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HISTORIE/300: Geheimer Atomvertrag der USA mit Japan enthüllt (SB)


Geheimer Atomvertrag der USA mit Japan enthüllt

Bündnis mit den USA widerspricht den wichtigsten Prinzipien Japans


Seit Jahrzehnten wird die Existenz eines geheimen Abkommens zwischen Washington und Tokio vermutet, das den Streitkräften der USA erlaubt, Atomwaffen auf dem Staatsterritorium Japans bei sich zu haben oder darüber per Flugzeug bzw. dadurch mit Schiff oder Lastwagen zu transportieren. Schließlich ist Japan seit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg Satellitenstaat Amerikas und dient genauso wie Südkorea den USA als vorgelagerter Brückenkopf am nordöstlichen Ufer der eurasischen Landmasse gegenüber Rußland (früher der Sowjetunion) und der Volksrepublik China. Von 1950 bis 1953 lieferten die drei asiatisch-pazifischen Großmächte auf der koreanischen Halbinsel einen grausamen und für alle Seiten verlustreichen Krieg, bei dem es bekanntlich fast zum Atomwaffeneinsatz gekommen ist und der sich bis heute lediglich im Zustand eines angespannten Waffenstillstands ruht.

Traditionell steht Japan sowohl Rußland als auch China feindlich gegenüber. 1945 zwangen die USA die Japaner zu einem radikalen Bruch mit ihrer militaristischen Vergangenheit. Das Land der aufsteigenden Sonne erhielt eine pazifistische Verfassung, die Tokio künftig die Aufnahme von oder die Teilnahme an irgendwelchen Militärabenteuern im Ausland verbat. Aus der einst riesigen kaiserlichen Armee wurden die viel kleineren Selbstverteidigungskräfte (Self-Defense Forces - SDF), die eigentlich nur im Falle eines feindlichen Angriffs auf Japan in Aktion treten sollen. Dafür erhielt Tokio aus Washington eine Sicherheitsgarantie in Form eines entsprechenden, bilateralen Abkommens.

Als Verlierernation des Zweiten Weltkrieges und als erstes und bisher einziges Land, gegen die - in Hiroshima und Nagasaki - Atombomben eingesetzt wurde, hat sich Japan gegenüber den unmittelbaren Nachbarstaaten und der restlichen Welt verpflichtet, niemals Nuklearwaffen zu bauen, einzusetzen oder ihr Aufenthalt auf seinem Staatsterritorium zu gestatten. Während des Kalten Krieges gab es Vermutungen, daß es sich Tokio aus Rücksicht auf den Verbündeten USA vor allem mit dem letzteren der drei Verpflichtungen nicht so ernst nahm. Wie man dank der Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre im Weißen Haus aufgenommenen Gesprächsmitschnitte weiß, haben während des Vietnamkrieges der damalige US-Präsident Richard Nixon und sein Nationaler Sicherheitsberater Henry Kissinger bei ihren Beratungen im Oval Office immer wieder mit der Idee eine Atomwaffeneinsatzes gegen das kommunistische Nordvietnam gespielt. Hätte es den entsprechenden Befehl aus Washington gegeben, hätte man sich die dafür erforderlichen Atombomben nicht erst von dem auf der anderen Seite des Pazifik liegenden amerikanischen Festland zu kommen lassen, sondern aller Wahrscheinlichkeit welche benutzt, die sich Basen in der unmittelbaren Region befanden. Man kann davon ausgehen, daß Japan erstens wegen der engen Allianz mit den USA und zweitens wegen seiner hervorragenden Infrastruktur als führende Industrienation viele eher als die ebenfalls mit Washington verbündeten Drittweltstaaten die Philippinen, Indonesien und Thailand als Stationierungsort solch hochgefährlicher Objekte in Frage gekommen wäre.

