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ASIEN/887: Kabul - Ruf des Gelds ... (SB)


Kabul - Ruf des Gelds ...


Besteht die Aussicht auf eine Beilegung des Kriegs in Afghanistan, der inzwischen mehr als 16 Jahre andauert? Diese Frage stellen sich viele Beobachter, nachdem am 28. Februar Afghanistans Präsident Ashraf Ghani die Taliban zur Teilnahme an Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen aufgefordert hat. Die ungewöhnliche Einladung an die "afghanischen Brüder", die Ghani normalerweise als "Terroristen" beschimpft, erfolgte auf einer Runde des sogenannten "Kabuler Friedensprozesses" in der afghanischen Hauptstadt, an dem 25 Staaten beteiligt sind. Seit Anfang Februar hatten die Taliban ihrerseits zweimal offiziell die Bereitschaft verlautbaren lassen, sich an der Suche nach einer "friedlichen Beilegung" des Konfliktes beteiligen zu wollen.

Bekanntlich geht für die Taliban die Beendigung des Afghanistankrieges zwangsläufig mit dem Abzug aller ausländischen Truppen einher. Doch damit haben die USA, die mit 14.000 Mann am Hindukusch den größten Truppensteller bilden, ein Riesenproblem. Die Kernforderung der Taliban und die strategischen Ziele Washingtons in Zentralasien stehen sich bislang diametral gegenüber. Auf die jüngste Kritik Moskaus, die Regierung Donald Trumps verschließe sich den Friedensbemühungen der Nachbarstaaten Afghanistans, reagierte man im Pentagon unwirsch. Bei einem Auftritt vor dem Verteidigungsausschuß des Kongresses am 27. Februar erklärte der für die US-Streitkräfte im Nahen Osten und Zentralasien zuständige CENTCOM-Oberbefehlshaber General Joseph Votel, Rußland versuche die US-Militärpräsenz im Irak und in Afghanistan zu begrenzen und "Reibereien" zwischen Washington und dessen NATO-Partnern zu erzeugen.

Nichtsdestotrotz sind hinter den Kulissen bereits Vorgespräche am Laufen. Zwar hat Trump nach den verheerenden Anschlägen in Kabul im Januar - zum einen ein bewaffneter Überfall auf das Hotel Intercontinental, zum anderen die Explosion eines mit Sprengstoff gefüllten Krankenwagens an einem Straßenkontrollpunkt nahe dem afghanischen Innenministerium - Verhandlungen mit den Taliban eine Absage erteilt, doch offenbar sind inoffizielle Kontakte bereits aufgenommen worden. Dies deutete Kay Bailey Hutchinson, die US-Botschafterin bei der NATO, verklausuliert an, als sie sich in einem am 25. Februar erschienenen Artikel in der New York Times in bezug auf die Möglichkeit eines afghanischen Friedensprozesses wie folgt äußerte: "Es müssen im Vorfeld bestimmte Punkte vereinbart werden, die offen zu diskutieren sich beide Seiten bereit erklären. Glauben Sie nicht, daß nichts im Gange wäre. In der Anfangsphase der Anfangsphase eines solchen Prozesses ist vieles im Gange."

Interessanterweise wurde am 24. Februar in Afghanistan mit einer feierlichen Zeremonie unter Anwesenheit von Präsident Ghani der Baubeginn des seit Jahrzehnten geplanten, mehr als 18.000 Kilometer langen TAPI-Pipeline aufgenommen, die Erdgas von Turkmenistan über Afghanistan und Pakistan nach Indien befördern soll. Durch die TAPI-Pipeline sollen ab 2020 jährlich 33 Milliarden Kubikmeter Erdgas - in etwa der Jahresbedarf der Niederlande - nach Indien gefördert werden. Die Investitionskosten des ehrgeizigen Projekts werden auf 22,5 Milliarden Dollar geschätzt. Nach der Fertigstellung der Gaspipeline sollen entlang derselben Strecke eventuell eine Eisenbahnlinie und eine Glasfaserkabelverbindung gelegt werden. Allein in Afghanistan sollen aus dem Gastransport jährlich Transitgebühren in Höhe von 400 Millionen Dollar anfallen.

Die Trasse der TAPI-Pipeline führt durch fünf afghanische Provinzen, Herat, Farah, Nimruz, Helmand und Kandahar, in der die Taliban-Präsenz zum Teil sehr stark ist. Kandahar, wo einst das Wort von Taliban-Gründer Mullah Mohammed Omar Gesetz war, ist die Geburtstätte der Bewegung, Helmand ihre zweitwichtigste Hochburg. Ohne Zustimmung oder zumindest Duldung der Taliban sind Bau und Inbetriebnahme der TAPI-Pipeline aussichtslos. Da dürfen die Projektbeteiligten laut ausgeatmet haben, als am Tag des Baubeginns Taliban-Sprecher Zabihullah Mudschahid folgende Erklärung herausgab: "Unsere Position ist eindeutig. Wir sind nicht gegen das TAPI-Projekt, sondern unterstützen es. Zudem sind wir bereit, für die Sicherheit des Projekts zu sorgen, sobald dies erforderlich ist."

Es stehen einigen Mitgliedern der Taliban also gut bezahlte Arbeitsstellen im Rahmen einer Beilegung des Afghanistankrieges in Aussicht. Die besser gebildeten Mitglieder der Organisation können als Vertreter eines konservativen Islams in die Politik treten, während sich die Kämpfertypen in Militärdienstleister mit besonderen Regionalkenntnissen verwandeln könnten. Auch Pakistan, das seit Januar durch drastische Finanzmittelkürzungen der USA dazu animiert wird, die Taliban unter Druck in Richtung Kompromiß zu bewegen, hat ebenfalls starkes Interesse an einem Frieden im Grenzgebiet zu Afghanistan sowie zur Realisierung der TAPI-Pipeline.

In einem Artikel, der am 28. Februar bei der Wirtschaftsnachrichenagentur Bloomberg erschienen ist, hat sich Afghanistans früherer Präsident Hamid Karsai für ein größeres Engagement Rußlands im afghanischen Friedensprozeß ausgesprochen. Moskau setzt sich in letzter Zeit für Verhandlungen mit den Taliban deshalb besonders ein, weil es in der Fortsetzung des Kriegs die große Gefahr sieht, daß die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) erstarkt und über Afghanistan hinaus in die ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens hineinwirkt. Nur wenn sich die USA mit den Taliban verständigen, kann ein solches Alptraumszenario vermieden werden. Aber möglicherweise ist die Destabilisierung der armen Nachbarstaaten Rußlands und der Volksrepublik Chinas durch den IS gerade das, was die Funktionselite in Washington und die Generäle im Pentagon beabsichtigen.

2. März 2018


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