich Nordkorea in die Lage versetzt, das amerikanische Festland mit atomar bewaffneten Interkontinentalraketen angreifen zu können. Doch davon sind die Nordkoreaner weit entfernt. Mit ihren Kurz- und Mittelstreckenraketen können sie bestenfalls Südkorea und Japan erreichen bzw. bedrohen. Ob sie diese Waffensysteme überhaupt mit Nuklearsprengköpfen ausrüsten können, weiß außerhalb Nordkoreas niemand. Jedenfalls dürfte die Gefahr eines nordkoreanischen Raketenangriffs auf Hawaii, geschweige denn die amerikanische Westküste, erst in einigen Jahren existieren, wenn überhaupt.

Das eigentliche Grundproblem in Ostasien ist die Dauerweigerung der US-Regierung - gleich, ob von Demokraten oder Republikanern gestellt -, den Nordkoreanern auf Augenhöhe zu begegnen und mit den Vertretern Pjöngjangs einen Friedensvertrag zu schließen, der den seit 1953 lediglich im Waffenstillstand befindlichen Koreakrieg ein für allemal beenden würde. Als sich Pjöngjang 2005 in Peking im Rahmen der sogenannten Sechser-Gespräche - das heißt unter Teilnahme von Regierungsvertretern aus Nord- und Südkorea, China, Japan, Rußland und den USA - zur vollständigen und nachweisbaren Einstellung seines Atomprogramms bereiterklärte, hat das Finanzministerium in Washington die gerade erzielte Abmachung durch die Verhängung von Sanktionen gegen die Banco Delta Asia im chinesischen Makau, über die die Nordkoreaner den größten Teil ihres Außenhandels abwickelten, torpediert. Bei der späteren Untersuchung der Begründung der Aktion konnte das renommierte Wirtschaftsprüfunternehmen Ernst & Young für den Vorwurf, Nordkorea würde über die Banco Delta Asia gefälschte Dollarnoten in Umlauf bringen, keinerlei Beweise finden.

2016 hat Nordkorea nach seinem vierten erfolgreichen Atomtest und dem ersten erfolgreichen Start einer U-Boot-gestützten ballistischen Rakete der Regierung von US-Präsident Barack Obama das Angebot unterbreitet, Pjöngjang verzichte auf weitere Atomtests, wenn im Gegenzug die USA und Südkorea keine großangelegten gemeinsamen Militärmanöver mehr abhielten. Nordkorea hat zwischen 1950 und 1953 Millionen von Menschen verloren. Das Trauma des damaligen Gemetzels, als die USA auf das bitterarme Land mehr Bomben abwarfen als im gesamten Zweiten Weltkrieg, wirkt dort heute noch nach. Auch die Art, wie die USA mißliebige "Regime" im Irak 2003 und Libyen 2011, die über keine Atomwaffen verfügten, gewaltsam stürzten, läßt das Streben Pjöngjangs nach einer effektiven Abschreckung rational erscheinen.

Doch dazu, die Gemengelage vielleicht aus den Augen des Gegners zu betrachten, ist die politische und militärische Elite in Washington nicht bereit. Allein die Tatsache, daß die Nordkoreaner auf das souveräne Recht ihres Landes auf Selbstverteidigung beharren - weswegen Pjöngjang 2003 unter Verweis auf die ständigen Drohungen der USA vom Nicht-Verbreitungsvertrag zurückgetreten ist - stellt für die wirtschaftlich schwächelnde Supermacht USA den Anlaß dar, eine Demonstration militärischer Stärke vorzunehmen. Auch politisch hat Trump den Mund dermaßen voll genommen, daß er von einer Strafaktion gegen Nordkorea kaum noch absehen kann, solange Pjöngjang nicht klein beigibt.

Aufgrund der enormen Drohkulisse, die Washington in den letzten Monaten aufgebaut hat - nicht zuletzt beim Treffen des chinesischen Präsidenten Xi Jingping mit Trump auf dessen Golfanlage Mar-a-Lago in Florida Anfang April, sieht es nicht danach aus, als würde Peking Pjöngjang zur Hilfe kommen, sollten demnächst die USA in Nordkorea militärisch aktiv werden. Am 22. April ist bei der Global Times, der wichtigsten Zeitung der Kommunistischen Partei Chinas, ein Leitartikel erschienen, in dem es wörtlich hieß: "Sollte Pjöngjang das unerschütterliche Betreiben seines Atomprogramms fortsetzen und in der Folge Washington einen militärischen Angriff auf Nordkoreas Atomanlagen starten, dann soll Peking seine Ablehnung des Vorgehens über diplomatische Kanäle zum Ausdruck bringen, statt sich militärisch in die Angelegenheit verwickeln zu lassen."

Die Annahme, solange die Volksrepublik China tatenlos zusehe und sich die USA mit einem "chirurgischen" Eingriff begnügten, würde alles glattgehen, könnte sich bald als Trugschluß erweisen. Für den Fall einer amerikanischen Überfallaktion haben die Nordkoreaner mit drastischen Gegenmaßnahmen gedroht. Auch das Wunschszenario des Pentagons, nach einem Enthauptungsschlag gegen Kim Jong-un und dessen Getreue würden sich die nordkoreanischen Militärs einfach ergeben, dürfte kaum in Erfüllung gehen. Nordkorea-Kenner wie der langjährige US-Kriegskorrespondent Eric Margolis warnen bereits vor dem Artilleriefeuer und den Raketenangriffen, mit denen die nordkoreanischen Streitkräfte nicht nur die Millionenmetropolen Seoul und Tokio, sondern auch weitere südkoreanische und japanische Städte in Schutt und Asche legen würden. Sobald die ersten Schüsse am 38. Breitengrad fallen, wird eine Gewaltspirale in Gang gesetzt, die im schlimmsten Fall in einen Atomkrieg unter Beteiligung der USA, Chinas und Rußlands ausarten könnte. Ob es dann überhaupt noch jemanden gibt, den die Rechtfertigungen des Senators und Hurrahpatrioten John McCain für das ganze Desaster interessiert, ist fraglich.

25. April 2017


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