Nach dem Ende des Kalten Krieges sind in den neunziger Jahren in den USA einige einst strenggeheime Dokumente freigegeben worden, die Bestätigung für die Richtigkeit des hartnäckigen Verdachts, daß sich das Pentagon sehr wohl über das Versprechen der Japaner, ihr Staatsterritorium stets atomwaffenfrei zu halten, hinweggesetzt hatte. Diese Enthüllungen haben Japans Politiker und Militärs so gut wie möglich ignoriert und so getan, als sei das ganze eine interne Angelegenheit der Amerikaner. Doch seit Ende Mai hat nun die japanische Nachrichtenagentur Kyodo News einige Details der Praxis freigelegt und herausgefunden, daß von Anbeginn Teile der Politelite Tokios darin verwickelt waren. So berichtete am 22. Juni die Japan Times unter Verweis auf Kyodo News, daß Anfang der siebziger Jahre die Regierung in Tokio es absichtlich versäumt hat, die Seegrenze des eigenen Staatsterritoriums in einer Reihe von Straßen, welche zwischen mehreren japanischen Inseln verlaufen und die See von Japan vom Pazifischen Ozean trennen, von 3 auf 12 Seemeilen auszuweiten, weil man wußte, daß atomarbewaffnete Kriegsschiffe und U-Boote der USA diese Wasserwege regelmäßig benutzen.

Als Quelle der Informationen, welche in Japan für Furore gesorgt haben, nannte Kyodo News vier frühere ranghohe Beamte aus dem japanischen Außenministerium, die anonym bleiben wollten. Dies hat sich inzwischen geändert. Für einen Artikel, der am 30. Juni bei der Japan Times erschienen ist, hat sich der ehemalige Stellvertretende Außenminister Ryohei Murata seine Anonymität aufgegeben und sich dazu bekannt, eine der Informanten der Kyodo News zu sein. Nach Angaben des inzwischen 79jährigen Murata existiert das Geheimabkommen zwischen den USA und Japan über die Handhabung von Atomwaffen seit 1960. Nur wenige Personen in der Tokioter Regierung wußten offenbar, daß es den Vertrag gab. Hauptinformationsträger und -geheimnisbewahrer war der Stellvertretende Außenminister, der in der Regel ein Beamter und kein Parteipolitiker war. Nach einem Regierungsswechsel oder einer Neubesetzung des Posten des japanischen Außenministers hat dessen Stellvertreter die "geheime Pflicht" ihm gleich am ersten Arbeitstag über die Existenz des Abkommens in Kenntnis zu setzen. Ob dieser anschließend dem eigenen Regierungschef informierte oder nicht, blieb dem jeweiligen Chefdiplomat Tokios überlassen.

Murata, der von 1987 bis 1987 den Außenministern Tadashi Kuranari and Sosuke Uno als Stellvertreter diente, wurde im Bericht der Japan Times wie folgt zitiert: "Als ich Stellvertretender Minister wurde, hörte ich von meinem Vorgänger, daß eine (nicht öffentliche) Übereinkunft zwischen Japan und den USA in Bezug auf Atomwaffen existierte, was ich wiederum später dem nächsten Stellvertretenden Minister wissen ließ. ... Es war ein großes Geheimnis. Die japanische Regierung hat sein Volk belogen".

Derzeit versucht die Regierung von Premierminister Taro Aso die Enthüllungen der Kyodo News über das geheime Atomwaffenabkommen zwischen Japan und USA als Geschichte aus Tausendundeinenacht abzutun. Mit dieser Haltung macht sie sich jedoch völlig unglaubwürdig. Unter den Mitgliedern des außenpolitischen Ausschusses der japanischen Unterhauses erwägt man, Anhörungen abzuhalten, bei welcher Gelegenheit man Murata und die anderen ehemaligen Vizeaußenminister vernehmen und die ganze Sache auf den Grund gehen kann. Für den Fall, daß es dazu kommt, hat sich Murata bereit erklärt, sein Wissen über dieses dunkle Aspekt des amerikanisch-japanischen Militärbündnisses auszupacken.

2. Juli 2009