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HISTORIE/314: Ölinteresse Londons an der Irakinvasion enthüllt (SB)


Ölinteresse Londons an der Irakinvasion enthüllt

Regierungsdokumente stellen Tony Blair erneut als Lügenbaron bloß


Seit dem 19. März führen die USA, Frankreich und Großbritannien einen "humanitären Krieg" in Libyen. Nach außen hin geht es London, Paris und Washington darum, die libysche Zivilbevölkerung vor den Truppen Muammar Gaddhafis zu schützen. Gleichwohl streben die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges einen "Regimewechsel" in Tripolis an, denn die Bombardierung durch die NATO-Luftwaffe wird nicht aufhören, solange Gaddhafi nicht von der politischen Bühne verschwunden ist. Darauf haben sich die amerikanischen und französischen Präsidenten Barack Obama und Nicolas Sarkozy zusammen mit dem britischen Premierminister David Cameron in einem gemeinsamen Gastkommentar, der am 14. April in der Washington Post, in Le Figaro und in der Londoner Times erschienen ist, festgelegt.

Ungeachtet der Tatsache, daß die britischen und französischen Streitkräfte seit November letzten Jahres für Mitte März ein Manöver namens "Southern Mistral" vorbereiteten, bei dem es um den militärischen Einsatz gegen eine fiktive, aufmüpfige, nordafrikanische Diktatur namens "Southland" ging, und der vielen Hinweise, daß die libyschen Rebellen Mitte Februar mit Unterstützung und auf Anweisung von Geheimdienstlern und Spezialstreitkräften aus den USA, Frankreich und Großbritannien in Aktion getreten sind, wird jede Infragestellung des angeblich humanitären Motivs für den Anti-Gaddhafi-Feldzug als zynisch und jeder Hinweis auf die Energieressourcen Libyens von westlichen Politikern als pure "Verschwörungstheorie" abgetan.

Ähnliches erlebte man, als im März 2003 angloamerikanische Truppen in den Irak unter dem Vorwand einmarschierten, das "Regime" Saddam Husseins, das angeblich eine unerträgliche Bedrohung für den Weltfrieden darstellte, niederwerfen zu müssen. Am 6. Februar 2003, ein Tag nach der inzwischen längst diskreditierten Präsentation des damaligen US-Außenministers Colin Powell vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zum Thema der Massenvernichtungswaffen des Iraks und der Verbindungen Bagdads zum Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens, erklärte Blair öffentlich die grassierende "Ölverschwörungstheorie" für "völlig absurd", ganz als glaubten daran nur geistig Minderbemittelte. Daß schon damals die meisten Menschen weltweit die Lügen Blairs und seines Verbündeten George W. Bush durchschauten, zeigt die Tatsache, daß es am 15. Februar 2003 in London mit fast zwei Millionen Menschen zur größten politischen Demonstration in der Geschichte Großbritanniens - gegen den drohenden Irakkrieg - kam.

Inzwischen steht fest, daß in der britischen Hauptstadt in der Zeit vor der Irakinvasion mindestens fünf Gesprächsrunden zwischen ranghohen Mitgliedern der Blair-Regierung und Spitzenvertretern der beiden Energiekonzerne British Petroleum und Royal Dutch Shell stattfanden. Im Mittelpunkt der Erörterungen stand das Interesse von BP und Shell an einer, aus ihrer Sicht angemessenen, will heißen führenden Rolle bei der Ausbeutung der Ölreserven des Iraks nach dem zu erwartenden "Regimewechsel" in Bagdad. Dies geht aus mehr als 1000 britischen Regierungsdokumenten, deren Veröffentlichung der Schriftsteller Greg Muttitt unter Berufung auf das Freedom of Information Act (FOIA) erwirkt hat, eindeutig hervor. In den nächsten Tagen erscheint das Buch Muttitts zu den Hintergründen der Teilnahme Großbritanniens am gewaltsamen Sturz Saddam Husseins durch die neokonservative US-Regierung George W. Bushs unter dem Titel "Fuel on Fire". Über das brisante Ergebnis seiner Recherche berichtete vorab exklusiv am 19. April die Londoner Tageszeitung Independent unter der Überschrift "Secret memos expose link between oil firms and invasion of Iraq", zu deutsch "Geheime Memoranden enthüllen Verbindung zwischen Ölkonzernen und Irakinvasion". In den Artikel schreibt der Journalist Paul Bignell unter anderem folgendes:

Fünf Monate vor der Invasion in März 2003 hat Baroness Symons, damals Handelsministerin, gegenüber BP erklärt, die Regierung glaube, daß britischen Energieunternehmen ein Teil von Iraks enormen Öl- und Gasreserven als Belohnung für Tony Blairs militärische Unterstützung der Pläne der USA bezüglich eines Regimewechsels gegeben werden sollte.

