Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

JUSTIZ/656: Britische Regierung lehnt richterliche Anordnung ab (SB)


Britische Regierung lehnt richterliche Anordnung ab

MI5, MI6 und CIA setzen sich über den Rechtsstaat hinweg


In den USA sind die Bürgerrechtler von Barack Obama schwer enttäuscht. Dessen im Wahlkampf angekündigte Abkehr von den Rechts- und Verfassungsbrüchen der Regierung George W. Bush hat sich als hohles Versprechen entpuppt. Zwar läßt Amerikas neuer Präsident das umstrittene Internierungslager Guantánamo Bay auf Kuba schließen, hält jedoch gleichzeitig fest an der von Bush sich angemaßten Macht des Präsidenten, als Oberbefehlshaber der Streitkräfte in Zeiten des "globalen Antiterrorkrieges" jeden Verdächtigten ohne Prozeß und ohne Aussicht auf Freilassung wegsperren lassen zu können. Diese Aushebelung des Rechtsstaats aus Gründen der "nationalen Sicherheit" macht Schule, wie der juristische Streit in Großbritannien um den Fall Binyam Mohamed zeigt.

Der Äthiopier, der jahrelang in Großbritannien lebte, machte 2001 eine Reise nach Pakistan und wurde dort 2002 von der Polizei als "Terrorverdächtiger" gefangengenommen, gefoltert und anschließend der CIA übergeben. Der US-Auslandsgeheimdienst hat Mohamed nach Marokko geflogen und den Kollegen dort "überstellt", die ihn schwer folterten. Unter anderem haben sie mit einem Messer seinem Penis Schnittwunden zugefügt und anschließend Lösungsmittel darüber gegossen. Unter Folter soll Mohamed den Vernehmungsbeamten, die irgend etwas über "Massenvernichtungswaffen" und "Al Kaida" hören wollten, erzählt haben, früher eine Website aufgesucht zu haben, auf der scherzhaft beschrieben worden sei, wie man Uran durch Herumschleudern in einem Eimer "anreichern" könne. Daraus baute die Bush-Regierung später die Geschichte, Mohamed und der mutmaßliche amerikanische Dschihadist José Padilla hätten einen Anschlag mit einer "schmutzigen Bomben" geplant. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Afghanistan landete Mohamed in Guantánamo Bay, wo er an mindestens einem Hungerstreik teilnahm.

Im vergangenen Februar wurde Mohamed freigelassen und nach Großbritannien zurückgeflogen. Dort bringt sein Fall die britischen In- und Auslandsgeheimdienste MI5 und MI6 in große Verlegenheit, weil Mohamed behauptet, deren Beamte hätten entweder seiner Folter beigewohnt oder davon gewußt und sich damit des schweren Menschenrechtverbrechens schuldig gemacht. Gegen Mohameds Versuch, die Anerkennung des an ihm begangenen Unrechts einzuklagen, setzt sich die britische Regierung deshalb mit allen Mitteln zur Wehr, weil ansonsten die beteiligten Beamten des MI5 und MI6 und eventuell ihre politischen Vorgesetzten bei einem hochpeinlichen Strafrechtsprozeß Platz auf der Anklagebank nehmen müßten. Den Beteiligten droht im Falle einer Verurteilung sogar eine Freiheitsstrafe. Deswegen lehnen die Behörden, angeführt von Außenminister David Milliband, den Antrag von Mohamed und dessen Anwälten auf Einblick in die relevante CIA-Dokumentation mit dem Argument ab, dies zu tun, würde die geheimdienstliche Zusammenarbeit Londons mit Washington schwer beeinträchtigen und damit die nationale Sicherheit Großbritanniens aufs Spiel setzen.

Im Mittelpunkt des Disputs steht ein sieben Absätze langes Dokument der CIA, welches die Richter des High Court eingesehen haben, über das sie im Oktober urteilten, daß seine Veröffentlichung die nationale Sicherheit nicht beeinträchtige und deshalb den Anwälten von Mohamed zur Verfügung gestellt werden solle. In ihrem Urteil schmetterten die Richter die Argumentation von Milliband und dem Foreign Office als unsachgemäß und unbegründet ab: "Die Unterdrückung von Berichten über Fehlverhalten seitens Beamter unter Umständen, die auf keine Weise die nationale Sicherheit tangieren können, ist dem Rechtsstaat abträglich. Nach unserem Dafürhalten als Gericht des Vereinigten Königreichs ist es von dringendem öffentlichen Interesse ..., daß eine Zusammenfassung der wichtigsten Beweise hinsichtlich der Verwicklung der britischen Sicherheitsdienste in Missetaten öffentlich gemacht wird ... Für den Rechtsstaat einzutreten und nicht sich dem unterzuordnen ist der Eckstein der Demokratie."

Über die jüngste Entwicklung in diesem Trauerspiel berichtete am 13. November Richard Norton-Taylor in der Tageszeitung Guardian, die sich neben einer Reihe von Menschenrechtsorganisationen und Presseorganen der Klage Mohameds nach Einblick in die CIA-Dokumentation angeschlossen hat. Nach Angaben des Sicherheitskorrespondenten Norton-Taylor hat sich Simon Manley, der im britischen Außenministerium zuständige Leiter der Abteilung für Verteidigung und Strategische Bedrohung, mit einer "außergewöhnlichen Intervention" gegen die Anordnung des High Court verwahrt. Der Milliband-Vertreter Manley hat den Richtern des High Court Anmaßung vorgeworfen und sie bezichtigt, mit ihrem jüngsten Urteil im Mohamed-Fall "das Vertrauen der USA hinsichtlich der Fähigkeit Großbritanniens, die Vertraulichkeit von diplomatischen Kommunikationen zu wahren, unterminiert". Dies werde "zwangsweise eine negative Auswirkung auf die Freizügigkeit" der amerikanischen Kollegen "bei ihren Kommunikationen mit britischen Regierungsvertretern haben"; "Wir sehen uns mit einer Erosion des Vertrauens konfrontiert".

Mit einer ähnlichen Argumentation versucht die Obama-Regierung seit Monaten vor einem Bundesgericht in San Francisco eine Schadensersatzklage von Binyam Mohamed und vier weiteren Opfern des umstrittenen CIA-Programms der "außergewöhnlichen Überstellungen" gegen die Transportfirma Jeppesen Dataplan, ein Tochterunternehmen von Boeing, zurückgewiesen zu bekommen. Offenbar glauben die angloamerikanischen Geheimdienste, daß seit dem Eintritt in die Ära des "globalen Antiterrorkrieges" für sie die Gesetze nicht mehr gelten. Da stellt sich die Frage, was genau sie im manichäischen Kampf zwischen der westlichen Zivilisation und dem "islamischen Extremismus" zu verteidigen meinen.

14. November 2009