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EUROTREFF/002: EU-Kommission mischt in irischer Lissabon-Debatte mit (SB)


EU-Kommission mischt in irischer Lissabon-Debatte mit

Denkwürdiger Auftakt einer EU-Infokampagne in Dún Laoghaire


Kaum hatte der irische Premierminister Brian Cowen am 8. Juli den Termin der zweiten Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag, den 2. Oktober, offiziell bekanntgegeben, da vermeldeten die Medien auf der grünen Insel die Gründung diverser "unabhängiger" Gruppierungen, die dem Abkommen von Lissabon diesmal doch noch zum Sieg verhelfen wollen. Dazu gehören unter anderem "We Belong", "Generation Yes", "Ireland for Europe", "Women for Europe" und "Lawyers for Europe", die jeweils irgendwelche Promis als Aushängeschilder vorweisen. Die Befürworter des EU-Reformvertrages sehen in ihrer Aktivität den selbstlosen, patriotischen Einsatz der "zivilen Gesellschaft", um der hilflosen, unter Korruptionsverdacht stehenden politischen Elite im Dubliner Parlament unter die Arme zu greifen und das dumme Volk davor zu bewahren, erneut mehrheitlich mit Nein zu stimmen und Irland in die vermeintliche Isolation zu stürzen. Skeptiker dagegen würden meinen, die sich kosmopolitisch gebende, aber stets zutiefst provinzielldenkende Oberschicht Irlands, die bekanntlich überproportional von den fetten Jahren des "Keltischen Tigers" profitiert haben, wollte vor dem Hintergrund der internationalen Wirtschaftskrise ihre Pfründe vom europäischen Superstaat gesichert haben, selbst wenn dies die Absage an alle Ziele wie nationale Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit bedeutet, denen durch die Generationen Irlands Freiheitskämpfer ihr Leben gewidmet haben.

Rathaus Dún Laoghaire

Rathaus Dún Laoghaire

Am Abend des 27. Juli hat die Europäische Kommission in das Rathaus des Küstenstädtchens Dún Laoghaire, eines der wohlhabendsten Viertel der irischen Hauptstadt am südlichen Rande der Dubliner Bucht, zu einer öffentlichen Diskussion eingeladen, die den Auftakt einer Infokampagne namens "Talk to EU" darstellt. Nach offiziellen Angaben soll die Kampagne der EU-Kommission Gelegenheit geben, das fehlende Vertrauen seitens der irischen Bürger, das das letztjährige Votum offenbart hatte, wiederherzustellen. Gleichzeitig beteuert man, daß Brüssels Umwerben der einfachen irischen Bürger gar nichts mit der erneuten Volksabstimmung Anfang Oktober zu tun habe und verweist darauf, daß die Infokampagne bis ins neue Jahr dauern soll. Doch wer das glaubt, wird selig. Auf die nächsten Wochen dürfte es aus Sicht der Kampagnenbetreiber ankommen. Was nach dem 2. Oktober passiert, ist eigentlich egal. Die Verlängerung der Kampagne über dieses Datum hinaus dient lediglich als Alibi-Funktion, um die Kommission vor dem Vorwurf zu schützen, sie mische sich in die öffentliche Debatte Irlands ein, in der sie eigentlich nichts zu suchen habe.

Eher zufällig und zwar durch den Hinweis eines Bekannten erfuhr ein Schattenblick-Redakteur, der sich zu diesem Zeitpunkt in Irland aufhielt, vom ersten EU-Diskussionsabend in der Town Hall von Dún Laoghaire und ging hin. Von Notizen in der Zeitung oder Ankündigungen im Rundfunk war keine Spur. Besucht man die Website talktoeu.ie, so bekommt man den Eindruck, daß die Organisatoren der Infokampagne ganz auf Nachrichtenverbreitung über neue Medien wie Twitter, Facebook, Flickr, YouTube, Bebo und Dipity setzen und auf traditionelle Wege über Zeitungsannoncen, Flyer oder Plakate verzichten (Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang ist die auf jugendlichen Geschmack getrimmte Videobotschaft "What's this European Union thingy doing for you?", die derzeit in irischen Kinos läuft und auf die selbstgestellte Frage in erster Linie die Reisefreiheit, die Währungsunion und die von Brüssel vor wenigen Wochen gegen den Willen der großen Telekomunternehmen durchgedrückte Verringerung der bis dahin skandalös teueren Roaming-Gebühren für Mobiltelefone als Antwort liefert).