Die Dokumente zeigen, daß sich Lady Symons bereiterklärte, sich bei der Bush-Administration für BP einzusetzen, denn der Ölriese befürchtete, er würde aus Abmachungen, die Washington still und heimlich mit amerikanischen, französischen und russischen Energiefirmen und deren Regierungen treffe, ausgeschlossen werden.

Im Protokoll eines Treffens mit Vertretern von BP, Shell und BG (dem früheren British Gas) vom 31. Oktober 2002 heißt es: "Baroness Symons stimmte zu, daß es schwierig wäre, britische Unternehmen auf diese Weise im Irak leer ausgehen zu lassen, wenn Großbritannien selbst durch die ganze Krise ein auffälliger Unterstützer der US-Regierung gewesen ist."

Die Ministerin versprach dann, über ihre Lobby-Bemühungen "vor Weihnachten den Unternehmen Bericht zu erstatten".

Das Außenministerium lud BP zu einem Gespräch am 6. November 2002 über die Chancen im Irak "nach dem Regimewechsel" ein. Im Protokoll des Treffens heißt es: "Irak ist das große Ölprojekt. Bei BP will man unbedingt dort hinein und ist darauf aus, daß politische Abmachungen ihm nicht die Möglichkeit blockieren."

Nach einem weiteren Treffen, diesmal im Oktober 2002 notierte Edward Chaplin, damals Leiter der Nahostabteilung im Außenministerium: "Shell und BP konnten es sich um ihrer langfristigen Zukunft willen nicht leisten, nicht [im Irak] vertreten zu sein... Wir waren entschlossen, britischen Unternehmen einen gerechten Teil des Kuchens im Post-Saddam-Irak zu verschaffen."

Während BP in der Öffentlichkeit beteuerte, daß es "kein strategisches Interesse" im Irak habe, hat es privat dem Außenministerium gegenüber erklärt, daß der Irak "wichtiger als alles, was wir seit langem gesehen haben" sei.

Bei BP machte man sich Sorgen, daß TotalFinalElf zum größten Ölunternehmen der Welt aufsteigen würde, sollte Washington die Verträge des französischen Konzerns mit Saddam Hussein nach der Invasion gelten lassen. BP hat der Regierung erklärt, daß es bereit sei, "große Risiken" auf sich zu nehmen, um einen Teil der irakischen Reserven, der zweitgrößten der Welt, zu bekommen.

Nach der Irakinvasion wurde im Juni 2003 Baroness Symons of Vernham Heath von Blair befördert. Sie wurde gleichzeitig zur Stellvertretenden Sprecherin des britischen Oberhauses und zur im Außenministerium zuständigen Staatssekretärin für den Nahen Osten und internationale Sicherheit. In letzterer Position scheint sie BP und Shell bei ihren Bemühungen um einen ordentlichen Teil vom irakischen Energiegeschäft behilflich gewesen zu sein. Seit 2008 beutet BP zusammen mit dem chinesischen Unternehmen CNPC das größte irakische Ölfeld, Rumaila, in der Nähe der Grenze zu Kuwait aus, während Shell zusammen mit der malayischen Firma Petronas auf dem Majnoon-Ölfeld im Ostirak aktiv ist. Darüber hinaus erschließen Shell und der US-Ölmulti Exxonmobil das Feld West Qurna 1 in der Nähe der südirakischen Hafenstadt Basra.

Nach den britischen Parlamentswahlen im Mai 2005 schied Baroness Symons aus der Blair-Regierung aus und wurde zunächst Vorstandsmitglied bei British Airways. Später wurde sie Beraterin bei der Londoner Investitionsbank MerchantBridge, die in jener Zeit viel Geld mit der Beratung der neuen Regierung in Bagdad bei der Vergabe von Wiederaufbauprojekten und der Privatisierung staatlichen Vermögens verdiente. 2009, parallel zur Freilassung des verurteilten Lockerbie-Attentäters Abdel Barsit Al Megrahi aus einem schottischen Gefängnis, wurde sie Beraterin der Nationalen Behörde für Wirtschaftliche Entwicklung in Libyen. Diesen Posten hat die gute Adelsfrau vor kurzem, als vor wenigen Wochen die Briten Gaddhafi wieder zum internationalen Bösewicht erklärten, natürlich aufgegeben. Man kann davon ausgehen, daß das Interesse an Libyens Öl - die drittgrößten Reserven Afrikas - allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz bei den strategischen Überlegungen der drei Großmächte, was sie überhaupt in dem nordafrikanischen Land militärisch erreichen wollen, eine wichtige Rolle spielt. Ende letzten Jahres hatte der staatliche libysche Ölkonzern zur Konsternierung ausländischer Energiekonzerne bekanntgegeben, 2011 keine Erkundungs-, Erschließungs- oder Förderlizenzen vergeben zu wollen. Etwa zur gleichen Zeit begannen die Militärs in Frankreich und Großbritannien mit der Vorbereitung des "Kriegsmanövers" gegen "Southland".

21. April 2011