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JUSTIZ/681: USA stufen Assange und Wikileaks als "Feinde" ein (SB)


USA stufen Assange und Wikileaks als "Feinde" ein

Kampf Washingtons gegen Lecks im Staatsapparat erreicht neue Qualität



Das Treffen des britischen Außenministers William Hague mit seinem Amtskollegen Ricardo Patino aus Ecuador am 27. September am Rande der UN-Vollversammlung in New York, hat zu keiner Lösung im Fall Julian Assanges geführt. Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks harrt seit dem 19. Juni in der ecuadorianischen Botschaft in London aus. Wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung zweier Frauen soll der 42jährigen Australier von Großbritannien nach Schweden ausgeliefert werden. Assange befürchtet, daß die Schweden vorhaben, ihn anschließend an die USA zu überstellen. Wenngleich die Regierung von US-Präsident Barack Obama dies bestreitet, gibt es glaubhafte Hinweise darauf, daß sich eine hinter verschlossenen Türen tagende Grand Jury in Alexandria, Virginia, für eine Anklageerhebung gegen Assange ausgesprochen hat. Bezeichnend ist zudem die Tatsache, daß sich sowohl London als auch Stockholm weigern, die von Quito geforderte Garantie, daß Assange, sollte er die ecuadorianische Botschaft verlassen, nicht an die US-Justizbehörden übergeben wird, zu leisten.

Auch Julian Assange war auf der UN-Generalversammlung präsent. In einer per Liveschaltung übertragenen Videobotschaft an die UN-Delegierten warf der Wikileaks-Chef Obama vor, die Meinungsfreiheit in den USA stark einzuschränken und einen "nationalen Sicherheitsstaat" errichten zu wollen. Assange plädierte ausdrücklich für die Freilassung des Gefreiten Bradley Manning, von dem Wikileaks einen Gutteil der von ihr veröffentlichten, belastenden US-Regierungsdokumente erhalten haben soll. Der 23jährige Manning, der zuletzt beim US-Militärgeheimdienst im Irak diente, befindet sich seit mehr als zwei Jahren im Militärgefängnis. Ihm wird Staatsverrat vorgeworfen. Im Falle einer Verurteilung droht ihm die Todesstrafe.

Die Anklage gegen Manning wiegt deshalb besonders schwer, weil man ihm nicht nur die Weitergabe vertraulicher Regierungsdokumente vorwirft, sondern auch, "Hilfe für den Feind" geleistet zu haben. Tatsächlich will die Militärstaatsanwaltschaft nach eigenen Angaben beim Prozeß ernsthaft argumentieren, daß Manning durch seine Aktivitäten im Sinne der Gegenpropaganda das "Terrornetzwerk" Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel unterstützte. Seit zwei Tagen wissen wir, daß auch Julian Assange und Wikileaks formell als "Feinde" der Vereinigten Staaten von Amerika gelten.

Dies hat die australische Tageszeitung The Age herausgefunden. Anhand von Dokumenten, deren Freigabe man nach dem amerikanischen Freedom of Information Act erstritten hatte, stellte das angesehene Blatt aus Melbourne in einem am 27. September veröffentlichten Artikel fest, daß Wikileaks und Assange gemäß den amerikanischen Militärgesetzen bei der US-Luftwaffe offiziell als Feinde geführt werden. Die Dokumente beziehen sich auf eine Untersuchung des Office of Special Investigations der US-Luftwaffe im vergangenen Jahr gegen eine Computeranalytikerin aus den eigenen Reihen, die sich für das Schicksal Mannings interessiert und an einer Demonstration zugunsten von Wikileaks teilgenommen hatte. Gegen die Frau, die selbst Zugang zu Regierungsdaten der höchsten Geheimhaltungsstufe hatte, wurde konkret ermittelt, ob sie per Internet, Telefon oder sonstwie im Sinne von Paragraph 104-D des Uniform Code of Military Justice (UCMJ) "mit dem Feind kommuniziert" habe. Die Antwort auf die Frage lautete Nein.

Dennoch ist die Einstufung von Assange und Wikileaks als "Feinde" der USA von großer Tragweite. Hierzu hat der amerikanische Staatsrechtler Glenn Greenwald, der auf seinem Blog Unclaimed Territory bei der Onlinezeitung Salon die Entwicklungen im Fall Assange, Manning und Wikileaks laufend kommentiert, in einem am 27. September erschienenen Gastbeitrag für die Onlineversion der britischen Tageszeitung Guardian folgendes geschrieben:

Die Implikationen dieser Theorie sind so offensichtlich wie sie beunruhigend sind. Wenn jemand aufgrund der Zuspielung von Informationen an Wikileaks wegen "Beihilfe" oder "Kommunizieren mit dem Feind" angeklagt werden kann, warum sollte es dann kein Verbrechen sein, wenn jemand vertrauliche Daten der New York Times, dem Guardian oder ABC News jemand anderen übergibt? Mit anderen Worten, läuft dieser Ansatz nicht zwangsläufig darauf hinaus, daß jede Weitergabe von Verschlußsachen - sei es an Wikileaks oder irgendeinem anderen Medienunternehmen - zu einem Kapitalverbrechen wie Staatsverrat und ähnlichem hochstilisiert wird?

Die Frage Greenwalds ist natürlich rhetorisch gemeint gewesen.

29. September 2012