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JUSTIZ/664: US-Menschenrechtsanwältin bekommt zehn Jahre Haft (SB)


US-Menschenrechtsanwältin bekommt zehn Jahre Haft

Lynne Stewart fällt der Antiterrorideologie Washingtons zum Opfer


Auch unter dem vermeintlich liberalen Demokraten Barack Obama führt die Antiterrorideologie des Republikaners George W. Bush zu starken Einschränkungen der Bürgerrechte in den USA. Am 21. Juni hat der Oberste Gerichtshof eine Klage des Humanitarian Law Project (HLP) gegen Aspekte des unter dem Eindruck der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 vom Kongreß verabschiedeten USA-PATRIOT-Gesetzes zurückgewiesen. Das HLP wird vom US-Justizministerium bezichtigt, den beiden "Terrorgruppen", den tamilischen Tigern (LTTE) und der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, allein dadurch, daß man sie beriet, wie sie ihr Anliegen auf friedlichem Weg verfolgen könnten, "materielle Hilfe" zukommen gelassen und damit gegen das USA PATRIOT Act verstoßen zu haben. Mit seinem Urteil ist der Oberste Gerichtshof den Argumenten von Obamas Justizminister Eric Holder gefolgt. Interessanterweise wurde die US-Regierung in dem Streitfall von der Juristin Elena Kagan vertreten, die Obama zur Richterin am Obersten Gerichtshof nominiert hat.

Am 15. Juli kam der nächste Schlag gegen den bisherigen, verhältnismäßig liberalen Rechtsstaat der USA, als ein Bundesrichter in New York die Strafe für die prominente Bürgerrechtsanwältin Lynne Stewart von zwei auf zehn Jahre Freiheitsentzug erhöhte. Stewart war im Februar 2005 wegen der Übermittlung von Botschaften ihres Mandanten, des blinden ägyptischen Scheichs Omar Abdel Rahman, der terroristischen Hilfe schuldig gesprochen worden. Wegen eines Krebsleidens war die Vollstreckung der 2006 verkündeten Strafe von 28 Monaten zunächst aufgeschoben worden. Im letzten November hat ein Bundesberufungsgericht die Klage Stewarts gegen die Verurteilung abgewiesen und auf Drängen der Staatsanwaltschaft das Strafmaß Koetls für zu gering befunden. In Reaktion auf jenes Urteil hat Koetl nun die inzwischen 70jährige Stewart, deren Krebsleiden geheilt worden zu sein scheint, zu 120 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt - angeblich weil sie beim ersten Prozeß Meineid begangen und ihre Position als Anwältin mißbraucht habe. Bei der Staatsanwaltschaft und beim Justizministerium, dessen Vertreter von Anfang an 30 Jahre Freiheitsstrafe gefordert und die erste Entscheidung Koetls als Niederlage empfunden haben, feiert man nun.

1995 hatte Stewart gegen den Rat ihrer Freunde den Fall Abdel Rahman übernommen, der damals unter Anklage stand, mit Gleichgesinnten Bombenanschläge auf das Hauptquartier der Vereinten Nationen, die George Washington Bridge sowie die Holland- und Lincoln-Tunnel in New York geplant zu haben. Wegen seine Rolle bei dem Komplott wurde das Führungsmitglied der ägyptischen Moslembruderschaft, das in den achtziger Jahren der CIA bei der Rekrutierung jüngerer Araber für den Kampf der Mudschaheddin gegen die Sowjetarmee in Afghanistan geholfen hatte und von ihr unter mysteriösen Umständen in die USA geholt worden war, zu lebenslanger Freiheitsstrafe plus 65 Jahre verurteilt. Seitdem sitzt der blinde Scheich in einem Hochsicherheitstrakt in Rochester, Minnesota, wo der Kontakt zwischen ihm und der Außenwelt drakonischen Restriktionen unterliegt.

Im Mai 2000 hat Stewart gegen diese Sonderregeln verstoßen, als sie nach einem Treffen mit Rahman einen Brief von ihm der Gama'a al-Islamijja (Islamische Gruppe) in Ägypten zukommen ließ. Einen Monat später hat sie einem Journalisten in Kairo telefonisch eine Botschaft Abdel Rahmans für die Gama'a al-Islamijja zukommen lassen. Darin zog der Scheich seine Unterstützung für den Waffenstillstand zurück, den Ägyptens militante Islamisten angesichts der weltweiten Empörung nach ihrem Massaker von 62 Touristen in Luxor im Jahre 1997 verkündet hatten. Trotz der Nachricht Omar Rahmans hält die Gama'a al-Islamijja bis heute ihren Waffenstillstand ein.

Obwohl die eigentliche Tat unter die Amtszeit Bill Clintons fiel, hielt dessen Regierung sie für zu geringfügig, als daß man daraus ein Riesending machen sollte. Doch wie wir wissen, weil George Bush jun. niemals müde wurde, es uns zu erzählen, haben die Anschläge auf das Pentagon und die WTC-Zwillingstürme "alles verändert". Acht Monate nach den schockierenden und weltbewegenden Ereignissen von New York, Arlington und Shanksville, Pennsylvania, wurde Stewart die erste Anwältin, die nach den neuen Antiterrorgesetzen - auch USA PATRIOT Act genannt - angeklagt wurde. Vor Gericht räumte Stewart ein, einzelne Mitteilungen Abdel Rahmans an die Außenwelt weitergeleitet zu haben, und begründete ihr Handeln mit dem Wunsch, die öffentliche Diskussion in Ägypten zwischen den Islamisten und der Regierung Hosni Mubaraks beleben zu wollen, damit ihr politischer Streit friedlich beigelegt werden könne. Für Stewart war ihr Einsatz für ihren Mandanten und der Versuch, ihm Öffentlichkeit zu verschaffen, ein selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit als Menschenrechtsanwältin. Anwälte, die einen solchen Berufsethos hochhalten, sind offenbar nicht mehr gewünscht.

19. Juli 2010

* Siehe hierzu im Schattenblick unter INFOPOOL\POLITIK\REPORT das Interview - Nummer 31 - mit Lynne Stewarts Freund und Kollegen Michael Ratner vom New Yorker Center for Constitutional Rights (CCR)