Möglicherweise war es ein überoptimistischer Glauben an die Wirksamkeit der neuen "sozialen Netzwerke" - siehe Barack Obamas erfolgreiche Präsidentschaftskampagne 2008 in den USA oder die noch nicht geglückte "grüne Revolution" in Teheran vor wenigen Wochen -, der zur Folge hatte, daß die Veranstaltung nicht besonders viele Leute anlockte. Zwar hatte man rund 100 Stühle für die Besucher aufgestellt, aber es kamen lediglich zwei Dutzend Personen - und das ungeachtet der Tatsache, daß Dún Laoghaire-Rathdown im letzten Jahr zu einem der wenigen Wahlbezirke in ganz Irland gehörte, in dem die Lissabon-Befürworter mehrheitlich zur Urne gingen. Peinlich für die Veranstalter dürfte auch gewesen sein, daß die allermeisten Diskussionsteilnehmer ausgesprochene Kritiker des EU-Reformvertrages waren, darunter vier Führungspersonen der Nein-zur-Lissabon-Kampagne, Roger Cole von der Peace And Neutrality Alliance (PANA), Raymond Deane von der People's Movement, Michael Youlton von der Irish Anti-War Movement (IAWM) und Richard Boyd Barrett von der People Before Profit Alliance. Letzterer war bei den landesweiten Kommunalwahlen einen Monat zuvor als Kandidat der anti-kapitalistischen PBPA zum Stadtrat im Verwaltungsbezirk Dún Laoghaire-Rathdown gewählt worden.

EU-Infotour stößt auf wenig Interesse

EU-Infotour stößt auf wenig Interesse

Auf der Ja-zu-Lissabon-Seite taten sich lediglich Eugene Regan, Senator der derzeit in der Opposition befindlichen, nationalkonservativen Partei Fine Gael, und Mary Mitchell O'Connor, eine Fine-Gael-Stadträtin in Dún Laoghaire-Rathdown, hervor. Regan, der früher selbst Stadtratsvorsitzender in Dún Laoghaire-Rathdown war und hauptberuflich Anwalt ist, hat in den achtziger Jahren als Lobbyist des irischen Bauernverbandes und Mitarbeiter der EU-Kommission wichtige Erfahrungen in Brüssel gesammelt. Sie dürften wohl überwiegend positiv gewesen sein, denn der politische Zögling des ehemaligen EU-Kommissars, GATT-Vorsitzenden und heutigen Chefs des Ölmultis BP, Peter Sutherland, bezeichnet sich selbst als "begeisterter Pro-Europäer".

Angesichts der Zusammensetzung des Publikums ging der Informationsaustauschaspekt des Abends praktisch unter. Statt dessen artete die Diskussion gleich von Beginn an in einen Grabenkampf zwischen Lissabon-Gegnern und -Befürwortern aus, wobei sich die beiden Moderatoren Eddie McVeigh von der Dubliner Vertretung der EU-Kommission und Peter Brennan, dessen Beraterfirma EPS Consulting den Auftrag zur Durchführung der Infokampagne erhalten hat, als keine neutralen Schiedsrichter erwiesen, sondern stets bemüht waren, Brüssel vor Kritik zu schützen und die Vorzüge der Europäischen Union zu lobpreisen. Brennan, der dem irischen Arbeitgeberverband IBEC nahesteht, ließ es sich an einer Stelle sogar nicht nehmen, vor den seines Erachtens negativen Folgen eines erneuten Neins Irlands zum EU-Reformvertrag eindringlich zu warnen.

