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HISTORIE/307: Neue Enthüllungen demontieren das Ansehen Blairs (SB)


Neue Enthüllungen demontieren das Ansehen Blairs

Einstiger Star des britischen Polithimmels befindet sich im Absturz


Zwei Monate vor der mit Spannung erwarteten Veröffentlichung von Tony Blairs Memoiren, für deren Rechte der US-Verlag Random House im voraus sechs Millionen Euro bezahlen mußte, ist eine kleine, aber symbolträchtige Änderung des Titels vorgenommen worden. Wie die britische Tageszeitung Guardian am 13. Juli berichtete, soll das Buch nicht, wie ursprünglich geplant, als "The Journey", sondern als "A Journey" erscheinen. Hinter der kleinen, aber feinen redaktionellen Entscheidung in Bezug auf Blairs "Reise" gegen den bestimmten Artikel zugunsten des unbestimmten steckt laut dem Guardian-Reporter Robert Booth der Wunsch, den ehemaligen britischen Premierminister "weniger messianisch" bzw. "weniger aufgeblasen" erscheinen zu lassen.

Für den Mann, der dreimal die britische Labour-Partei zum Sieg bei den Parlamentswahlen führte und zehn Jahre lang von der Number 10 Downing Street die Geschicke Großbritanniens leitete, dürfte der Entschluß seines Verlegers schmerzhaft gewesen sein. Denn gerade das Messianische, mit voller Inbrunst und Überzeugung unpopuläre Maßnahmen zu verkünden und durchzuziehen, zeichnete Blair stets aus. Unvergessen bleibt zum Beispiel der Aufruf, den er auf dem Labour-Parteitag Anfang Oktober 2001 und damit wenige Wochen nach den Flugzeuganschlägen in den USA an alle guten Menschen richtete, "die Welt neu zu ordnen". In seiner heutigen Position als Sonderbeauftragter des Nahostquartetts ist der katholische Konvertit wahrscheinlich der einzige Mensch, der überhaupt noch an den sogenannten "Friedensprozeß" zwischen Israelis und Palästinensern glaubt.

Ohnehin tragen dieser Tage neue Enthüllungen aus der Blair-Ära in Großbritannien zur Demontage des Ansehens des einstigen politischen Wunderkinds bei. Seit mehreren Tagen werden die Memoiren von Peter Mandelson in der Times of London auszugsweise veröffentlicht. Der Titel der Erinnerungen Mandelsons, die von Harper Collins verlegt werden, lautet "The Third Man". Die Bezeichnung erinnert zwar an den gleichnamigen Film Carol Reeds über Schiebereien in den Wirren des Nachkriegswiens mit Orson Welles als Schurken Harry Lime, verweist jedoch hauptsächlich auf die Mitgliedschaft Mandelsons in jenem spannungsgeladenen Triumvirat mit Blair und Gordon Brown, das die britische Sozialdemokratie "erneuerte" und sie für 13 Jahre an die Macht brachte.

Mandelson, der zweimal aus dem Blair-Kabinett unter dem Verdacht der unerlaubten Vorteilsnahme im Amt ausscheiden mußte und später EU-Kommissar und sogar engster Berater von Brown wurde, als dieser 2007 nach zehn Jahren als Finanzminister von Blair den Posten als Regierungschef übernahm, packt in seinen Memoiren vieles über das Innenleben von "New Labour" aus. Er liefert neue, zum Teil peinliche Details der pathologischen Rivalität, die stets zwischen Blair und Brown herrschte und unter der die Arbeit ihrer gemeinsamen Regierung schwer gelitten hat. Blairs Ansehen sind jedoch die Ausführungen des Meisterintriganten Mandelson in Bezug auf die Teilnahme Großbritanniens an der Irakinvasion der Vereinigten Staaten von Amerika unter ihrem damaligen Präsidenten George W. Bush weitaus abträglicher.

Nach Angaben von Mandelson hat die Entscheidung zur Teilnahme am drohenden Irakkrieg Amerikas Blair einen "Tunnelblick" beschert. Für Kritik oder Zweifel an dem von ihm eingeschlagenen Kurs war Blair nicht mehr empfänglich. Als Mandelson im Herbst 2002 mit seinem langjährigen Kollegen und politischen Mitstreiter über das Thema reden wollte und Bedenken wegen der Kriegsvorbereitungen der Amerikaner äußerte, soll Blair ungehalten reagiert und seinem früheren Berater vorgeworfen haben, zu den radikalen Friedensaktivisten um den Labour-Abgeordneten und Kriegsgegner George Galloway übergelaufen zu sein. Im Frühjahr 2003, als die Invasion unmittelbar bevorstand, will Mandelson Blair gefragt haben, ob er die Sache zu Ende gedacht habe. Saddam zu stürzen sei die eine Sache, aber dann wäre man als Besatzungsmacht für den Irak verantwortlich; wie sollte für die Sicherheit der Iraker gesorgt werden und wer sollte das Land verwalten? Darauf hatte Blair keine Antwort außer dem Hinweis: "Dafür sind die Amerikaner verantwortlich. Es liegt bei den Amerikanern." Stimmen die Angaben Mandelsons, dann geht ein Großteil des Chaos, das nachher im britischen Zuständigkeitsbereich, der südirakischen Provinz Basra, ausbrach, persönlich auf Blair zurück.

Während Mandelsons Memoiren für Schlagzeilen sorgten, hat am 12. Juli der frühere britische Diplomat Carne Ross bei einem Auftritt vor der Chilcot-Untersuchungskommission, welche die Hintergründe der Beteiligung Großbritanniens am Irakkrieg unter die Lupe nehmen soll, Blair schwer belastet. In der zweiten Hälfte 2002 und Anfang 2003, als sich die Regierungen Bushs und Blairs bei den Vereinten Nationen vergeblich um einen Mandatierung zum Krieg gegen den Irak bemühten, arbeitete Ross als Erster Sekretär mit Zuständigkeit für den Nahen Osten bei der britischen Delegation dort. In dieser Situation hat er vollen Zugang zu allen Informationen der UN-Waffeninpekteure sowie der westlichen Geheimdienste bezüglich Saddam Husseins "Massenvernichtungswaffen" gehabt. Vor der Chilcot Inquiry erklärte Ross, zu keinen Zeitpunkt habe es konkrete Hinweise auf die Existenz von ABC-Waffen "in bedeutendem Umfang" im Irak gegeben. Die Blair-Regierung habe aus politischen Erwägungen heraus die vom Irak ausgehende "Bedrohung" übertrieben dargestellt.

Die enscheidenden zwei Sätze aus Ross' Aussage lassen die Fähigkeiten Blairs in Sachen Selbsttäuschung und Selbstüberzeugung ganz klar erkennen: "Dieser Prozeß der Übertreibung nahm allmählich seinen Lauf und erfolgte von Dokument zu Dokument durch Hinzufügen und Redigieren. Auf diese Weise konnten sich die Beteiligten einreden, daß sie nicht unverhohlen die Unwahrheit behaupteten. Doch dieser Prozeß führte zu sehr irreführenden Erklärungen bezüglich der britischen Einschätzung der irakischen Bedrohung, die, als ganzes betrachtet, Lügen waren."

15. Juli 2010