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HISTORIE/322: Entkam Bin Laden der Festnahme durch Selbstmord? (SB)


Entkam Bin Laden der Festnahme durch Selbstmord?

Neue Rätsel um den spektakulären Überfall von Abbottabad



Bis heute besteht Unklarheit über die genauen Umstände des Überfalls der US-Spezialstreitkräfte auf ein Anwesen in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad in den frühen Morgenstunden des 2. Mai, bei dem Osama Bin Laden, der angebliche Auftraggeber der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001, getötet worden sein soll. Statt den Chef des Al-Kaida-"Netzwerkes" festzunehmen und zu verhören, um an dessen umfangreiches Wissen heranzukommen, wollen die Mitglieder des Navy Seal Team 6 ihn einfach erschossen haben, als er sich mit gezogener Waffe zur Wehr setzte. Bis heute weigert sich die Regierung von Präsident Barack Obama, angeblich aus Gründen der "nationalen Sicherheit", Fotos von der Leiche Bin Ladens zu veröffentlichen, was besonders in der arabischen Welt Zweifel an der Behauptung hat aufkommen lassen, sie sei kurz nach der Operation in Abbottabad von einem amerikanischen Flugzeugträger im Indischen Ozean aus dem Meer übergeben worden.

Bereits in den ersten Stunden und Tagen nach dem Attentat lieferten erfahrene Kenner der dunklen Seiten des "Antiterrorkrieges" - Marc Ambinder beim National Journal, Syed Saleem Shahzad bei der Asia Times Online und Jeremy Scahill in seinem Blog bei The Nation - Informationen, welche der Version des Pentagons und des Weißen Hauses von dem weltbewegenden Ereignis widersprachen. Demnach sind die Navy SEALs nicht unbemerkt mit Hubschraubern vom afghanischen Dschalalabad nach Abbottabad geflogen, sondern auf dem Weg zum Ziel bei einem Stützpunkt des Joint Special Operations Command der US-Streitkräfte namens Tarbela Ghazi bei Islamabad zwischengelandet. Sie sollen die Operation auch nicht ganz allein und unbemerkt von den pakistanischen Streitkräften durchgeführt haben, sondern von diesen sogar Rückendeckung erhalten haben. Anwohner des Viertels, wo das Haus Bin Ladens stand, berichteten später, daß Mitglieder der pakistanischen Sicherheitskräfte zwei Stunden vor dem Zugriff die Gegend abriegelten und den Menschen rieten, die eigene Wohnung vorerst nicht zu verlassen.

Wie es zum Absturz des einen US-Hubschraubers in den Garten der Bin-Laden-Villa kam - ob durch Abschuß mit einer Panzerfaust, einen Pilotenfehler oder einen technischen Defekt - ist unbekannt. Möglicherweise sind US-Militärs bei dem Absturz ums Leben gekommen. Die Obama-Regierung behauptet, die Operation sei vollkommen verlustfrei verlaufen. Die Tatsache, daß alle 22 Mitglieder des Navy SEAL Team 6, die an der hochgeheimen Bin-Laden-Operation beteiligt waren, bei einem Hubschrauberabschuß am 7. August 2011 in der afghanischen Provinz Wardak ums Leben gekommen sind bzw. sein sollen, läßt Spekulationen aufkommen. "Dead men tell no tales", heißt es in einem bekannten englischen Sprichwort.

Neue Gründe für den Zweifel an der Richtigkeit der offiziellen Version vom Ableben Bin Ladens präsentierte am 27. Mai die in Dubai erscheinende Gulf News, die zu den renommiertesten englischsprachigen Zeitungen des Nahen Ostens gehört, in Form eines Exklusivinterviews mit Nabeel Naeem Abdul Fattah, der Osama Bin Laden und dessen Nachfolger als Al-Kaida-Chef, den ägyptischen Arzt Aiman Al-Zawahiri, noch aus gemeinsamen Tagen beim Kampf auf der Seite der Mudschaheddin gegen sowjetische Truppen in Afghanistan persönlich kennt. Der heute 57jährige Abdul Fattah war 1981 in die Ermordung Anwar Al Sadats involviert und ist von 1988 bis 1992 Chef des Ägyptischen Islamischen Dschihads gewesen. Er hat von 1991 bis 2011 in einem ägyptischen Gefängnis gesessen. Kurz nach dem Sturz des Diktators Hosni Mubarak vor zwei Jahren wurde er zusammen mit vielen anderen politischen Gefangenen freigelassen.

Abdul Fattah, der der Gewalt längst abgeschworen hat und heute zurückgezogen in Kairo lebt, glaubt nicht, daß Bin Laden von den Navy SEALs erschossen wurde. Er geht davon aus, daß deren Auftrag darin bestand, den "Erzfeind" Amerikas lebend in Gewahrsam zu nehmen, damit man ihn wie zuvor Saddam Hussein im Irak zur Schau stellen und entmystifizieren konnte. Laut Abdul Fattah war Bin Laden schon vor Jahren auf diese Eventualität vorbereitet und hatte entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen, um es hierzu nicht kommen zu lassen. Deswegen habe Bin Laden die letzten zehn Jahre seines Lebens stets einen Sprengstoffgürtel getragen, so Abdul Fattah. Unter Verweis auf einen nicht namentlich genannten "engen Verwandten" Bin Ladens äußerte sich Abdul Fattah gegenüber dem Gulf-News-Reporter Ayman Sharaf wie folgt:

Die US-Geheimdienste planten, ihn lebend zu schnappen, doch sie haben sich verkalkuliert. Er hat sich in die Luft gejagt, um der Gefangennahme zu entgehen. Zudem wollte er seine Geheimnisse mit in den Tod nehmen. Er hatte viele Sponsoren in den Golfstaaten, die ihm Geld schickten. Er wollte sie vor jedem Ärger schützen. Er hat vor der Kaaba [zentrales Heiligtum des Islams in Mekka - Anm. d. SB-Red.) geschworen, seine Geheimnisse bis in den Tod zu bewahren.
(...)
Bin Laden und seine Männer haben sich verteidigt. Sie haben auf den Hubschrauber, in dem sich die Einheit der US-Spezialstreitkräfte befand, Schüsse abgegeben. Als die SEALs zwei seiner Leibwächter töteten und ihm in die Hüfte schossen, hat er seinen Sprengstoffgürtel gezündet.

Abdul Fattah tat die Geschichte von der Seebestattung Bin Ladens als "faul" ab und hat US-Präsident Obama in diesem Zusammenhang der Lüge bezichtigt. Dem ehemaligen Dschihadisten zufolge hätten die Amerikaner jene Legende ausgedacht, weil es nach dem Selbstmord Bin Ladens keine Leiche mehr gab, die man der Weltöffentlichkeit zeigen konnte, sondern lediglich zerfetzte Leichenteile. Dies würde vielleicht die Hartnäckigkeit erklären, mit der sich Washington weigert, Fotos von der Leiche des angeblich erschossenen "Terrorchefs" zu veröffentlichen.

1. Juni 2013