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JUSTIZ/648: US Supreme Court befaßt sich mit Sicherungsverwahrung (SB)


Einschluß von Sexualstraftätern als Türöffner unbegrenzter Haft


Die Intention, verurteilte Straftäter nach Verbüßung ihrer Haft auf unbestimmte Zeit in Sicherungsverwahrung zu nehmen, indem man sie zu einer permanenten Gefahr für die Allgemeinheit erklärt, ist nicht neu und im Strafrecht etlicher Länder längst umgesetzt. Als innovativ und in ihrer Tendenz den Rahmen bislang definierter Rechtsstaatlichkeit sprengend sind jedoch jene Bestrebungen zu klassifizieren, die das Prinzip unbegrenzter Gefangenschaft ausweiten und somit geeignet sind, den in der Verfassung verankerten Grundrechten administrativ geltend gemachte Sicherheitsinteressen als gleichrangig, wenn nicht gar übergeordnet entgegenzustellen. Da man dabei nicht auf aktuelle oder geplante Straftaten, sondern vielmehr eine unterstellte Grunddisposition, künftig Straftaten zu begehen, abhebt, ist zwangsläufig einem Willkürregime von unabsehbaren Konsequenzen Tür und Tor geöffnet, welches weithin legalisiert, was bislang nur in extremen Ausnahmefällen oder unter der Hand praktiziert wird.

Bekanntestes und brisantestes Experimentierfeld derartiger Ambitionen staatlicher Verfügungsgewalt ist in den USA der Ansatz der Obama-Administration, sogenannte Terrorverdächtige im Gefangenenlager Guantánamo auf unbegrenzte Zeit in Haft zu halten, die man mangels Beweisen nicht verurteilen kann, jedoch als so gefährlich einstuft, daß man sie nicht freilassen will. Dabei handelt es sich um Menschen, die auf bloßen Verdacht hin festgenommen, entführt, eingekerkert und gefoltert wurden, ohne daß man ihnen ein gerichtsrelevantes Geständnis abpressen konnte. Wollte man gesunden Menschenverstand, Humanität oder Rechtsempfinden voraussetzen, müßte man sie als unschuldig bezeichnen, umgehend freilassen und für die Haftzeit materiell entschädigen, was angesichts des durchlittenen Grauens und der daraus resultierenden lebenslangen Schäden allenfalls den Charakter einer Geste haben könnte.

Die Speerspitze angestrebter Legalisierung einer uneingeschränkten Willkür und Zugriffsgewalt wird flankiert von prinzipiell ähnlich gelagerten Vorstößen auf anderen gesellschaftlichen Feldern, die sich angesichts ihrer mutmaßlichen Akzeptanz in der Bevölkerung als Türöffner für viel weitreichendere Repressionsinstrumente erweisen könnten. So hat der Oberste Gerichtshof einen Fall zur Verhandlung angenommen, in dem es um die Frage geht, ob die Regierung als gefährlich klassifizierte Sexualstraftäter nach dem Ende ihrer Haftzeit in unbegrenzte Verwahrung nehmen darf. Daß man gerade auf diesem Gebiet den Hebel ansetzt, liegt auf der Hand: Es dürfte nicht schwerfallen, in jeder Meinungsumfrage große Zustimmung für ein solches Vorhaben zu gewinnen, das sich eines weithin von Angst und Abscheu besetzten Komplexes bemächtigt.

Der US Supreme Court will darüber entscheiden, ob ein Gesetz, das einen solchen Umgang mit "sexuell gefährlichen" Personen regelt, in Einklang mit der Verfassung steht. Dabei geht es um den Fall Graydon Earl Comstocks im Bundesstaat North Carolina, der unter dem Vorwurf, kinderpornographisches Material in Empfang genommen zu haben, zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden war und diese verbüßt hat. Seither sind mehr als zwei Jahre vergangen, ohne daß er auf freien Fuß gesetzt worden wäre. Vielmehr hält man ihn in einem Bundesgefängnis auf unbestimmte Zeit fest. [1]

Diese Maßnahme stützt sich im wesentlichen auf den Adam Walsh Child Protection and Safety Act von 2006, der das Justizministerium ermächtigt, im Falle "sexuell gefährlicher Personen", die sich bereits in Haft befinden, eine gerichtlich angeordnete und zeitlich unbegrenzte Verwahrung anzustreben. Anfang des Jahres erklärte jedoch ein Berufungsgericht in Richmond das Gesetz für verfassungswidrig. Wie es in der Begründung hieß, ermächtige die Verfassung die Regierung nicht, eine Person nur wegen mutmaßlicher "sexueller Gefährlichkeit" in Verwahrung zu nehmen, ohne begründen, geschweige denn beweisen zu müssen, daß diese "Gefährlichkeit" irgendein Bundesgesetz verletzt.

Dieser Auffassung widersprach im Mai der Eighth Circuit Court of Appeals in St. Louis, der die Rechtswirksamkeit des Child Protection and Safety Act bestätigte. Der Kongreß habe durchaus die Autorität, zur Verhütung künftiger sexueller Straftaten eine derartige Verwahrung vorzusehen. Da sich der Rechtsstreit in diesem Stadium vor allem mit der Frage befaßte, ob es Sache der Regierung oder vielmehr der Bundesstaaten und Strafverfolgungsbehörden vor Ort sei, sich mit diesem Komplex zu befassen, würde es an dieser Stelle zu weit führen, auf die beiderseitigen juristischen Begründungen detaillierter einzugehen.

Von Interesse ist jedoch die Argumentation von Comstocks Anwältin Jane Pearce, welche die Auffassung vertritt, das fragliche Gesetz erweitere die legislative Autorität des Kongresses auf unzulässige Weise. Der Regierung dürfe nicht gestattet werden, einen Menschen womöglich lebenslang zu inhaftieren und sich dabei auf eine reduzierte Beweispflicht zu stützen, statt den Standard bei einer Verurteilung im Strafprozeß zugrunde zu legen. Das Gesetz erweitere die Sicherheitsverwahrung auf eine Sphäre, die von der US-Regierung nie zuvor in Erwägung gezogen worden und seit jeher das Betätigungsfeld der Bundesstaaten gewesen sei.

Wenngleich auch diese Begründung letztlich auf die Frage der Zuständigkeit abhebt, klingt in ihr doch die nicht von der Hand zu weisende Besorgnis vor einer Ausweitung der Machtbefugnisse der Regierung in Washington an. Der Ausgang des Falls, den der Oberste Gerichtshof nun zur Entscheidungsfindung angenommen hat, betrifft unmittelbar 95 Strafgefangene, die in den USA als "sexuell gefährlich" eingestuft wurden und auf Betreiben der Regierung für unbestimmte Zeit in Verwahrung genommen werden sollen.

Anmerkungen:

[1] http://www.csmonitor.com/2009/0622/p02s01-usju.html

23. Juni 2009