Der demonstrative Versuch der Moderation, Mißverständnisse und "Vorurteile" hinsichtlich der EU abzubauen, hatte auch seine komischen Seiten. Als Roger Cole unter anderem mit Verweis auf die im Lissabon-Vertrag vorgeschriebene Aufstockung der Verteidigungsausgaben aller Mitgliedsstaaten Kritik an der Militarisierung der EU übte, tat Eddie McVeigh dies als "Panikmache" ab. Dafür reklamierte McVeigh für die EU, Europa seit 1945 vor Krieg bewahrt zu haben. Auf den Einwand eines Diskussionsteilnehmers, die EU habe 1992 durch die überstürzte Anerkennung Kroatiens und Sloweniens nicht unwesentlich zum Blutbad in Jugoslawien beigetragen, wich McVeigh auf 1989 und das Ende des Kalten Krieges aus, um zu behaupten, die Strahlkraft der EU habe die Beendigung von Diktatur und die Ausbreitung von Demokratie in Europa bewirkt. Dafür mußte er seitens Michael Youltons einige Kritik anhören, der an die unsägliche Rolle Großbritanniens erinnerte, dessen Unterstützung für die griechischen Putschisten 1967 und deren Einmarsch in Zypern 1974 unter anderem dazu geführt habe, daß die Mittelmeerinsel bis heute - trotz formeller EU-Mitgliedschaft - durch die türkische Besetzung des Nordostens geteilt ist.

Eddie McVeigh und Peter Brennan werben für die EU - und auch für den Lissabon-Vertrag?

Eddie McVeigh und Peter Brennan werben für die EU - und auch für den Lissabon-Vertrag?

Insgesamt waren die EU-Kritiker an diesem Abend nicht nur in der Überzahl, sondern hatten auch die besseren Argumente. Sie stellten zum Beispiel Fragen, auf die die Moderatoren keine Antworten hatten, und erwiesen sich als diejenigen, die sich im Vertragstext von Lissabon am besten auskannten. Argumentativ war ihnen nur Eugene Regan, der eine gelassene Haltung an den Tag legte und auch die Verbesserungswürdigkeit einiger EU-Aspekte bereitwillig einräumte, halbwegs ebenbürtig. Dafür spielte sich Mary Mitchell O'Connor, die Mutter zweier Söhne und hauptberuflich Schuldirektorin ist, als einzige Person im Raum auf, die das Wohl der irischen Jugend im Sinne habe. Alle müßten im Oktober für Lissabon stimmen, sonst würden die ausländischen Investitionen in Irland versiegen und die gutbezahlten Arbeitsplätze ausgelagert werden, so die hysterischen Ausführungen des ehemaligen Mitglieds der bei den letzten Parlamentswahlen 2007 in die politische Bedeutungslosigkeit abgestürzten Progressive Demokrats, die lange Zeit als Irlands neoliberale Hoffnungsträger galten.

Eine Unterbrechung im ungleichen Schlagabtausch zwischen Lissabon-Gegnern auf der einen und Moderation und Lissabon-Befürwortern auf der anderen Seite, gab es nur, als eine Frau im Rollstuhl die positive Auswirkung der Anti-Diskriminierungspolitik der EU hervorhob, die Dublin praktisch dazu gezwungen habe, Maßnahmen zur Erleichterung des Alltagslebens von Behinderten zu ergreifen, um die sich Irlands Politiker eventuell niemals gekümmert hätten. Dieser Einwurf stieß auf einhellige Zustimmung, wobei die Lissabon-Gegner erneut unterstrichen, daß ihre Kritik an der EU als Einsatz für ein sozialgerechteres Europa zu verstehen sei. Wenn man bedenkt, daß ohne die Lissabon-Kritiker der Diskussionsabend fast ins Wasser gefallen wäre, so muß man ihnen attestieren, daß sie tatsächlich die engagiertesten Bürger der Europäischen Union sind.

Roger Cole, Richard Boyd Barrett und Michael Youlton nach der erfolgreichen Auseinandersetzung mit den Verfechtern eines europäischen Superstaates

Roger Cole, Richard Boyd Barrett und Michael Youlton nach der
erfolgreichen Auseinandersetzung mit den Verfechtern eines
europäischen Superstaates

14. August 2009